Prekäre Arbeit

23. Juli 2015

Arbeiten für einen Hungerlohn: Es gibt Menschen in Österreich, die kaum von ihrem monatlichen Verdienst leben können. Zudem erhalten sie keine Wertschätzung und leiden unter psychischer und körperlicher Belastung. Experten nennen dies eine „prekäre Beschäftigung“. biber sprach mit drei Betroffenen.

„Ich arbeite zehn bis dreizehn Stunden am Tag, nur damit ich meine Familie ernähren und die GIS-Gebühren zahlen kann.“, erzählt Dragan, ein 50-jähriger Bauarbeiter. Der gelernte Verkehrstechniker aus Serbien hat es mit besonders harten Zuständen zu tun. Weil er illegal in Österreich lebt, besitzt er weder gültige Papiere noch eine Krankenversicherung. Daher sind Zukunftssorgen bei Dragan allgegenwärtig. Jeden Tag macht er sich Gedanken darüber, wie es im Pensionsalter weitergehen wird.

Prekäre Beschäftigung                             

Immer mehr Menschen in Österreich sind von sogenannten prekären Arbeitsverhältnissen betroffen. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation ILO handelt es sich dabei um einen Erwerbsstatus, der nur eine geringe Sicherheit des Arbeitsplatzes sowie wenig Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung der Arbeitssituation gewährt. Zudem sind die Bedingugnen durch niedrige Löhne gekennzeichnet. Arbeitnehmer in der Bau-, Gastronomie-, Pflege- und Reinigungsbranche sind besonders häufig von diesen Umständen betroffen.

So auch Dragan. Sein Verdienst liegt bei neun Euro in der Stunde. Für die Tätigkeiten, die er macht, findet er es zu wenig: „Der anstrengendste Teil der Arbeit ist die Verschalung des Kellers. Das verwendete Material ist schwer und muss händisch in den ausgegrabenen Keller befördert werden.“ Körperliche Beschwerden habe er keine. Aber eine gewisse Wertschätzung fehle ihm schon.

Zeynep hat ein gepflegtes Auftreten. Als Reinigungskraft habe das für sie einen hohen Stellenwert Mit ihren 48 Jahren wirkt die Wienerin türkischer Herkunft recht jung.  Sie hat lediglich einen befristeten Arbeitsvertrag, durch den sie am Ende des Monats 700 Euro netto bekommt. „Mit so einem niedrigen Gehalt, bin ich auf das Einkommen meines Mannes angewiesen, das er sich als Fernbusfahrer verdient. Über die Hälfte unseres Einkommens geht auf die Miete, Strom, Wasser und Lebensmittel drauf.“, erklärt sie ihre Situation. Zudem lebt ihre Tochter noch in der Wohnung, da saie noch zur Schule geht.

350 Euro und Kopfschmerzen

Auch Richard muss mit einem Hungerlohn auskommen. Das Meiste seines Einkommens muss er für die Miete und Lebensmittel zahlen. Der 25-Jährige mit polnischen Wurzeln ist bei einem Modehaus geringfügig beschäftigt. Weil er keine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen hat, sind seine Jobmöglichkeiten gering. „Tag ein, Tag aus habe ich es mit Kleidung zu tun. Das sind unvorstellbare Berge. 50 Umkleidekabinen sind nur eine Andeutung darauf, wie wild es hier zugeht.“ Am Ende bekommt Richard lediglich 350 Euro und regelmäßig Kopfschmerzen. „Ich tippe darauf, dass die chemischen Zusammensetzungen der Produkte verantwortlich dafür sind, dass ich so oft Kopfweh habe.“, vermutet Richard.

