Die dunkle Seite der Hustle Culture: Eine moderne Epidemie der Erschöpfung

20. April 2023

Die sogenannte "Hustle Culture" wird auf Social Media oft glorifiziert: Hart arbeiten, nie aufgeben und immer weitermachen. Das Gegenmodell dazu ist die Anti-Work-Community. Aber wo bleibt der Realitätsbezug beider Seiten?

Kommentar von Selin Öztürk 

Wir werden nicht an unseren freien Tagen arbeiten. Wir werden nicht nur zwei Stunden schlafen. Es gibt keinen Ruhm für blinde Hingabe für die Arbeit. Es ist nicht bewundernswert, sich buchstäblich zu Tode zu arbeiten. Oder doch? Bin ich faul, wenn ich nicht zu jeder Minute meiner Lebenszeit produktiv sein möchte? Oder liegt es eher daran, dass ich nicht denselben Grad an Ehrgeiz habe wie andere? Wenn ihr euch angesprochen fühlt, seid ihr nicht allein damit, denn die bittere Wahrheit ist: Auf TikTok und anderen Social-Media-Kanälen wird genau dieses Mindset auf ein hohes Podest gestellt. Wenn es nach den Hustle-Influencern geht, ist es das absolute Minimum, jeden Tag um fünf Uhr aufzustehen und drei Jobs zu haben, um erfolgreich zu sein. Und wenn nicht – dann ist man ein Versager!  Genau wenn ich solchen „waking up at 5 am/that girl“-aesthetic Content sehe, will ich mein Handy einfach gegen die Wand schmeißen. 

„Turn down your feelings and turn up your hustle”, diese Aussage ist ein gängiger Glaube in der "Hustle Culture“, gleichzeitig ist dies aber auch eine gefährliche Botschaft, die in den letzten Jahren vermehrt in den Sozialen Medien ihren festen Platz hat. Warum ist diese Botschaft gefährlich? Weil es emotionale Unterdrückung zugunsten von Erfolg glorifiziert und damit eine toxische Arbeitskultur fördert. Hustle Culture verlangt von Menschen, dass sie sich konstant auf Erfolg und Produktivität fokussieren, oft auf Kosten ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit. Der Druck, immer produktiv und erfolgreich zu sein, kann zu Burnout, Angstzuständen und Depressionen führen.

Eine Studie aus dem Jahr 2018 ergab beispielsweise, dass fast 90% der Millennials angaben, dass sie aufgrund von Arbeitsstress und Burnout leiden. Eine andere Studie aus dem Jahr 2019 zeigte, dass junge Erwachsene im Alter von 18 bis 25 Jahren, die eine Vollzeitbeschäftigung haben, ein höheres Risiko für depressive Symptome und Schlafstörungen haben als ihre Altersgenossen, die Teilzeit arbeiten oder nicht arbeiten. Da ist die Aussage des Unternehmers Alex Partridge: „Hustle Culture isn’t a race to the top. It´s a race to the bottom. It´s a race to burnout“ nur berechtigt. Diese moderne Epidemie der Überarbeitung und Erschöpfung ist in der Gesellschaft weit verbreitet, insbesondere bei jungen Menschen, die von der Idee besessen sind, schnell Erfolg zu haben. Dabei wird oft vergessen, dass Erfolg nicht nur von harter Arbeit, sondern auch von der Fähigkeit abhängt, seine Bedürfnisse und Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Genau dieser wichtige Aspekt wird in der Hustle Culture nicht berücksichtigt, obwohl er so wichtig ist.

Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft dieses Bild von „Hustle Culture“ kritisch hinterfragen und Alternativen für eine gesunde Arbeitskultur finden, die Raum für persönliches Wachstum und Erholung lässt. Wir müssen uns daran erinnern, dass unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden wichtiger sind als der Erfolg um jeden Preis. Dass die kritische Auseinandersetzung schon in verschiedenen Kreisen stattfindet, kann man an der Debatte rund um die 4-Tage-Woche sehen. Es gibt also Hoffnung in Form von jüngeren Generationen, die kollektiv die "Hustle Culture" ablehnen. Die Arbeiterkammer hat in einer neuen Umfrage festgestellt, dass es in Österreich einen starken Wunsch nach Verkürzung der Arbeitszeit gibt. Die Umfrage unter 4.700 Personen ergab, dass 82% der Befragten eine Veränderung der Arbeitszeit wünschen, da viele Beschäftigte sich ausgelaugt fühlen und jede dritte befragte Person glaubt, es im aktuellen Job nicht bis zur Pension zu schaffen. Die AK fordert die Überarbeitung des fast 50 Jahre alten Arbeitszeitgesetzes und die Einführung eines neuen Gesetzes mit weniger Wochenstunden. Die SPÖ unterstützt diesen Vorstoß. AK-Präsidentin Renate Anderl betont, dass Österreich die dritthöchste Arbeitszeit in der EU hat. 

Als Gegenreaktion gibt es in der Gesellschaft die Anti-Work-Bewegung, die kritisch gegenüber der traditionellen 9-5 Arbeitswoche und dem kapitalistischen System stehen. Die größte organisierte Anti-Work-Community im Internet ist der Subreddit r/antiwork auf Reddit, die sich zusammengeschlossen hat und tagtäglich gegen die Hustle Culture schießt. Die Mitglieder des Subreddits werden als „Idlers“ also als "Müßiggänger" bezeichnet, in Anspielung auf die protestantische Arbeitsethik, die die Arbeit als den Mittelpunkt des Lebens sieht. Derzeit gibt es 2.5 Millionen Idlers, von denen 27.877 Menschen bereits arbeitslos sind. Diese Anzahl wird stolz auf der Subreddit Seite präsentiert. Diese Community ist somit wahrscheinlich der einzige Ort auf der Welt, wo du dafür gefeiert wirst, arbeitslos zu sein. In der Beschreibung steht, dass sich der Subreddit an die richtet, die die Arbeit beenden wollen, neugierig auf das Ende der Arbeit sind, das Beste aus einem arbeitsfreien Leben herausholen wollen und mehr Informationen über Anti-Arbeits-Ideen suchen. Einige fordern in diesem Zusammenhang die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.

„Unemployment for all – not just the rich “, so lautet das Motto dieser Community. Diese existiert schon seit 2013, aber wuchs erst während der COVID-19-Pandemie rapide an. Besonders seit dem Frühjahr 2021, als sich in Amerika das Phänomen "Great Resignation" abzeichnete, bei dem mehr als 33 Millionen Menschen freiwillig gekündigt haben, ist das Subreddit weitergewachsen. Ich habe mir selbst einen Einblick in diese Reddit Community verschaffen und habe gemerkt, wie schnell ich da wieder rauswollte. Von der „Gen Z Denkweise“, die in dieser Community stark vertreten wird, dass das Leben nur aus Spaß und Erholung bestehen sollte und, dass alles, was mit Arbeit zu tun hat verstoßen wird, bin ich auch kein Fan. Idealerweise findet man eine gute Work-Life- Balance, hat ein gesundes Sozialleben und akzeptiert die natürlichen Grenzen seines Körpers. 

Um es mit Kim Kardashians Worten zu sagen: "Get your fucking ass up and work. It seems like nobody wants to work these days. You have to surround yourself with people that want to work." Auf den ersten Blick mag diese Aussage zwar sinnvoll erscheinen. Allerdings gibt es einen großen Unterschied zwischen denjenigen, die hart arbeiten und dabei reich werden, und denen, die genauso hart arbeiten und dennoch Schwierigkeiten haben, ihre Rechnungen zu bezahlen. Letztere machen auch oft unbezahlte Überstunden, schlafen zu wenig und leiden unter chronischem Stress – ohne Aussicht auf finanziellen Erfolg. Dies ist ein weiterer Aspekt der toxischen Hustle Culture. Diese ganzen Coaches im Internet, die, seit ein paar Jahren vermitteln wollen, dass das alles allein mit Willenskraft und Disziplin für jeden zu erreichen ist – liegen nicht nur falsch, sondern berücksichtigen die Realität von Arbeitnehmern in prekären Verhältnissen nicht. Und geben dazu einer ganzen Generation das Gefühl nicht genug zu sein.

 

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