„Afrika birgt eine Chance, keine Gefahr!“

23. September 2016

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Dr. Cornelia Wallner-Frisee
© Africa Amini Alama

Cornelia Wallner-Frisee lebt mittlerweile seit sechs Jahren in Tansania. Ihre Mutter hat dort damals eine Krankenstation eröffnet und sie selbst ist in das Projekt mit eingestiegen. Aus der Krankenstation sind viele andere Projekte entstanden: Waisenhaus, Schulen, Berufsschule. Mittlerweile ist das Projekt Africa Amini Alama enorm gewachsen und vorangekommen, jedoch immer noch auf Spenden angewiesen.

-Interview von Bella Haltrich und Andrea Grman

biber: Wie schaut generell Ihre Tätigkeit in Tansania aus?

Wallner-Frisee: Ich bin Ärztin und arbeite auch als Ärztin unten. Ich bin aber auch die operative Leitung des Projekts, also alles was irgendwie mit finanziellen oder organisatorischen Fragen zu tun hat. Es ist schon so aufgebaut, dass wir Afrikaner in Schlüsselpositionen haben. Aber die Zügel für das ganze Projekt muss schon ich in der Hand haben, damit es funktioniert.

War anfangs nur eine Krankenstation geplant, oder schon damals auch mehr?

Das Dorf ist damals auf meine Mutter zugegangen, als sie unten auf Urlaub war, und hat sie explizit um diese Krankenstation gebeten, weil es in dieser Gegend überhaupt keine medizinische Versorgung gibt. Es ist recht abgeschieden und gerade für den Mutter-Kind-Bereich ist das sehr schlimm. Als ich dann unten war und dort als Ärztin gearbeitet habe, sah ich dann Frauen mit chronischen Schmerzen – Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, etc. Es war ursprünglich die Idee, Naturheilkunde, Schulmedizin und traditionelle Medizin aus Tansania zu verbinden. Die anderen Projekte sind eigentlich erst später entstanden.

Mag. Dr. Cornelia Wallner-Frisee
© Africa Amini Alama

Welche Berufe kann man dort in der Berufsschule erlernen?

Wir haben eine Mechaniker-Ausbildung, eine Tischler-Ausbildung und eine Maurer-Ausbildung. Es geht wirklich darum, den Menschen Berufe zu erlernen, mit denen sie bald auch Geld verdienen können. Es gibt natürlich Vocational Training Schools in Tansania, doch die sind alle kostenpflichtig. Und die jungen Burschen mit ca. 13, die mit ihrer Grundausbildung fertig sind und überhaupt keine Möglichkeit haben, ihre Familien zu versorgen, müssen irgendwohin in die Städte gehen. Es ist ein Projekt, das in sich geschlossen ist. So entsteht die Möglichkeit für 75 Lehrlinge, einen Abschluss zu bekommen.

Sie sagen Burschen, wie sieht es denn mit den Mädchen aus?

Ich sage deswegen ‚Burschen‘, weil wir auch fast keine Mädchen haben. Ein Mädchen würde in Tansania nie Tischler werden. Das ist noch ein ganz starkes Gender-Thema da unten.

Welche Probleme treten in Ihrem Arbeitsalltag auf?

Es gibt natürlich die kulturellen Unterschiede. Es ist ein bisschen die Philosophie in Afrika, zuerst ist meine Familie / mein Clan wichtig und dann kommt alles andere. Und sobald irgendwas für die eigene Familie abfallen könnte, versuchen sie es für sich auszunutzen. Das ist dort auch legitim und nichts Böses.

Abgesehen davon, ist sicher auch ein Thema, dass die Leute generell im Jetzt leben und nicht in die Zukunft blicken. Also diese Fragen: Was passiert in 3 Jahren? Was habe ich falsch gemacht? Was kann ich besser machen? Das gibt es dort gar nicht.

Wie treten Sie an die Menschen in Europa heran?

