Ich bin nur auf Durchreise

Wie fühlt es sich an auszuwandern? Es ist ein unglaubliches Erlebnis in jedem Fall. Gewollt, umso besser. Leider war es für mich aber nicht so. Ich war zwölf Jahre alt, und mit meinem Leben total zufrieden. Meine Mutter und ich sind schon immer viel gereist. Es hat schon immer dazugehört und war ganz normal. Jedenfalls sind wir nach Österreich gezogen. Und es war das Erste Mal nicht so, dass wir zurückkehrten. Natürlich waren wir keine Flüchtlinge, und haben jetzt ein genauso gutes Leben wie vorher, aber trotzdem wünsche ich keinem sein zuhause verlassen zu müssen. Weil, auch wenn es sich nicht so schlimm anhört, meine komplette Welt ist an diesem Tag zusammengebrochen. Meine Mutter verkaufte das Haus. Das Haus in dem ich aufgewachsen bin, in dem wir einst mit meinem Vater lebten, in dem ich meinen 1. Geburtstag feierte, lachte und weinte. Meine Mutter hat mal gesagt, dass sie dachte, dass sie dort alt wird. Jedes Mal, wenn ich daran denke treten mir Tränen in die Augen, und das ich weine kommt normalerweise nicht vor. und trotzdem lag das Schlimmste noch vor mir. Ich weiß, dass das Leben an der Küste nicht einfach war, vor allem wenn man auf den Tourismus angewiesen ist und ein Kind zu ernähren hat. Und trotzdem ist es für mich noch immer nicht leicht. Meine ganze Familie (bis auf meinen Vater) wohnt noch immer dort und zum Glück kann ich sie immer besuchen. Aber es ist nicht das Gleiche.

Natürlich habe ich hier mittlerweile viele Freunde, sogar beste Freunde und ich weiß auch, dass wenn ich jetzt noch dort wäre, nichts mehr so sein würde wie ich es in Erinnerung habe, denn wenn ich mal wieder in den Norden fahre erkenne ich vieles nicht wieder. Es hat sich so viel verändert und ich mich auch. Ich weiß, man soll der Vergangenheit nicht nachtrauern, aber verdammt, es fühlt(e) sich so an als ob meine Kindheit erloschen ist. Einfach unauffindbar.

Jetzt, wo ich hier bin, warte ich, obwohl es mir total gut geht, nur darauf wieder wegzukommen. Ich wohne hier, aber leben ist etwas anderes. Es fühlt sich anders an, als ob ich kein zuhause mehr habe. Es gibt Tage an denen mir alles egal ist, Nächte an denen ich mich in den Schlaf weine, weil nichts mehr wird wie es war. Wie gesagt, ich habe hier total liebe Menschen kennengelernt, die mich nehmen wie ich bin, und ich bin so froh, dass es sie gibt. Danke an euch, falls das jemand von euch liest!

 

Was ist ein Pifke?

Ich war 16, und auf einer Geburtstagsparty von einer Freundin, als er mich ansprach. Ich kannte weder ihn noch die meisten der anderen Gäste. Ich glaube er war Ungar oder Slowake, um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht mehr. Es ist ja auch egal. Wir kamen ins Gespräch und er bot mir Hugo oder irgend sowas an. Er war total nett und sympathisch. An meinem deutschen Akzent erkannte er, wie so viele früher und später auch, dass ich Deutsche bin. Er fragte mich, ob ich schon lange in Österreich wohne. Ich sagte ja, denn es fühlte sich wirklich wie eine Ewigkeit an. Dann sagte er, dass ich doch aber bestimmt hier geboren bin. Ich verneinte. Ich erzählte ihm, dass ich eigentlich nicht vorhabe hier zu bleiben. Ab diesem Zeitpunkt verwandelte er sich komplett. Ich weiß nicht, ob er einfach generell einen Hass auf Deutsche hatte, aber auf jeden Fall hat er es mich spüren lassen. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich blieb still und ließ seinen kompletten Vortrag über mich ergehen. Innerlich wuchs meine Wut, denn ich wollte selbst ja gar nicht hier sein. Erstens, er war selbst nicht einmal Österreicher. Zweitens, was kann ich oder irgendjemand sonst für seine Staatsangehörigkeit? Ich verstand die Welt nicht mehr. Noch nie hatte ich mich so allein gefühlt in einem Raum voller Menschen.

Aber, das war nicht die erste Gegenüberstellung von Fremdenhass mit der ich mich auseinandersetzen musste. Ich hatte mich daran gewöhnt ab und an Pifke genannt zu werden. Als ich mit zwölf herkam, wusste ich nicht, was das sein soll. Außerdem lernte ich, dass Deutschen-Witze sowieso am lustigsten sind, wenn man sie direkt vor der Deutschen macht. Ich glaube, das ist der Grund warum ich kein Stück schwarzen Humor besitze. "Nennt mich bitte alle humorlos, bevor ich über sowas lache!", sagte mein zwölf-jähriges Ich mitten im Unterricht, stand auf und ging. Ich war verwirrt, und spätestens nachdem unser damaliger Geschichtslehrer den kompletten 2. Weltkrieg so erklärte, als wenn dieser eigentlich sowieso meine Mitschuld gewesen ist, schwor ich mir, niemals länger hierzubleiben als nötig. Aber wie soll man sich als zwölf-Jährige gegen die Aussagen eines erwachsenen Mannes wehren? Man lässt es über sich ergehen. Damals verstand ich vieles aber auch nicht.

 

Danke Österreich!

Es gibt noch viele weitere Beispiele, aber jene waren die prägendsten für mich. Ich weiß, dass es nicht meine Schuld war in allen Fällen, aber es zieht mich noch immer runter. Irgendwann fragte ich meine Mutter mal ob sie weiß, was zum Beispiel ein Pifke ist und ob sie ähnliches erlebt hatte. Sie verneinte. Sie weiß von alldem nichts und ich bin froh darüber, obwohl sie mir immer das Gefühl gab, dass ich mit ihr reden kann. Ich weiß nur, dass sie es leid war, dass ich immer zurückwollte, und ich irgendwann aufhörte ihr das mitzuteilen.

Keine Angst, ich bin nur auf Durchreise, und trotzdem verdammt dankbar für alles was ich hier gelernt habe und jeden, den ich kennengelernt habe. Ich möchte nicht sagen, dass alle Österreicher fremdenfeindlich sind, auf keinen Fall. Es gibt so viele nette, verständnisvolle Menschen, die überwiegen. Für sie ist es gar keine Frage wo man herkommt, und hingeht. Ich finde es nur krass wie hasserfüllt manch einer werden kann, wenn wir doch alle nur Menschen sind. Danke an alle anderen. Bitte bleibt wie ihr seid!

Kommentare

 

sehr gut geschrieben und ich hoffe du wrst dort glücklich (silvia)

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