„Durch das Heroin habe ich mich lieben gelernt“

08. Juli 2015

Drogenmissbrauch, körperliche Misshandlung und Armut - Ich habe mit einer ehemaligen Heroinabhängigen über ihre Vergangenheit gesprochen.


Ich treffe Anastasia* bei ihr Zuhause, etwa 50 Kilometer von Wien. Ihr direkter Nachbar ist ein Bordell. „Ich bemerke die Mädels gar nicht“, deutet Anastasia meinen neugierigen Blick. „Nur das rote Licht sehe ich abends und manchmal üben sie vormittags mit lauter Musik ihre Choreographie an der Stange.“

Anastasia hat ein hübsches Gesicht, lacht herzlich und wirkt sehr offen. Sie ist schlank, trägt ihre Haare kurz und rot. Ihr Wohnung ist klein, das Klo befindet sich draußen im Gang, die Dusche in der Küche. „Ich will hier nur vorübergehend bleiben, das Wichtigste war für mich, dass meine Kleine ihr eigenes Zimmer hat.“  Während sie anfängt, von ihrer Vergangenheit zu erzählen, rollt sie sich eine Zigarette. Mit 16 hat ihre Drogensucht begonnen. Nachdem sie ein paar Mal gekifft hat, versucht sie Ecstasy - der Effekt reicht ihr aber nicht. Sie startet gleich mit einer Mischung aus Kokain und Heroin und merkt sehr lange nicht, dass sie in eine Abhängigkeit gerutscht ist. „Mein Ex-Freund Matthias* hat das Zeug anfangs immer besorgt und das Gefühl war einfach unbeschreiblich“, erinnert sie sich. „Ich war damals in der Berufsschule und habe diese Zeit als die geilste meines Lebens in Erinnerung.“

Tattoo, Diamant, Zigarette
"Freiheit ist mein größter Schatz, deswegen habe ich mich für dieses Tattoo-Motiv entschieden"

„Drogendealer erkennen Junkies sofort“

Nach einem Jahr trennt sich die heute 23-Jährige von Matthias, sie will weg von den Drogen. Gespritzt hat sie nie, dafür war ihre Angst vor Spritzen zu groß. „Aber geschnupft habe ich wie eine Verrückte.“ Ihr Plan des Clean-Werdens geht allerdings nicht auf, sie kapiert schnell, dass sie süchtig ist. „Wenn ich einen Tag lang nichts hatte, hat mein ganzer Körper gezittert und ich habe mich grottenschlecht gefühlt.“ Also beginnt sie, selbst Drogen zu besorgen und macht sich alleine auf den Weg nach Wien. „Ich bin einfach nach Meidling gefahren und wurde ziemlich schnell fündig“, erinnert sie sich. „Ich weiß, dass klingt jetzt blöd, aber ich habe immer nach Schwarzen Ausschau gehalten.“ Sie bemerkt meinen verdutzten Blick. „Schau, Drogendealer erkennen Junkies sofort, genauso wie Junkies Drogendealer erkennen“, stellt sie fest. „Es braucht nur Augenkontakt, ein kurzes Kopfnicken und schon ist die Verbindung da.“ Das macht sie mehrmals die Woche. Sie macht Schulden bei ihren Freunden, Arbeitskollegen und ihrem Vermieter. „Ich habe täglich etwa vier bis fünf Gramm gebraucht, wobei ein halber Gramm circa 50 Euro gekostet hat.“ Das Zeug war mit Morphium gestreckt, das hat sie erst viel später erfahren.

Der kalte Entzug

Nachdem sie drei Monate lang selber für ihre Drogen gesorgt hat, will sie endgültig clean werden. Sie ist abgemagert, vergisst auf ihre Hygiene und ist ein Schatten ihrer selbst. „Kennst du diese Junkies, die dich nach Kleingeld oder einer Zigarette fragen?“, fragt sie mich. „Diese Menschen verlieren jegliches Schamgefühl und denken, sie sind einfach nur sehr offen. Sie verstehen nicht, was peinlich ist, was sich nicht gehört und merken gar nicht, wie sie aussehen“, erklärt sie. „Alltägliche Dinge wie Zähne putzen, bürsten, duschen und Wäsche waschen werden so irrelevant, wenn du nur an das Eine denkst.“ Als ihr gesamtes Leben kurz vor dem Zusammenbruch steht, ihr Vermieter sie rausschmeißen will und sie ihren Job verliert, entscheidet sie sich für einen kalten Entzug. Eine Woche lang sperrt sie sich in ihre Wohnung ein. Um sich noch mehr zu fordern, legt sie 50 Euro auf den Tisch. „Ich wollte mich wissen lassen, dass ich auf die Drogen verzichte, nicht weil ich das Geld nicht habe, sondern um endgültig aufzuhören.“ Krämpfe, Schüttelfrost, Übelkeit, Fieber - sie beschreibt den kalten Entzug als die schlimmsten Schmerzen, die sie jemals durchgemacht hat.