Wir haben mittlerweile ein ganz großes Netz an Menschen, die uns unterstützen und teilweise ihr eigenes Projekt betreuen. Auch durch das Buch meiner Mutter kommen oft Leute auf uns zu, oder wenn Leute auf Urlaub fahren und dann vor Ort von unserer Organisation erfahren.

Wir machen auch gar kein Marketing, es wird alles freiwillig von Leuten betreut, die einfach in einem Gebiet gut sind und sagen, sie stellen uns ihr Wissen/Können zur Verfügung und helfen da gerne.

Waisenkinder in Tansania
© Africa Amini Alama

Was glauben sie welche Wünsche/Hoffnungen hat die Bevölkerung dort vor Ort in Tansania?

Ich glaube, das muss man ein bisschen unterscheiden. Es gibt nicht DIE tansanische Bevölkerung, die wirklich an der Armutsgrenze lebt und es gibt die, die schon am Weg einer Ausbildung sind. Eine Massai Frau würde sich zum Beispiel nie etwas Größeres wünschen, als die Versorgung ihrer Kinder.

Wie funktioniert die Medienversorgung dort?

Dort hat jeder ein Smartphone, so komisch es auch klingt. Wenn man durch die Steppe der Massai geht, haben die wirklich nichts, oft nicht einmal Schuhe. Aber die Frauen in ihrer Tascher ein Smartphone. Ich kann nicht sagen ob es positiv oder negativ ist, aber durch diese neuen Smartphones steht ihnen eben die ganze Welt offen.

Inwiefern beeinflusst das die Leute hinsichtlich ihrer Bildung?

Was ich sehe, ist eine sehr große Gefahr, weil Informationen ungefiltert zu Menschen gelangen, die eben keine Bildung haben. So schnell wie man diese Bilder sieht und runterlädt, die im Internet hausieren, kommt keine Bildung her. Unser Auftrag ist deshalb, dass die Menschen dort unten so schnell wie möglich zu Bildung kommen, damit sie all diese Informationen auch kritisch betrachten können.

Schulkinder in Tansania
© Africa Amini Alama

Was erwarten sich die Menschen, die von Afrika flüchten und nach Europa gehen?

Erstmal glaube ich, kann man Afrika nicht als einen homogenen Kontinent sehen. Afrika ist groß und es gibt so viele Gründe, warum Menschen flüchten. Oft müssen Menschen hier auch ihr Zuhause verlassen, weil ihr Leben bedroht ist.
Die Menschen, die in Tansania daran denken, nach Europa zu gehen, sind selten politisch in Gefahr. Sie wollen meistens eine gute Ausbildung. Sie glauben, dass sie dort besser verdienen und dann auch ihre Familie zuhause besser unterstützen können.

Fun Fact: Es gibt in Tansania ein Gesetz, das besagt, dass du zu einem Feld gehen kannst und so viel essen darfst, bist du satt bist. Du darfst nur nichts mitnehmen. Dann ist es kein Diebstahl! 

Im Kontrast gesehen: Was ist für Auswanderer aus Afrika nach Europa die Vorstellung und dann die harte Realität?

Ich habe ein sehr berührendes Erlebnis gehabt. Einer unserer Medical Doctors war jetzt drei Monate in Europa, hat hier eine Ausbildung bekommen und erlernt Chirurgie-Techniken. Er sagte uns, er war selbst sehr verwundert, wie schwierig das Leben hier sein kann. Er hat ein ganz anderes Bild von Europa bekommen, als er vorher hatte. Er hat gesehen, wie teuer alles ist und wie schwierig es auch für Leute hier ist, ihren Lebensbedarf zu decken. Er war wirklich gerührt, dass Leute, die es hier eigentlich auch nicht so leicht haben, dann trotzdem etwas für Afrika spenden. Dennoch stoßen sie in Europa auch oft auf Ablehnung und Fremdenfeindlichkeit, die sie unten nicht gewohnt sind. Es ist sicher erschreckend für sie, wie sehr Hautfarbe hier eine Rolle spielt.

Was glauben sie müsste sich politisch ändern, damit weniger Menschen auswandern?

