„Red‘ ma Deutsch!“ und die Scham über die eigene Muttersprache

09. November 2022

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Biber-Stipendiatin Özben sieht Mehrsprachigkeit als enorme Bereicherung. ©Zoe Opratko

Von „Türkisch zu sprechen, behindert deinen Lernprozess“, bis hin zu „Dein Türkisch klingt komisch“ – So richtig recht machen kann man es keiner Community. Meine Muttersprache war mir jahrelang peinlich, heute genieße ich die enormen Vorteile meiner Zweisprachigkeit.

Was passiert, wenn die Muttersprache plötzlich etwas wird, wofür man sich schämt? In meiner schulischen Laufbahn wurden immer wieder Witze über meine Herkunft und Muttersprache gemacht, es wurde ständig thematisiert. Ob es nun meine MitschülerInnen waren, die ständig „Wallah“ sagten oder mich „Döner“ nannten und lachten (Wallah stammt übrigens aus der arabischen Sprache und ist gar nicht Türkisch) oder die LehrerInnen die mich anstarrten, wenn wir über GastarbeiterInnen sprachen. Damals lachte ich mit. Nichts war für mich wichtiger als dazu zu gehören und dazu musste ich mich eben anpassen. Zudem gehört Türkisch nicht wie Englisch, Französisch oder Spanisch zu den sogenannten „Elite-Sprachen“ im deutschsprachigen Raum.

In Wels, der zweitgrößten Stadt Oberösterreichs, wurde kürzlich eine Hausordnung mit fünf Regeln aufgestellt. Der Hintergrund dazu ist, dass es viele Beschwerden bezüglich Lärms und Müllentsorgung gab. Mit diesen Regeln soll nun die Lebensqualität der Stadt gesteigert werden. Eine davon ist, dass auf Spielplätzen nur noch Deutsch gesprochen werden soll unter dem Slogan „Red‘ ma Deutsch“. Bürgermeister Andreas Rabl (FPÖ) erklärte hierzu, dass eine gemeinsame Sprache Missverständnisse und Konflikte verringern solle. Ein Ansatz den ich nicht ganz nachvollziehen kann. Kinder haben eine eigene Art der Kommunikation und Verständigung, auch non-verbal. Eine gemeinsame Sprache zu finden ist enorm wichtig, aber die Muttersprache an einem öffentlichen Platz gänzlich zu verbieten sehe ich kritisch. Kinder sollen sich entfalten können, dazu gehört bei MigrantInnen eben auch der Austausch auf verschiedenen Sprachen.

Zweisprachigkeit ist bewiesenermaßen förderlich

Dabei ist schon lange nachgewiesen worden, dass Zweisprachigkeit enorm förderlich sein kann. Kinder verfügen dadurch tendenziell über höhere verbale und nonverbale, sowie kognitive Fähigkeiten. Sie lernen schon früh sich an verschiedene Umwelten anpassen zu können, weil sie ein besseres Empfinden für kulturelle Unterschiede der globalen Welt erlangen. Sie haben außerdem Vorteile beim Erlenen von weiteren Fremdsprachen. Auch für die Persönlichkeitsentwicklung birgt Bilingualismus große Chancen, in dem er sich positiv auf die sozialen Fähigkeiten der Kinder auswirkt.

Ich bin in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen und zur Schule gegangen. Damals gab es nicht viele Kinder mit türkischem Migrationshintergrund wie mich. Am Ende der Grundschule brauchte man zu meiner Zeit noch ein Empfehlungsschreiben der Lehrerin. „Leider sehe ich bei dir zu viele Defizite, als dass es für das Gymnasium reichen würde“, sagte meine Lehrerin damals. „Du liegst in vielen Fächern zurück. Vor allem Deutsch sehe ich bei dir kritisch. Das liegt vermutlich daran, dass ihr zuhause nur Türkisch sprecht!“. Ich fühlte mich komisch bei dieser Aussage. Mama sprach sowieso nur Deutsch mit uns. Sie übte jeden Tag Diktate mit uns und half bei den Hausaufgaben. Und Papa, mit dem ich tatsächlich Türkisch sprach, sah ich, wenn ich Glück hatte am Abend für eine Stunde vor dem Schlafengehen.

„Aber mach dir keine Sorgen! Hier in Deutschland können auch nicht alle Menschen Abitur machen. Es muss auch Leute geben, die Müllmänner und Putzfrauen werden“, sagt sie. Bei dem Gedanken daran, dass ich die Auswahl zwischen diesen beiden Jobs habe, werde ich nachdenklich. Ich wollte doch unbedingt Drehbuchautorin oder Journalistin werden.

Ausgegrenzt von der eigenen Community

Die Situation spitzte sich nach und nach zu. Ich verbot meinen Eltern in der Öffentlichkeit Türkisch mit mir zu sprechen, weil es mir peinlich war, dass Andere uns hören und als TürkInnen identifizieren konnten. Die türkische Kultur und Community verleugnete ich ebenso.

Dazu führte aber auch, dass die Töchter der FreundInnen meiner Mutter mir vorwarfen ich sei zu „deutsch“. Wie ich rede, wie ich mich kleide, mit wem ich mich treffe. All das würde nicht zu einer Türkin passen. Wenn ich im Sommer zu meiner Familie in die Türkei flog, lachten mich meine Cousinen und Cousins für mein Türkisch aus. Ich würde wegen meines Akzents wie eine 4-jährige klingen. „Wo hast du denn das Wort imtihan her?“ fragen sie und lachen. Imtihan bedeutet Prüfung und ist Alttürkisch, ursprünglich aus dem Arabischen. Da meine Eltern sehr früh schon nach Deutschland auswanderten, sprechen auch sie noch ein sehr hochgestochenes, altes Türkisch, welches sie an uns weitergaben.

Also beschloss ich aus Trotz einfach gänzlich auf die Sprache zu verzichten. Einmal fing ich an zu weinen und schrie sie an: „Wir können auch gerne Englisch oder Deutsch sprechen, wenn ihr wollt!“. Sie verstanden meine Reaktion nicht. Es hatte sich aber über Jahre hinweg eine Wut in mir auf aufgestaut, die in diesem Moment aus mir herausbrach.

Mehrsprachigkeit als Bereicherung

Jahrelang verleugnete ich meine türkische Identität und demnach auch Muttersprache. Als ich mit 19 dann beschloss, die Türkei besser kennenzulernen und meinem Identitätskonflikt endlich auf den Grund zu gehen, änderte sich das schlagartig. Ein Auslandssemester half mir zu begreifen, dass eine Seite an mir sich mit den Menschen dort identifizieren konnte. Die Freundschaft zu türkischen FreundInnen in Köln und Wien bewiesen mir, dass es auch andere Menschen wie mich gibt. Ich begann türkische Rockmusik zu hören und Bücher von Elif Shafak zu lesen. Ich baute mir meinen eigenen kleinen Safe Space, mit Menschen die sensibel mit mir und meiner doppelten Identität umgingen. Mit Menschen die zum Teil selbst diese doppelte Identität haben und ausleben. Heute spüre ich die enormen Vorteile meiner Zweisprachigkeit. Ich kann mich überall anpassen, ich habe ein Verständnis für verschiedene Kulturen. Ich kann mich auf verschiedenen Sprachen unterhalten und austauschen mit Menschen aus der ganzen Welt. Aber das Wichtigste – ich bin sensibilisiert für dieses Thema und kann bei der Aufklärung struktureller Probleme und Identitätskonflikte helfen. Und das ist eine reine Bereicherung für mich.

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