Auf der Suche nach der verlorenen Heimat – Die Kunst des Wiederfindens

27. Oktober 2023

Mit vier Jahren flüchtete sie vorm Jugoslawienkrieg mit ihrer Familie aus Sarajevo nach Slowenien. Heute ist sie Künstlerin, Musikerin und ausgebildete Sozialpädagogin. Auseinandersetzungen mit Themen wie Identität, Zugehörigkeit, Erinnerung und Trauma zählen zu ihrem künstlerischen als auch persönlichen Alltag. Die Geschichte einer jungen Frau auf der Suche nach ihrer verlorenen Heimat.

Von Tana Badić

Was vermittelt deine Kunst für dich persönlich und welche tiefgehenden Aspekte oder Fragestellungen erkundet sie?

Kunst ist ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens und beantwortet Fragen, die ich mir täglich stelle und die durch andere Kanäle nicht so klar beantwortet werden können. Für mich ist Kunst ein wirksames Mittel, um die Welt zu beschreiben und sie irgendwie zu verstehen. Meine Projekte haben sich dadurch immer auf äußerst persönliche Erfahrungen und Erinnerungen konzentriert. In den letzten fünf-sechs Jahren habe ich dann verstärkt meinen bosnisch-herzegowinischen Hintergrund in den Fokus genommen. Ich wollte verstehen, wer ich bin, woher ich komme, und warum in meinem Land in den 90er Jahren so viel Unheil geschah. In diesem Zusammenhang habe ich mich intensiv mit traditioneller Kunst sowie visueller und musikalischer Tradition auseinandergesetzt.

Eines deiner wohl erfolgreichsten Projekte ist „Sevdah of Lost Identity“, in dem du einige klassisch bosnische traditionelle Lieder performst. Wie kam die Liebe zur traditionellen Musik, insbesondere zum bosnischen Sevdah?

In meiner Kindheit und innerhalb meiner Familie war Sevdah (Anm.: Sevdah ist eine Form der traditionellen bosnischen Musik, die tiefe emotionale Ausdrücke, oft von Liebe und Sehnsucht, einfängt) nicht wirklich präsent oder ein Bestandteil unseres Alltags. Ich kann zum Beispiel nicht sagen, dass meine Mama diese Lieder ständig gehört oder gesungen hat. 2017-2018 entdeckte ich dann plötzlich Sevdah. Als Bosnierin-Herzegowinerin mag das vielleicht etwas ungewöhnlich klingen, aber für mich war es wie ein "Oh wow"-Moment, da mich die Musik auf eine ganz besondere Art angesprochen hat. Und obwohl ich nicht direkt mit diesen Liedern aufgewachsen bin, spürte ich sie irgendwie in mir. Ich hatte diesbezüglich dann ein wunderschönes Gespräch mit meinem Vater, bei dem ich ihm davon erzählte und sagte: „Aber Papa, ich verstehe nicht, woher diese Sucht nach diesen Liedern und dieser Musik kommt.“ Darauf antwortete er direkt: „Ja, das ist in deiner DNA. Das ist Teil deiner Genetik.“

Du hast selbst ja auch Gesangsstunden genommen und das Singen von Sevdah waren oft Teil deiner Performances. Was hat dich dazu inspiriert den musikalischen Aspekt in deine Kunst aufzunehmen?

Das Spannende für mich war, dass ich meine Stimme nutzen musste. Es war ein Versuch und eine Möglichkeit meine Stimme zu befreien. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Menschen mich nicht wirklich verstehen können, weil ich in all den Ländern, in denen ich gewohnt habe, die Sprache “schlecht gesprochen“ habe. Singen ist jedoch etwas, bei dem man oftmals die Sprache nicht verstehen muss, um etwas zu spüren. Zusätzlich war das Auftreten auf der Bühne, aufgrund meines großen Lampenfiebers, eine Art Selbstarbeit für mich. Singen hat mir geholfen, meine Stimme zu finden und mit meinem Körper zu verbinden. Inmitten von Traumata spielte das bewusste "Spüren" meines Körpers eine entscheidende Rolle. Im Alltag geht dieses physische Bewusstsein oft verloren, doch beim Singen muss der gesamte Körper zusammenarbeiten, um diese Stimme herauszubekommen. Das hat mir geholfen, das Gefühl zu entwickeln, wirklich präsent und existent zu sein.

Deine Kunst ist auch ein Versuch der Identitätsbildung. Vor allem als Flüchtlingskind in einem fremden Land war es sicherlich schwer diesen Bezug zu deiner Heimat und zu deinem Geburtsort herzustellen. Zu welchen Erkenntnissen bist du durch deine Arbeit gekommen?

