Männer, ihr habt mir meine Freiheit genommen

31. August 2022

Femizid

Femizid, Frauenmord
Foto: Karolina Grabowska

Nichtsahnend scrolle ich vertieft durch meinen Instagramfeed. „32-Jährige durch mehrere Messerstiche getötet.“ Schnell schließe ich die App wieder. In mir macht sich ein seltsames Gefühl breit. Wie oft soll ich denn noch solche Nachrichten lesen? Dieser Mord ist die 26. Tötung einer Frau in Österreich in diesem Jahr.


von Emilija Ilić

Als junge Frau in Wien fühle ich mich eigentlich sicher. Ich bin viel allein unterwegs und mache mir selten Sorgen, dass mir etwas passieren könnte. „Schreib mir, wenn du zuhause bist“, habe ich schon tausende Male gehört und mich nie daran gehalten. Was soll denn schon passieren? Ich habe mich immer ins Taxi auf den Beifahrersitz gesetzt, um mit dem Fahrer zu quatschen. Mich hat es immer wütend gemacht, wenn meine männlichen Freunde darauf bestanden haben, mich nach Hause zu begleiten. Ich bin wohl in der Lage allein nach Hause zu gehen. Traut ihr mir nicht zu, dass ich das selbst schaffe?

Doch in den letzten Monaten hat sich bei mir etwas verändert. Mit jedem Femizid fühlte ich mich immer unsicherer. Mir ist bewusst, dass Frauenmorde leider oft von Männer im nahen Umfeld getätigt werden. Österreich hat ein sehr großes Problem, was die Sicherheit von Frauen betrifft. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern, befindet sich Österreich an der Spitze, wenn es um Gewalt an Frauen geht. Laut den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern (AOEF) werden monatlich etwa drei Frauen ermordet. Zwischen Täter und Opfer besteht überwiegend ein Beziehungs- oder familiäres Verhältnis. Der Gedanke, dass ein fremder Mann mich auf offener Straße angreifen könnte, ist also eher unwahrscheinlich. Für mich auch immer unvorstellbar gewesen. Aber ist das so unrealistisch?

Fehlende Leichtigkeit

Mittlerweile telefoniere ich mit FreundInnen, wenn ich unterwegs bin. Für den Fall der Fälle habe ich immer meinen Schlüssel fest in der Hand, um ihn notfalls als Schlagring verwenden zu können. Keine Ahnung was ich mit dem anfangen soll. Er gibt mir aber ein sicheres Gefühl. Ich wechsle automatisch die Straßenseite, wenn ich nachts alleine unterwegs bin, und einen Mann in der Entfernung sehe. Wie seltsam mich Außenstehende wahrnehmen, wenn ich mich jede Minute umdrehe, will ich gar nicht wissen. Die netten Gespräche mit Taxifahrern lasse ich auch lieber bleiben. Mir fehlen meine nächtlichen Spaziergänge, um runterzukommen.

Männer, ihr habt mir meine Freiheit genommen. Ich bin es leid mich, klein zu fühlen. Ich bin es leid, Angst zu haben. Ich weiß, dass nicht alle Männer böse Absichten haben. Trotzdem bin ich mittlerweile vorsichtig, wenn sich eine fremde männliche Person in meiner Nähe befindet. Egal in welcher Lebenssituation. Ich hoffe von keinem Femizid mehr lesen zu müssen. Es ist frustrierend zu wissen, dass Frauen nicht genug geschützt sind und wahrscheinlich ein neuer Mord bald wieder für Fassungslosigkeit sorgen wird. Ich bin mit dieser Annahme übrigens nicht alleine: Anna Jandrisevits, Chefin vom Dienst bei "Die Chefredaktion", hat dazu ebenfalls kürzlich einen sehr treffenden Kommentar im Profil veröffentlicht.

 

Wenn du von Gewalt betroffen oder bedroht bist, kannst du dir Beratung und Hilfe bei der Frauenhelpline unter der Nummer 0800/222 55 holen oder dich an Frauenhäuser wenden.

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