„Ich habe Liebe immer bei den falschen Männern gesucht“

Anastasia stammt aus einer sozialschwachen Familie. Ihre Mutter verlässt ihren Vater, als sie drei Jahre alt ist. Ihre jüngere 19-jährige Schwester kriegt ihr Leben auch nicht so ganz auf die Reihe, ihre ältere Schwester ist geistig behindert und auf dem Niveau einer Sechsjährigen. Ihre Mutter ist seit ein paar Monaten im Ausland und lebt bei einem ehemaligen Häftling. Auf meine Frage, wieso Anastasia in die Drogenszene gerutscht ist, meint sie eine Antwort zu kennen: „Meine Mutter war nie fähig, mich zu lieben. Sie konnte nur schwer Gefühle zeigen und hat mich von Kleinauf in eine Art Abhängigkeitsverhältnis gezwängt - sei es finanziell oder existenziell.“ So erklärt sie sich auch das Verlangen, fast schon ekstatisch geliebt zu werden. „Ich habe nie viel von mir selbst gehalten“, so Anastasia. „Erst durch das Heroin habe ich mich lieben gelernt.“

Die problematische Beziehung zu ihrer Mutter und die fehlende Vaterrolle sind ihrer Meinung nach auch die Gründe, warum sie sich immer in die falschen Männer verliebt hat. „Ich habe Liebe immer bei den falschen Männern gesucht.“ Während Matthias auch heute noch an der Spritze hängt, ist der Vater ihrer Tochter Bella ein alkoholabhängiger, gewalttätiger Rom, der sie körperlich und psychisch misshandelt hat. 2011 wollte sie sich von ihm trennen. Sie erfährt aber, dass sie schwanger ist. Da waren die beiden gerade sieben Monate zusammen. „Seine ganze Familie und er haben geschworen, mich ab jetzt besser zu behandeln.“ Aber selbst während der Schwangerschaft misshandelt er Anastasia. Sie trennt sich aber erst von ihm, als er sich neben ihrer gemeinsamen Tochter betrinkt, statt auf sie aufzupassen. Seine letzten Worte an Anastasia waren: „Ich hätte lieber in meine Mutter spritzen sollen als in dich.“

Drogen, Heroin, Frau
Foto by Alexandra Stanic

Sieben Jahre lang ist sie clean, dann hat sie einen Heroinrückfall. Damals arbeitet ihre Mutter noch in einem Krankenhaus und lässt Medikamente mitgehen. Die drückt sie Anastasia mit folgenden Worten in die Hand: „Ich brauche sie doch nicht, aber wegschmeißen will ich sie auch nicht. Vielleicht kannst du sie ja irgendwem andrehen.“ Angedreht hat sie die Tabletten niemanden, stattdessen dröhnt sie sich mit ihrem damals aktuellen Freund Dominik* zu. Ihre kleine Schwester hat während ihres Rausches auf Bella aufgepasst, volle drei Tage soll der Blackout gedauert haben. „Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was passiert ist, ich weiß nur, dass ich meinen Ex Matthias angerufen habe und er mir Heroin besorgt hat.“ Aufgewacht ist sie im Krankenhaus, um ein Haar wäre sie gestorben. „Mein Herz hat aufgehört zu schlagen und wäre der Hubschrauber nicht so schnell gekommen, wäre ich wohl draufgegangen.“ Wegen diesem Rückfall ist sie zwei Jahre lang auf Bewährung und darf Bella nur aus einem Grund behalten: Sie hat Matthias bei der Polizei verpfiffen.

„Junkies können Drogen nicht genießen“

Heute ist Anastasia noch immer nicht ganz weg von den Drogen. Einmal pro Woche kifft sie, „aber nie vor der Kleinen und nur wenn sie schon schläft.“ Alle paar Monate, wenn Bella bei einer Freundin übernachtet, geht sie weg und nimmt Speed. „Weißt du, ich mag Drogen und werde sie immer mögen“, versucht sie mir zu erklären. „Aber merkst du denn nicht, wie viel dadurch kaputt gegangen ist?“ frage ich und komme nicht drumherum, sie zu verurteilen. „Schau, Junkies können Drogen nicht genießen“, so Anastasia. „Sie brauchen sie und sind abhängig - anders als bei mir.“ Für Anastasia sind Drogen der Fluchtweg in eine sorglose Traumwelt: Weg von der Realität, der Vergangenheit und den Problemen, die sie hat. Zumindest für ein paar Stunden.

Gestern habe ich diese Nachricht von Anastasia erhalten:

„Aja, das letzte Mal, wo ich beim Fortgehen wieder was gedingst hab, wars nicht so wie immer. Und ich denke das wars jetzt. Ohne Scheiß, hab kein Verlangen mehr fürs Wochenende was zu holen. Ich packs selber nicht. Ich konnte abschließen damit. bzw ich denk gar nicht mehr daran. So dumm, ist eh klar das ich immer wieder was gemacht habe, hatte ja nur Personen, die das auch gemacht haben. Manchmal frag ich mich echt.. Ich bin voll der Mitläufer eigentlich…“


* Name von der Redaktion geändert

 

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