Mir wurde bewusst, dass meine Identität, meine Herkunft und mein Kulturerbe, welches mich als Mensch ausmacht, viel älter sind als der Krieg in den 90er Jahren. Es ist entscheidend, aus der Narrative auszubrechen, dass unsere Identität nur durch den Jugoslawienkrieg entstanden ist. Stattdessen ist sie bereits seit viel längerer Zeit und umfassender in unserer DNA verankert. Es hat viel mehr auch mit all den Ereignissen zu tun, die davor stattgefunden haben. Mit all den verschiedenen Kriegen der letzten Jahrhunderte, der Geschichte Bosniens und Herezgowinas unter der Okkupierung der österreichisch-ungarischen Monarchie und dem Osmanischen Reich, bis hin zu prähistorischen Zeiten des Neolithikums. Die Motive und Symbole der traditionellen Kunst, die eben diesen vielen historischen Zeitereignisse unterlaufen sind und die dadurch auch unsere DNA prägen, haben mir geholfen, meine Identität besser zu verstehen und tiefer zu formen.

Was versuchst du mit deiner Kunst in der Öffentlichkeit zu bewirken?

Jedes Mal wenn ich über diese Erfahrungen in der Öffentlichkeit spreche, dann merke ich erst, wie viele Menschen es gibt mit ähnlichen Geschichten. Ich hatte sehr lange das Gefühl, dass das nur mir passiert. So bin ich aufgewachsen, mit dieser Trauer, diesen Traumata, und dieser Wut nicht darüber sprechen zu dürfen. Und so ging es sicher nicht nur mir. Ich glaube wir haben keine Kultur über diese Dinge zu reden. Keiner hat es uns beigebracht. In dem Sinne versuche ich schon mit meiner Kunst auch andere Leute zu erreichen die vielleicht ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht haben. Helfen, indem ich Menschen von ihren Traumata heile, kann ich dadurch sicherlich nicht. Meine Projekte sollen vielmehr ein gewisses Werkzeug schaffen, auf welches Betroffene zugreifen können. Vielleicht kann es sie in ihrem Verarbeitungsprozess ja genauso unterstützen, wie es mich tut.

Angesichts der aktuellen Ereignisse, insbesondere der Konflikte zwischen Israel und Palästina sowie anderer Kriege der letzten Monate, wenn du die Bilder von Opfern und Flüchtlingen siehst und an deine eigene Vergangenheit denkst, welche Emotionen löst das in dir aus?

Als Kind habe ich den Krieg in Bosnien und Herzegowina in seinen Anfängen persönlich miterlebt. Und danach habe ich weiterhin mitzugeschaut und mit meiner Familie mitgefühlt. Im Endeffekt musste ich ja auch meine Heimat verlassen, weil meine Familie und ich die falsche Ethnizität hatten. Hört man nun solche Nachrichten, triggert es auf jeden Fall. Solche Ereignisse sind starke Auslöser für Gefühle von Ungerechtigkeit, Machtlosigkeit und Kontrollverlust. Als der Krieg in der Ukraine begann, hatte ich auch vermehrt Panikattacken. Ich dachte nur: Verdammt, ich stecke wieder mittendrin. Dieses Mal ist es etwas besser, weil ich viel mehr über mich selbst weiß. Die Kunst hat mir dabei sicherlich geholfen. Ich arbeite ja auch genau deswegen an meiner Kunst; um mich besser zu regulieren und zu verstehen, was es für mich bedeutet, wenn so etwas passiert.

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Kunstprojekte von Sanja Lasic (C) Sanja Lasic

Infobox: Sanja Lasić, geboren 1987 in Sarajevo (ex-Jugoslawien/Bosnien und Herzegowina), ist eine bildende Künstlerin, Musikerin und Sozialpädagogin. Sie wuchs in West-Slowenien an der Grenze zu Italien auf, nachdem sie und ihre Familie 1992 aus Bosnien und Herzegowina flüchten mussten. Sie arbeitet mit Video, Performancekunst und Zeichnungen, um hochintime Interventionen zu Themen Identität, Zugehörigkeit, Erinnerung und Trauma zu schaffen. Ihre aktuellen Forschungs- und Kunstprojekte erforschen das visuelle und musikalische Kulturerbe ihres Heimatlandes. Die Künstlerin möchte basierend auf ihren persönlichen Erfahrungen die Verbindung zwischen persönlicher und kollektiver Geschichte im Zusammenhang mit dem ehemaligen Jugoslawien, dem Bosnienkrieg in den 1990er Jahren und seiner Nachkriegsidentität verstehen. (http://www.sanjalasic.com/)

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