In der Türkei werden täglich fünf Frauen ermordet

16. Februar 2015

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Protest
Nach dem Mord an der jungen Studentin gingen zahlreiche Menschen in Istanbul, Ankara und Izmir auf die Straße, um gegen die frauenfeindliche Politik der AKP zu demonstrieren. Foto: dpa

Der bestialische Mord an der 20jährigen Psychologiestudentin Özgecan Aslan in der Türkei ist leider kein Einzelfall. Seit die Erdogan-Partei an der Macht ist, werden ihre islamischen Werte von einem großen Teil der Bevölkerung als „Ehrenmorde“ missverstanden. Laut einer Studie befürworten sogar 62 Prozent der türkischen Männer Gewalt gegen Frauen.

Ein Minibus wird zu einem traurigen Symbol einer schrecklichen Tat. Der „Dolmuş“ (was übersetzt so viel bedeutet wie „angeblich voll“) ist ein beliebtes Verkehrsmittel in der Türkei. Diese öffentlichen Sammeltaxis haben ihre festen Routen, übernehmen einen beträchtlichen Teil des Nahverkehrs und sind aus dem Stadtbild der großen Metropolen kaum wegzudenken. In den meisten Fällen werden sie von Männern gesteuert. Nun richtet sich die Wut zahlreicher Menschen in der Metropole Istanbul, der Hauptstadt Ankara und der westtürkischen Küstenstadt Izmir gegen einen dieser Busfahrer, der die junge Studentin Özgecan brutal ermordet hat. Die 20jährige Studentin war der letzte Fahrgast in dem Bus. Der Lenker fuhr daraufhin in eine entlegene Gegend, um sie zu vergewaltigen. Weil sich Özgecan gegen ihre Vergewaltigung wehrte, wurde sie mit einer Eisenstange niedergerichtet.

Nun kommt der verstörende Teil dieser Tat, was in diesem Land jedoch keine Seltenheit ist. Der 26jährige Fahrer fuhr mit der Leiche nach Hause und bat seinen Vater sowie einen Freund um Hilfe, die Tote verschwinden zu lassen.

Zahl der ermordeten Frauen um 1400 Prozent gestiegen

Diese Tat lässt die Emotionen hochkochen. Doch leider handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Das ist trauriger Alltag in der Türkei. Zwischen 2002 (Regierungsantritt der AKP) und 2009 hat sich die Zahl der ermordeten Frauen um sage und schreibe 1400 Prozent erhöht! Experten führen diesen dramatischen Anstieg auf die konservative Politik der islamischen AKP-Regierung und die mit ihr einhergehenden Stellenwertsteigerung von religiösen Werten auf das Alltagsleben der Bürger zurück. Täglich werden fünf Frauen zu Mordopfern. Die Täter stammen häufig aus dem familiären Umfeld: Ehemänner oder Freunde, Verlobte, Väter und Brüder, ja sogar Cousins führen diese sogenannte „Ehrenmorde“ aus. Die Regierung gibt vor, diese Probleme in den Griff bekommen zu wollen. So sagte die türkische Familienministerin Fatma Sahin (die einzige Frau im Regierungskabinett) vor einiger Zeit, die Regierung arbeite daran, Gewalt gegen Ehefrauen durch ihre Männer nicht nur besser in den Griff zu bekommen, sondern komplett zu beseitigen. Doch diese Aussagen wirken zynisch, wenn man an die sexistischen Aussagen denkt, die aus den höchsten Ebenen stammen. Erst im Januar hatte der türkische Präsident und „Neo-Sultan“ Recep Tayyip Erdogan erklärt, dass Männer und Frauen von Natur aus ungleichberechtigt seien. Aber auch andere fragwürdige Statements vergiften das Klima zwischen den Geschlechtern. So äußerte sich Vizepremier Bülent Arinc über lachende Frauen: „Frauen sollten in der Öffentlichkeit nicht laut lachen.“

Schon in Grundschulen bedecken die Mädchen ihr Haar

Es ist kein Geheimnis, dass die Erdogan-Partei eine offen frauenfeindliche Linie einnimmt. Sowohl Regierungsmitglieder, als auch die regierungsfreundliche Presse unterstellen Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung wurden, selbst für die Tat verantwortlich zu sein, da sie zu freizügig bekleidet seien. Stattdessen sollen sie Kopftücher tragen. Nicht wenige folgen diesem Aufruf. Seit dem das Kopftuchverbot an öffentlichen Instituten gefallen ist, sind kopftuchlose Frauen in Behörden, Krankenhäusern, Schulen und an Universitäten in der Minderheit. Ja sogar in Grundschulen bedecken  kleine Mädchen ihr Haar, weil ihnen vermittelt wird, dass freizügige Frauen als Unrein gelten.

Sinnvoll Ehefrauen zu „disziplinieren“

Ob man von einer institutionellen Unterdrückung von Frauen sprechen kann, ist fraglich. Denn die türkische Verfassung garantiert die Gleichheit zwischen den Geschlechtern. Weil es zahlreiche Defizite in der rechtlichen Umsetzung gibt und der Wille dazu nicht existiert, wird diese Willkür nicht unterbunden. Gesellschaftlich ist die tatsächlich vorhandene Unterdrückung in einer breiten Schicht akzeptiert. Die Universität Kirikkale und die Organisation „Glückliche Kinder“ befragten in ihrer Studie über Gewalt an Frauen 3500 Männer. Demnach finden es die meisten Männer für völlig normal, sinnvoll und praktisch, wenn sie ihre Ehefrauen „disziplinieren“. 28 Prozent halten Gewalt gegen Frauen für unerlässlich. 34 Prozent geben an, hin und wieder ihre Frauen zu schlagen. 18 Prozent sind der Grundansicht, dass Männer die Herrscher im Haus seien. 30,9 Prozent schlagen zu, wenn es einen „guten Grund“ dazu gibt. Und 37,9 Prozent halten Gewalt für legitim, wenn es um die Durchsetzung von Prinzipien wie Ehre, Anstand und Disziplin geht.

Um diese schamhafte Situation deutlich vor Augen zu führen: Von 134 Ländern nimmt die Türkei in dem Bericht des Weltwirtschaftsforums über den Stand der Gleichberechtigung von Frauen den 126. Platz ein.

 

 

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