Ende der politischen Stabiltität

05. Oktober 2015

Im Südosten der Türkei herrscht ein erbitterter Kampf. Sicherheitskräfte versuchen die kurdische Bevölkerung mit Gewalt einzuschüchtern. Bei den Neuwahlen sollen Stimmenzuwächse für die HDP verhindert werden.

Es ist ein verstörendes Video, das sich am gestrigen Sonntag durch die sozialen Netzwerke verbreitet. Ein lebloser Körper ist an einen PKW angekettet und wird durch die Straßen der südöstlichen Stadt Sirnak geschleift. Bei dem toten Mann handelt es sich um den Schwager einer HDP-Abgeordneten. Wenn man einen genauen Blick auf das Video wirft, erkennt man, dass es sich bei dem Wagen um ein Polizeiauto handelt. Der Mann, der für die Untergrundorganisation PKK gekämpft hat, wurde offensichtlich von Sicherheitskräften getötet und von diesen auch geschändet.

Da ich die mediale Darstellung von Todesopfern ablehne, wird das Bild hier nicht gezeigt.

Reine „Vorsichtsmaßnahme“

Die regierungsnahe Tageszeitung „Aksam“ berichtete, dass es sich um ein echtes Video handelt. Allerdings rechtfertigt sie die Vorgehensweise der Polizei damit, dass das Fesseln eines „toten Terroristen“ an ein Vehikel und das anschließende Ziehen durch die Straßen in Konfliktgebieten üblich und eine reine „Vorsichtsmaßnahme“ sei.

Dieses Ereignis ist nicht nur verstörend. Es gibt einen Eindruck davon, in welch negative Richtung sich das Land in nur wenigen Monaten entwickelt hat.

"Türkische Kristallnacht"

Mit der Parlamentswahl am 7. Juni endete in der Türkei eine Phase der politischen Stabilität. Die Reaktion des Präsidenten auf das Wahlergebnis, insbesondere auf den Einzug der Kurdenpartei HDP, hat das Land um 20 Jahre zurückgeworfen. Statt das Wahlergebnis anzuerkennen, hat Recep Tayyip Erdogan den Kurdenkonflikt wieder aufflammen lassen, um den Kurden ein Exempel zu statuieren. In zahlreichen türkischen Städten kam es daraufhin zu pogromähnlichen Zuständen: Kurdische Geschäfte, Wohnungen und Parteibüros der HDP wurden geplündert. Erdogan-Anhänger stürmen mit „Allahu Akbar“-Gebrüll Medienhäuser, die regierungskritisch berichtet haben. Selbst Polizisten beteiligten sich an Plünderungen. Internationale Medien sprachen von einer "türkischen Kristallnacht". Sinnbild dieses Konflikts wurde die südosttürkische Stadt Cizre. Sie wurde tagelang vom Rest der Welt abgeschnitten. Bei den Kämpfen kamen auch Zivilisten ums Leben.

Korruption

Der sonst so selbstsichere Erdogan wirkt allmählich nervös. Umfragen deuten erneut auf eine Wahlschlappe der AKP hin. Sollte die AKP aus der Regierung ausscheiden, kämen korrupte Machenschaften der Partei ans Licht. Die Ereignisse rund um die Gezi-Proteste, der protzige Präsidentenpalast, der Berichten zufolge ein Schwarzbau sei, sowie illegale Parteifinanzierungen wären Gegenstände von Gerichtsverhandlungen. Damit die Wahl aus Erdogans Sicht erfolgreich ausfällt, ist er auf die Stimmen der Nationalisten angewiesen, die einen Frieden mit den Kurden unter allen Umständen verhindern wollen. 

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