Meine kleine Pornospektive

06. August 2015

Liest man das Wort „Weltspiegel“, denkt man an eine seriöse Tageszeitung mit hoher Auflage oder an eine Rundschau zur besten Sendezeit. Möglicherweise auch an ein Pornokino - Ach was, wer würde eine derartige Absteige denn so nennen?

Nun ja, genau dort, gleich bei der Josefstädter Straße, prangt ein Schild mit dieser Aufschrift. Als ich süße 22 war, habe ich mir dort neben dem Studium etwas dazu verdient. Viel war es nicht, aber die Arbeit war auch nicht schwer. Jedenfalls nicht für einen seelenlosen Menschen. Meine Unschuld verlor ich, als mich ein Freund, der mir etwas „ganz Besonderes“ zeigen wollte, dorthin verfrachtete.

Damals, vor elf Jahren, waren Pornoseiten im Web noch nicht verbreitet - also zumindest waren sie mir nicht bekannt. Wie auch immer - kaum im "Weltspiegel" angekommen, kicherten wir wie Schulburschen in einem Dessous-Laden. Kurz darauf stand ich schon hinter der Kassa. Wie es dazu kam, weiß ich bis heute nicht. Wahrscheinlich war es Abenteuerlust gepaart mit der Möglichkeit, meinen Kumpeln etwas Cooles erzählen zu können.

Unmengen an Taschentüchern

Gäste hatten wir nicht viele. Um die vierzig waren es am Tag und nach ein paar Wochen kannte ich sie alle mit Namen. Den einarmigen Banditen mit dem irren Blick oder den notgeilen Weltkriegsveteranen, der mir an die Wäsche wollte. Auch der frivole Hadschi und der schüchterne Messerstecher waren gesprächige Lieblingskunden. So unterschiedlich sie auch waren, eines hatten sie alle gemeinsam: Sie haben Unmengen an Taschentüchern verbraucht. Im Saal selbst war es laut und dunkel, da fiel es nicht auf, wenn der Nachbar plötzlich die Hosen runter ließ... Es war keine tolle Beschäftigung, die nassen Fetzen zu entsorgen, aber Sauberkeit muss sein - sogar im Reich der schmutzigen Fantasien.

Eine winzige Rumänin hatte in diesem - entschuldigt den Ausdruck - Wichsparadies ihrerseits ihre ökologische Nische gefunden. Gegen ein geringes Honorar begleitete sie jeden Freier für einige Minuten auf die Damentoilette, denn die war ja die meiste Zeit unbesetzt...obwohl Frauen bei uns keinen Eintritt zahlen mussten. Das Herrenklo hingegen war ein Dauerschlager, die Wände waren voll mit Handynummern und einschlägigen Botschaften. Ach ja, die Polizei war auch eine Art Stammgast. Sie suchte nach illegalen Prostituierten. Wie oft ich die kleine Rumänin im Produktionslager versteckte, weiß ich gar nicht mehr. Aber eins blieb mir von ihr: Ein trüber Blick, der sich mir im Halbdunkeln für immer ins Herz brannte. Zum Dank sang sie mir dann immer mit einer glasklaren Stimme eine Lied aus ihrer Heimat.

Als verwirrter Halbgläubiger hatte ich damals noch keinen Sex gehabt. Und nachdem ich endlich zu Zeiten des Kinos soweit war, war die Überraschung umso größer. Denn meine Partnerin stöhnte gar nicht so viel und warf sich auch nicht im Bett hin und her, wie ich es von den Filmen gewohnt war. Enttäuscht kündigte ich und bekam Hausverbot. Und dann kamen langsam auch die xxx.coms, die mich und meine Illusionen aus der Pornowelt wieder etwas entschädigten.

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