Die stumme Masse

25. September 2015

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24%
Foto: Verein Wiener Jugendzentren

320.000 Menschen in Wien sind über 16 Jahre alt, leben teilweise schon seit Jahren in Österreich, haben aber kein Wahlrecht. Ihnen fehlt die Staatsbürgerschaft. Der Verein Wiener Jugendzentren sieht darin eine große Gefahr für die repräsentative Demokratie und möchte das mit der #InitiativeWahlrecht ändern.

Laut dem Wiener Integrations- und Diversitätsmonitor sind mit Stand 2013 24% der in Wien lebenden über 16-Jährigen bei der Wiener Gemeinderatswahl nicht wahlberechtigt. In absoluten Zahlen sind das 320.000 Menschen, die keine Stimme haben, wenn es darum geht die politische Vertretung in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld zu wählen. Entsprechen würde diese Zahl der Gesamtbevölkerung der Bezirke Donaustadt und Floridsdorf (317.766) und ist auch höher als die EinwohnerInnenanzahl von Graz (271.984), die zweitgrößte Stadt Österreichs.

Wer sind die 24% und warum dürfen sie nicht wählen?

Das sind all jene Menschen mit Migrationshintergrund, die über 16 Jahre alt sind, seit Jahren in Österreich leben und ihren Lebensmittelpunkt in Wien haben. Weil sie aber keine österreichische Staatbürgerschaft haben, dürfen sie politisch nicht mitbestimmen. Grund dafür ist das strenge österreichische Staatsbürgerschaftsrecht, das zu den restriktivsten in Europa gehört.

Die Staatsbürgerschaft wird in Österreich nach dem Abstammungsprinzip verliehen: Ein Kind erhält bei der Geburt automatisch die Staatsbürgerschaft der Eltern. Das gegensätzliche Prinzip dazu ist das „Bodenrecht“, das an den Geburtsort des Kindes anknüpft. Ausgeübt wird dieses Prinzip vor allem in den USA: Alle in den USA geborene Kinder erhalten automatisch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, ganz unabhängig davon, ob ihre Eltern sich legal oder illegal im Land befinden.

Für ausländische StaatsbürgerInnen ist der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft eine teure und schwierige Angelegenheit. Je nach Landesgebühren sind damit Kosten von 800 bis 1300€ verbunden. Dazu kommen noch die hohen Einkommensvoraussetzungen. Eine 2011 durchgeführte Studie der Arbeiterkammer stellte fest, dass selbst etwa 30-40% der österreichischen Arbeiter und 60-70% der österreichischen Arbeiterinnen im Jahr 2011 weniger Einkommen erzielten als für die Verleihung der Staatsbürgerschaft notwendig wäre. Auch die geforderte Mindestaufenthaltsdauer ist mit 10 Jahren sehr lange. Eine längere Aufenthaltsfrist hätte Österreich, ohne dem EU-Recht zu verstoßen, nicht bestimmen können.

Wie könnte man dieses Problem entschärfen?

Es gibt verschiedene Ansätze, die das Problem der Ausgrenzung entschärfen und ein stärkeres Miteinander fördern könnten: Möglich wäre beispielsweise eine Erleichterung beim Erlangen der Staatsbürgerschaft und/oder eine Ausweitung des Wahlrechts für dauerhaft in Wien lebende AusländerInnen auf kommunaler Ebene. Die dritte Möglichkeit wäre die Schaffung einer Doppelstaatsbürgerschaft nach deutschem Vorbild.

Länder wie Schweden, Dänemark, Großbritannien und die Slowakei haben beispielsweise ihr Wahlrecht und teilweise auch das Staatsbürgerschaftsrecht den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen angepasst.

Warum ist eine Lösung dringend notwendig?

Wenn in Österreich keines der oben erwähnten Wege eingeschlagen wird, wird das bereits vorhandene demokratiepolitische Problem noch größer. Denn die aktuellsten Zahlen der Statistik Austria mit 1.1.2015 zeigen, dass der Anteil der nicht wahlberechtigten in Wien lebenden über 16-Jährigen von 24% auf 26% gestiegen ist. Es sind also nicht mehr 320.000 Personen, die schon seit Jahren in Österreich leben, sich aber nicht politisch äußern können, sondern schon 400.000 Menschen. Erwähnenswert ist diesbezüglich auf jeden Fall, dass diese Prognosen vor den großen Fluchtbewegungen  gemacht wurden.

Falls das Wahlrecht nicht angepasst wird, ist bei gleicher Wahlbeteiligung wie 2010 davon auszugehen, dass in Zukunft die Gruppe der Nicht Wahlberechtigten die Gruppe der Nicht-WählerInnen übertreffen und mehr Personen umfassen wird, als die stärkste Partei an Stimmen erhält. Wenn aber bei den Wahlen, die größte Gruppe diejenigen bilden, die über 16 sind aber nicht wählen dürfen und die zweitgrößte Gruppe die ist, die nicht wählen geht, dann fehlt der repräsentativen Demokratie ganz eindeutig die Legitimation.

Wer diese Entwicklung öffentlich sichtbar machen und die #InitiativeWahlrecht unterstützen möchte, kann ganz einfach mitmachen: Vorlage-Zettel runterladen (http://typo.jugendzentren.at/vjz/index.php?id=221), ausdrucken, eine persönliche Botschaft drauf schreiben, Foto machen und mit dem Hashtag posten.

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