„Du bist eine Frau, du kannst das nicht!“

10. August 2015

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Duygu Ical
Foto: Christoph Liebentritt

Es ist fünf vor neun. Im Stadion Center ist es noch relativ ruhig, die meisten Shops haben noch zu. Nur in der Bäckerei herrscht Frühstückshektik. Alle wollen sich den letzten Energiekick holen, bevor der Tag richtig losgeht. Kaffee so weit das Auge reicht oder in dem Fall eher so weit die Nase riecht: Der feine Geruch von Kaffeebohnen verbreitet sich im Raum, aromatisch stark, etwas würzig. Der kleine Stefan, der braucht aber keine Verstärkung, er sprudelt nur so vor Energie. Der Mutter bleibt nichts anderes übrig als ihm hinterher zu sprinten. Noch bevor sie ihn einholen kann lassen seine koordinativen Fähigkeiten nach, er fällt. Für den kleinen Jungen ist aber kein Hindernis zu groß, er steht ganz alleine wieder auf und läuft einfach lachend weiter. Eine ähnliche Einstellung hat auch Duygu Ical, die stolze Besitzerin des Bistrolokals „Stadion Kebap und Pizza“.

Die 27-Jährige ist eine erfolgreiche Unternehmerin. Für ihre kreative Idee, freundliche KundInnen weniger zahlen zu lassen, ist sie in den Medien national und international viel gelobt worden. Höflichkeit und Respekt sind ihr wichtig. Das spiegelt sich auch in der Preisliste wider. Wie sie es aber geschafft hat, in dieser sonst stark männerdominierten Branche Fuß zu fassen und so erfolgreich zu sein, darüber wurde fast nie gesprochen.

 „Als Frau und als Migrantin musst du dich doppelt beweisen“, sagt Duygu. Das sei die größte Herausforderung auf dem Weg zur Selbständigkeit. „Es sind vor allem Männer in dieser Branche. Ich musste mal den Männern Respekt zeigen damit ich auch respektiert werde. Das ist sonst so schwierig, die sind alle über 40 und ich bin 27. Es war nicht leicht, aber mittlerweile respektieren sie mich“, erzählt sie mir als ein Kunde kommt und sich im Menü nach dem passenden Snack umschaut. „So sind halt die meisten türkischen Männer. Sie wissen alles besser und denken, sie können alles besser. Dann zeigt man ihnen halt, dass es anders auch geht.“

 „Hat es Leute gegeben, die dir den Schritt in die Selbstständigkeit ausreden wollten?“, frage ich sie. Ich kann die Antwort leider schon ahnen. Die Antwort, dass es viele gab, wundert mich nicht. „Du bist eine Frau, du kannst das nicht“, haben sie gesagt, „du bist zu dumm“, erzählt sie mir mit einem neutralen Gesichtsausdruck. Es ärgert mich, dass wir nicht das Privileg haben, uns über diese Aussage wundern zu können. Anekeln tut sie uns, aber wundern nicht. Diese Kernidee des patriarchalen Systems ist leider zu weit verbreitet. „Die Leute haben meine Eltern und meine Verwandten angerufen und gesagt „Seid ihr wahnsinnig? So ein tolles Geschäft könnt ihr doch nicht einem Mädchen übergeben“. „Das Mädchen“ war damals übrigens schon 25 Jahre alt. Den Eltern waren diese Aussagen aber egal, sie haben ihre Tochter tatkräftig unterstützt.

Gegen schon lang bestehende Strukturen in der Branche wehrt sich Duygu. Das weitgehend bestehende System akzeptiert sie nicht. In ihrem Lokal habe sie alles verändert. Ein neues Team, eine neue Buchhaltung und freundliche KundInnen, die sich Dank der alternativen Preisliste zu benehmen wissen . Es gibt keine Spuren mehr von der Zeit, als ihr Vater noch das Lokal geführt hat.

Mittlerweile holen sich viele türkische Männer sogar Tipps von ihr, um ihre eigenen Lokale zu verbessern. Es war ihr starker medialer Auftritt, der die Wende gebracht hat. Als Zeitungen über ihre innovative Preisliste berichtet haben, durften genau jene Leute, die sie als Frau verachtet haben, mit dem Anblick ihres Fotos in den Tag starten. „Das war ein schönes Gefühl“, sagt sie mir strahlend, „sie dürfen jetzt zuschauen, wie ich meinen Triumph feiere."

Auch wenn viele machthungrige und überprivilegierte Cis-Männer versucht haben, ihr einzureden, dass sie alles besser können, hat sich Duygu Ical nicht kleinkriegen lassen. Sie hat bewiesen, dass sie es viel besser kann. Etwas, was eine Frau in dieser Gesellschaft nicht oft genug beweisen kann.

 

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