Die Länder, bei denen ich Entwicklungspotential sehe, sollten nicht als Entwicklungsländer gesehen werden, sondern als Länder die aufstrebend sind. Man müsste investieren und die Möglichkeiten in Afrika sehen. Afrika hat Potential. Man darf es nicht als Kontinent sehen, der zurücksteht, sondern als den Kontinent der Zukunft.

Cornelia Waller-Frisee & Christine Wallner
© Africa Amini Alama

Glauben sie, dass weitere Kooperationen für Europa sinnvoll wären?

Ja, es gibt ganz viele Möglichkeiten. Ich sehe einen großen Bedarf an medizinischer Versorgung. Die Leute gehen extra für teure Operationen nach Indien. Es ist ganz viel Kaufkraft vorhanden, aber es fehlt an den Möglichkeiten im Land. Es gibt so viel Potential in Afrika, allein wirtschaftlich gesehen. Afrika wird immer nur als Problem und Gefahr gesehen und nicht als Chance.

Wie sollte Europa mit solchen Migrationswellen umgehen?

So eine Migrationswelle ist immer ein Apell an den Einzelnen. Man muss sich als Einzelner überlegen, wie so etwas zustande kommt. Das wird viele Menschen auch im Herzen berühren. Um die nächste Welle abzufangen, denn die wird immer kommen, muss man aber auch an der Basis arbeiten, also dort wo Armut herrscht, um wirklich etwas zu verstehen und zu bewirken.

Was raten sie allgemein den Menschen als Individuen, wie sie etwas bewirken können?

"Wenn jeder im Kleinen ein bisschen was teilt, kann das meiner Meinung nach nur gut sein und einen positiven Beitrag erzielen. Was vor allem aber die Kinder, die gerade aufwachsen, lernen sollten, ist, dass sie nicht nur Informationen aller Welt konsumieren sondern auch die verschiedensten Kulturen dahinter kennenlernen sollten. Wichtig ist nicht davor Angst zu haben, sondern sich dieser Herausforderung zu stellen."

 

Info Box
"Wir sind für jede helfende Hand dankbar." Wer Interesse hat, bei so einer Organisation mitzuwirken, kann einfach mal auf ihre Website gehen und die Verantwortlichen per E-Mail kontaktieren. Nicht nur Spenden sind herzlich willkommen. Man kann sich das Projekt auch vor Ort als Gast ansehen und dann entscheiden, wie man es am besten unterstützen möchte. Auch ein 3-monatiges Praktikum als freiwilliger Helfer ist möglich.

 

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Kommentare

 

Afrika und Nahost braut sich Ungeheures zusammen, angefacht durch die unselige Kombination aus Staatsversagen, Korruption, Religion und einer verfehlten Verteilung von Bodenschätzen und Produktionsmitteln.
So schmerzhaft es auch ist: es erscheint rational, wenn der Einzelne dort mangels eines Sozialsystems auf das archaische System der Existenzsicherung durch hohe Kinderzahl setzt. Wenn dann noch religiöse Verbohrtheit dazukommt, entsteht eine brisante Mischung.
Es bleibt offensichtlich. Die Aufnahme von Menschen aus diesen Gebieten nach Europa hat keine Wirkung in Afrika oder Nahost, die die Missstände beseitigt, aber es zerstört aufgrund der puren Zahlenverhältnisse exakt die gesellschaftlichen Strukturen, die dafür verantwortlich sind, dass man in Europa solche "Verhältnisse" überwunden hat: Soziale Sicherheitssysteme, funktionierende demokratische Systeme, eine gerechtere Verteilung von Ressourcen und Wohlstand über den Faktor Arbeit, das Zurückdrängen der Religion aus der Politik.
Vorschlag: Selektive Aufnahme junger Menschen in das europäische Bildungssystem, verbunden mit der Verpflichtung, danach in das Heimatland zurückzukehren und als Keim eines Verbesserungsprozesses zu wirken.
Das bedeutet dann aber auch, dass die Grenzen zu Afrika und Nahost gegenüber einer Migration von Unqualifizierten undurchlässig sein müssen.

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