„Wenn man auf eine Stelle angewiesen ist, ist man leider gut beraten sich nicht mit dem Arbeitgeber anzulegen, sollte man mit seiner beruflichen Situation unzufrieden sein.“, sagt Veronika Kronberger von der Gewerkschaft GPA und Betreiberin der Watchlist Praktikum und Watchlist Prekär. In einem kleinen Land wie Österreich seien die Branchen untereinander eng vernetzt, so die 29-Jährige. „Wehren sich Arbeiter gegen unzumutbare Zustände, spricht sich in der Branche schnell rum, dass der Arbeiter ein „Problemfall“ ist. Man hat dann so gut wie keine Chancen wiedereingestellt zu werden.“ Doris Lutz, Rechtsreferentin in der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer, kann dies nur bestätigen: „Wir wissen von ausländischen Bauarbeitern, die keine Arbeit mehr bekommen, weil sie sich gegen Missstände in  der Baubranche gewährt haben.“

Machtlos

Umso wütender ist Dragan auf seinen Chef, der auch einst als kroatischer Gastarbeiter nach Österreich kam, aber die missliche Lage seiner Arbeiter ignoriert: „Er hat scheinbar vergessen, dass ihm damals eine Chance gegeben wurde und hat kein Verständnis für meine Lage.“ Weil Dragan aber auf seine Arbeit angewiesen ist und sich nicht in der Lage sieht, etwas zu ändern, beugt er sich deswegen den Regeln seines Arbeitgebers und will keinen Ärger machen.

Zurück zu Zeynep. Sie ist für ein Dienstleistungsunternehmen tätig, das Reinigungsarbeiten anbietet. 50 Stunden in der Woche ist sie mit Arbeit beschäftigt. 25 Stunden als Reinigungskraft und 25 Stunden als Hausfrau. Jeder Tag beginnt bei ihr um 7 Uhr. Sie reinigt ausgewählte Bankfilialen und Büroräume, sowie zweimal in der Woche den Haushalt einer älteren Dame. 45 Minuten hat sie Zeit, die Bankfiliale sauber zu machen. Danach eilt sie schon zum nächsten Einsatzort. „Mal kurz vor dem Fernseher sitzen und Kaffee trinken ist nicht drin.“, resigniert die 48-Jährige. Erst um 20 Uhr ist sie mit ihrem Tag fertig. Der einzige freie Tag in der Woche ist der Sonntag, aber auch dann muss sie Hausarbeiten machen „Das ist eine Menge Stress, die sich auch auf die Gesundheit niederschlägt. Sehr oft leide ich unter starken Kopfschmerzen und Erschöpfung.“, erklärt Zeynep. „Meine Bandscheibe hat sich auch einmal gemeldet. Kein Wunder, wenn ich mich bei der Arbeit ständig bücken muss.“

„Reinigungskräften wird kein roter Teppich ausgerollt“

Auch wenn sie mal krank ist, betont sie ein wenig mit Stolz, liege sie nicht im Bett, sondern mache weiter ihre Arbeit. Umso größer ist ihr Wunsch nach Anerkennung: „Ich leiste wirklich sehr viel. Aber weil ich mein gesamtes Leben nach schlechtbezahlter Arbeit richte, haben ich kaum was von meinem Sozialleben übrig. Ich weiß nicht, wie sich ein Restaurantbesuch mit Freunden anfühlt.“

Für den Soziologen Jörg Flecker, der seinen Wissenschaftsschwerpunkt auf die Arbeitswelt gesetzt hat, sind solche Darstellungen typische Erscheinungsbilder von nicht wertgeschätzter Arbeit: „Körperliche und psychische Belastungen, niedrige Löhne und die Tatsache, dass man in den Firmenregister der Unternehmen bloß eine Nummer ist, sind Bündelungen ungünstiger Arbeitsbedingungen.“ Es gibt auch kein Anzeichen auf einen Sinneswandel. Laut Arbeiterkammer werden reguläre Arbeitsverhältnisse aufgrund der Globalisierung und der durch ihr entstehende Konkurrenzdruck immer weniger. Unternehmen suchen daher Möglichkeiten, die Lohnkosten auf ein Minimum zu reduzieren und Arbeitsverhältnisse zu „flexibilisieren“.

Den Konkurrenzdruck unter Bauarbeitern spürt Dragan zwar ganz besonders, versucht dennoch die Hoffnung nicht aufzugeben. „Wien ist eine Stadt der Baustellen. Solange es sie gibt, wird es Leute wie mich auch geben.“

 

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