6 Monate Obdachlos

Ich war immer schon ein eher extrovertierter Junge, trotzdem habe ich es irgendwie geschafft, mich Zuhause einzusperren und den ganzen Tag zu zocken, Tag ein Tag aus. Am Wochenende war ich, wie die meisten Jugendlichen, an verschiedensten Orten Wiens fort und trank etwas. Ich schmiss die Schule und hatte gerade eine harte Trennung hinter mir und begann einfach nur das zu tun, was meiner Seele gut tat, wie wenig wusste ich damals aber, was wirklich gut für mich war. Wie in der Zeit stecken geblieben, zockte ich und lebte in Hotel Mama, ohne je Veränderung anzustreben. Da war ich nun, 2 Jahre sind vergangen. Ich war arbeitslos und hatte nur einen Pflichtschulabschluss. Ich war mir zu schade die dazu passenden Jobs anzunehmen und tat weiterhin nichts, was sollte ich auch tun? Ich wusste nicht mehr was mich interessieren sollte außer zu zocken und zu feiern. Ohne positiven Aussichten und nach einigen Hilfeversuchen, die ich nicht annahm, beschloss meine Mutter unsere Wohnung zu verkaufen und zu ihren Freund zu ziehen. Was nun?
 

Bevor meine Mutter auszog, suchte sie noch ein Dach über meinem Kopf und schickte mir monatlich Geld, ich lebte anfangs bei meinem besten Freund. Die Wohnung war etwas außerhalb von Schwechat und nicht sonderlich groß, war ja auch nicht für mehrere Personen gedacht. Mein Computer konnte dort keine Internetverbindung aufbauen. Ich war dankbar, aber nicht zufrieden. Nach nicht all zu langer Zeit langweilte ich mich halb zu Tode. Tatsächlich beschloss ich des Öfteren nach Draußen zu gehen, unter der Woche. Manchmal traf ich mich mit Freunden, manchmal wanderte ich einfach nur stur durch Wien. Ich lernte es zu genießen einfach mal nur unter einen Baum bei Sonne im Stadtpark zu sitzen und die Geräusche der Tiere und des Wassers zu genießen.
 

Dann fasste ich einen für mein Leben prägenden Entschluss. Ich dachte an die Pilgerfahrten der Christen und es kam mir der Gedanke: „Warum nehme ich mir nicht einfach meine wichtigsten Sachen und lerne meine unmittelbare Welt kennen?“
Ausgerüstet mit einem Rucksack, meinen Wertsachen und einem Ladegerät war mein Zuhause nun die Stadt. Um eines klarzustellen, ich konnte immer zurück zu meinem besten Freund schlafen und bei meiner Großmutter essen, dennoch war es mein Ziel, das nicht zu müssen.

 

Anfangs saß ich sehr oft in der Stadtbibliothek an der Burggasse und las Bücher oder borgte sie mir aus und ging zum Stadtpark. Hauptsächlich nahm ich psychologische Fachbücher von C.G Jung der nach Siegmund Freud schrieb. Wie die verschiedensten Menschen tickten interessierte mich immer schon sehr. Warum das nicht mal selbst herausfinden? Es dauerte nicht lange, da wurde es immer häufiger, dass ich komplett fremde Menschen ansprach und sie nach ihrem Leben fragte. Ich hörte spannende Geschichten von Beziehungsproblemen und Saufgeschichten bis zu Bankrauben und sogar Mord. Zugegeben, nicht alle Geschichten wollte ich zwingend hören. Bald schon konnte ich mich mit so ziemlich jeder gewillten Person gut unterhalten und fand Obdach, Zuneigung und Spannung. Ich konnte meine Art endlich richtig ausleben.
 

Nicht selten kam es auch dazu, dass ich keine Wahl hatte als Obdach zu suchen. Ich fand mich auf dem Schwedenplatz und dachte mir: „Wann gäbe es eine bessere Möglichkeit mit einem Mädchen heimzugehen?“ Versteht mich nicht falsch, ich war nicht komplett unerfahren darin und hatte auch schon einige Freundinnen, aber besonders gut darin oder mutig war ich dabei auch nicht. Ich klapperte die Bars ab und sprach dort immer wieder in meinen Augen hübsche Mädchen an. Oft fand ich mich in der Situation wieder, dass ich ignoriert wurde oder dass sich ihre Freundinnen gar über mich lustig machten, trotz Interesse des Mädchens. Toll. Aber das kriegt mich nicht unter, dachte ich mir. Schnell kapierte ich, wie ich mich ausdrücken musste, dass ich nicht als kompletter Versager rüberkam. Der erste Eindruck und der Respekt vor Frauen war wichtig, sei es eine „zufällig“ herbeigeführte Situation wie „Oh, ein total nerviger Kerl versucht dich respektlos aufzureißen und dann kam zufälligerweise ich und vertreibe ihn“, „Deine beste Freundin wird von irgendeinem Betrunkenen angemacht und ich verteidigte sie“ , oder sei es interessantes Gesprächsthema, dass sie über alles liebte, auf das ich zufällig traf, reden konnte ich ja über vieles und Geschichten hatte ich ohne Ende parat. Am Ende des Abends traf ich also auf ein hübsches blondes Mädchen, dass aus München kam. Sie war 20 und reiste bereits schon viel herum. Ich glaube, ich war trotz meinen Geschichten mehr von Ihr begeistert als sie von mir. Sie konnte auch nicht nur an einem Ort bleiben, so war es, dass es vollkommen ok war, dass wir nur eine einzige Nacht miteinander verbrachten.


Das ist zwar nicht das Ende meiner Geschichte aber momentan wohne ich in meiner ganz eigenen kleinen Wohnung in Wien und gehe zur Schule und hole meine Matura nach. 6 Monate dauerte meine „Reise“ und im Endeffekt ist es definitiv ein geistiger Schatz auf den ich stolz bin.

 

Michael besucht die Dr. Roland Maturaschule.

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