Offener Brief an Sebastian Kurz

29. Mai 2015

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Sebastian Kurz
Günther Pichlkostner / First Look / picturedesk.com

 

Lieber Herr Integrationsminister,

 

ich muss Ihnen sagen, ich finde, Sie machen Ihr Ding als Bundesminister ziemlich gut. Ihre Politik ist jung und frisch und das Volk mag Sie, auch in Deutschland hört man durchweg Positives. Aber es gibt eine Sache an Ihrer Ausländerpolitik, die verstehe ich nicht. Es geht nicht um das Islamgesetz, keine Sorge. Ich möchte lediglich wissen, wieso ich kein Praktikum in Österreich machen darf, wenn es mir meine Universität nicht vorschreibt?

Damit keine Missverständnisse aufkommen, erkläre ich Ihnen zunächst mal meine ganz persönliche Situation: Ich bin serbische Staatsbürgerin. Geboren bin ich in Serbien, habe 12 Jahre meines Lebens in Deutschland verbracht, besitze für dieses Land auch einen Daueraufenthaltstitel. Meine Matura habe ich in Bayern gemacht und bin nach Österreich gekommen, um  zu studieren.  Angekommen, habe ich mir gleich mein Studentenvisum im MA 35 abgeholt, 5 000 Euro (Voraussetzung für den Visumsantrag) hatte ich natürlich locker auf der hohen Kante, wer nicht? Die bürokratischen Hürden überwunden, absolviere ich gerade mein Studium in sechs Semestern, wie von mir erwartet wird. Das österreichische Gesetz besagt für meine Situation Folgendes:

  1. Nach dem Beenden meines Studiums habe ich sechs Monate Zeit eine Festanstellung zu bekommen, sonst muss ich das Alpenland verlassen. Aber es darf nicht irgendeine Arbeit sein, nein, ich muss mindesten 2 000 Euro Brutto verdienen – wie genau soll das gehen als Absolventin ohne Arbeitserfahrung?
  2. Und schon knüpfen wir an: Arbeitserfahrung! Ich bin eine gute Studentin, und ich habe die Möglichkeit erhalten, mehrere Praktika zu absolvieren – und zwar die tollen Praktika mit Sozialversicherung und guter Entlohnung. Ich wurde unter sehr vielen Bewerberinnen ausgewählt – wenn es mich nicht täuscht, waren es sogar über 80 andere. Aber ich darf sie nicht annehmen. Wer noch studiert, darf nur ein Praktikum machen, wenn es die Uni vorsieht oder empfiehlt. Aus freien Stücken, aus sogenannter Eigeninitiative ist es nicht erlaubt. Wieso?

Wie Sie sehen können ergibt sich ein Widerspruch bei Punkt 1. und 2. : Um einen gutbezahlten Job nach meinem Studium zu kriegen, brauche ich Arbeitserfahrung in Form von Praktika. Der österreichische Staat erlaubt es mir nicht aus gutem Willen mich in die Arbeitswelt einzubringen.

Ich habe nachgefragt beim AMS. „Sie nehmen den österreichischen Bürgern damit Ihre Jobchancen weg. Nur wenn es Ihnen Ihre Uni erlaubt, können wir es Ihnen auch erlauben“. Also Herr Kurz, das verstehe ich nicht. Ich zwinge keinen Arbeitgeber mich anzustellen. Dies tut er aus freien Stücken, und wenn er mich als besser qualifiziert empfindet, worin liegt denn dann das Problem?

Ich muss Ihnen sagen, lieber Herr Integrationsminister, ich bin langsam am Verzweifeln. Ich mag Wien und will hier ins Berufsleben starten– und doch werde ich wahrscheinlich nicht hier bleiben können, wenn nicht endlich Engagement gefördert wird! – obwohl ich mehr als „integriert“ bin. Ich spreche perfektes Deutsch und vier weitere Fremdsprechen, habe einen Einser-Schnitt in der Uni, aber die Bürokratie bremst mich ab.

Mir ist klar, dass es Gesetze geben muss, aber wieso zum Teufel darf ich kein Praktikum während meines Bachelorstudiums machen? Ich habe bereits das vorgesehene Praktikum von der Uni absolviert, aber das reicht dem Arbeitgeber noch lange nicht als Arbeitserfahrung. Sie wollen ja auch niemanden anstellen, der grad mal ein, zwei Monate Kaffee gekocht hat?

Ich möchte so viel Erfahrungen wie möglich sammeln, um nicht vor dem Problem der Arbeitslosigkeit zu stehen. Es wird einem schließlich nichts hinterhergeschmissen. Mein Engagement und meine Bemühungen werden im bürokratischen Dschungel erstickt. Ich hoffe, dass Sie mir sagen können, wie positive Integration in diesem Land belohnt wird.

Danke im Voraus und alles Liebe,

 

Natalija 

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