Entwürdigt und Entmenschlicht: Warum auch wir eine Mitschuld an den Obdachlosen-Attacken tragen

23. August 2023

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Obdachlose in Wien: Marginalisiert, Diskriminiert und Ignoriert. (C) Ben_Kerckx/Pixabay

Gewalt gegenüber Obdachlosen ist so präsent wie noch nie zuvor, und die Hilfsmaßnahmen reichen bei weitem nicht aus. Aber tun wir bitte nicht so, als wären wir nicht Teil des Problems.

Von Mathias Psilinakis

12. Juli: Ein 56-jähriger Obdachloser wird erstochen in Brigittenau aufgefunden. 22. Juli: eine 51-jährige Obdachlose wird in der Leopoldstadt attackiert und schwer verletzt. 9. August: Messerattacke auf einen 55-jährigen Obdachlosen in der Josefstadt, der Mann verstirbt wenige Tage später im Krankenhaus. Es besteht der Verdacht, dass es sich um einen Serientäter handeln könnte.

Pfeif drauf?

Wien erlebt gerade ein noch nie zuvor gesehenes Ausmaß an Gewalt gegenüber Wohnungslosen. Schon bald nach den Angriffen wurden Maßnahmen gesetzt, um Menschen auf der Straße vor weiteren Attacken zu schützen. So wurden etwa im Tageszentrum Obdach Josi fünfzig Schlafplätze eingerichtet, um Betroffenen auch in der Nacht einen Zufluchtsort zu gewährleisten. Auch die Wiener Polizei sensibilisierte ihre Streifen in bestimmten Gegenden, nachts besonders aufmerksam zu sein.

Aufmerksamkeit bekam vor allem eine Ansage der Caritas, fortan Trillerpfeifen und Taschenalarme an Obdachlose zu verteilen. In einer Instagram-Story der Caritas erklärt die Leiterin der Streetwork, Susanne Peter, dass die Pfeifen und Alarme verteilt werden „mit der Hoffnung, dass sie niemand verwenden muss“. Angesichts der aktuellen Lage wohl eher unrealistisch.

Die Reaktionen auf die Initiative der Caritas waren nicht nur positiv. Im Internet häufen sich die Kritiken, dass es sich bei den Maßnahmen um einen Tropfen auf dem heißen Stein handle. „Einfach krank“ ist etwa unter einem Standard-Bericht zu lesen. „Mit einem Bauchstich lässt's sich schwer in ein Pfeiferl blasen“.

Spielen wir doch nicht die Moralapostel!

Natürlich hat diese Kritik ihre Berechtigung: Es wird zu wenig getan, um Obdachlosen zu helfen und sie vor den Gefahren ihrer Lebensrealität zu schützen. Aber ist es denn wirklich sinnvoll, diejenigen zu kritisieren, die aktiv nach Lösungen suchen, während ein Großteil der Österreicher:innen Obdachlose jeden Tag aufs Neue entmenschlicht?

Bitte tun wir doch nicht so, als wären wir immer schon auf der Seite der Obdachlosen gewesen. Weiterhin werden wohnungslose Menschen in Städten durch Hostile Design aktiv davon abgehalten, im öffentlichen Raum zu schlafen. Weiterhin wechseln wir die Straßenseite, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Und weiterhin weigern wir uns, ihnen auch nur in die Augen zu schauen. Diese Entmenschlichung einer bereits stark marginalisierten Gruppe darf nicht von den Attacken auf Obdachlose getrennt werden.

Wo bleibt die Zivilcourage?

In Österreich gab es 2021 rund 20 000 registrierte Obdachlose, mehr als die Hälfte davon schläft in Wien – wie hoch die Dunkelziffer ist, lässt sich nur erahnen. Es braucht Maßnahmen, um diese Personen zu schützen, keine Frage. Aber es braucht auch ein Ende der Stigmatisierung und mehr Zivilcourage. Denn keiner will obdachlos sein.

Es lässt sich nur erhoffen, dass die Ermittlungen der Polizei bald zu Ergebnissen führen. Schließlich sind bei der Polizei schon mehrere Duzend Hinweise zu den Ereignissen der letzten Wochen eingegangen. Ob wohl die 10 000 Euro Belohnung mit dieser Welle an neuen Informationen zu tun hatten?

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