Türkis-Grün: Es ist auch Liebe

07. Januar 2020

Ja, es waren sicher „schmerzhafte“ Zugeständnisse, die Grünen-Chef Werner Kogler und sein Team machen mussten. Und ja, es war richtig, die Chance auf eine grüne Regierungsbeteiligung nicht an der Ausweitung des Kopftuchverbots oder der umstrittenen „Sicherungshaft“ scheitern zu lassen. Was zählt ist das Ergebnis: Eine türkis-grüne-Regierung ist allemal besser als die Wiederauflage der Ibiza-Koalition. Das ist Legitimation genug. 

Wird die neue Koalition aber auch halten? Ziemlich sicher! Denn anders als kolportiert ist Türkis-Grün keine reine Vernunft-Ehe. Das mag so für die Parteichefs, Spitzenfunktionäre und Polit-Profis der beiden Lager gelten. Für etliche Wählerinnen und Wähler von Türkis und Grün hingegen erfüllt die neue Koalition geradezu geheime Sehnsüchte, die bisher von der jeweiligen Parteispitze negiert wurden. 

In Wahrheit können gar nicht so wenige Grüne mit einer restriktiven Migrationspolitik bestens leben, so lange sie selbst ihre Hände in Unschuld waschen können („Es ging halt nicht anders"). Genauso wie gar nicht so wenige Kurz-Wähler - anders als etwa Industrie- oder Wirtschafts-Lobbyisten - keine Bedenken gegen eine Ökologisierung des Steuersystems haben und froh sind, dass die Grünen diese jetzt endlich durchsetzen. 

Kurz sichert für die Grünen die Grenze

Zuerst zu den Grünen: Wer kennt nicht jene grünen Wähler, die zwar gerne im migrantischen Wiener Bezirken wohnen aber ihre Kinder auf jeden Fall in eine Schule innerhalb des Gürtels schicken wollen oder gar in eine Privatschule? Spätestens bei den Kindern hört sich der Spaß mit der Integration auf. In Wahrheit haben sich etliche grüne Wähler (zumindest viele über 35, jene mit Kindern, Stress-Job und damit verbundenem bürgerlichen Lebenstil) innerlich längst von einer grünen oder sonst wie alternativen Migrationspolitik (wie sieht so etwas überhaupt aus?) verabschiedet. Nur eingestehen will sich das noch so richtig keiner. Insofern ist es nur gut, wenn Kanzler Kurz auch für grüne OTK-Bobos die Grenzen sichert. 

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen:  Das Islam-Bashing von Kurz und Co wird von Grün-Wählern als ungustiös empfunden. Trotzdem ist die Verunsicherung groß. Es war kein Zufall, dass Peter Pilz - noch vor seiner Selbstdemontage - mit ähnlicher Kritik am „politischen Islam“ viele Fans unter Grünen fand. Ein paar Kopftücher weniger hin oder her: Jetzt muss man halt die Krot schlucken mit der ÖVP. 

Die Grünen retten für Kurz das Klima

Nicht viel anders ist es bei den Türkisen. Es gibt genügend ÖVP-Wähler, die mit Sympathie, ja Stolz auf ihre engagierten „Fridays for future“-Kids blicken und verstanden haben, dass mit Mülltrennung alleine der Planet Erde nicht zu retten ist. In der ÖVP stand bisher die Industrie und die Parteispitze auf der Bremse. Aber, so heißt es in gutbürgerlichen Kreisen immer öfters: Wir müssen schon „wegen der Kinder“ was tun. Kein Wunder, dass sich der designierte Finanzminister und Bald-Papa Gernot Blümel in einem ZIB2-Interview nicht wirklich toll bemühte, die grünen Klima-Pläne als „schmerzhafte“ Zugeständnisse seitens der ÖVP zu verkaufen.

Damit hat diese Koalition also alles was auch Esprit und Leidenschaft in einer neuen Beziehung verspricht: Gegensätze, die sich anziehen und bisher negierte Sehnsüchte, die erfüllt werden. Das klingt nicht nach Vernunft-Ehe. Das muss auch Liebe sein. 

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