Religion Shaming: Lasst den Leuten ihren Glauben

25. April 2016

Keiner sollte gezwungen werden, an eine bestimmte Religion zu glauben. Den Glauben an eine Religion wiederum abzuwerten, kann auch nicht richtig sein. „Religion Shaming“ ist vor allem jetzt ein teuflisch-heißes Thema.

Heute Vormittag war ich im Spital der „Barmherzigen Brüder“. An fast allen Wänden hingen Kreuze. Auch einige Krankenschwestern, die hektisch an mir vorbei gelaufen sind, haben Kreuzketten getragen. Viele Patienten sehen betrübt und besorgt aus. Eine Dame gegenüber von mir starrt wie gebannt auf ein großes Kreuz. Sie flüstert Worte, die ich nicht verstehen kann. Wer weiß, worum sie gerade bittet und wer weiß, ob ihr Wunsch erfüllt wird.

Die Frau im katholischen Spital hat mich auf jeden Fall dazu gebracht, über das Thema Religion nachzudenken, auch darüber, wieso Religionen nicht so „schlecht“ sind, wie viele momentan meinen.

Man wird mir sicher widersprechen. Vor allem, da in den letzten Jahren der „ISIS“-Terror und Skandale über Missbrauch in Klöstern riesige Religionsdiskussionen ausgelöst haben. Religionen werden dadurch oft als die Verursacher alles Bösen angesehen. Ich bin noch immer der Meinung, dass seelische Probleme, gepaart mit schwierigen Rahmenbedingungen, der eigentliche Verursacher dieser abscheulichen Taten sind. Aber darum geht es jetzt nicht. Es geht um „Religion Shaming“.

Die Hoffnung und das Leben nach dem Tod

Ich kenne leider schon drei Elternpaare, bei denen eines der Kinder vor ihnen gestorben ist. Alle waren jünger als 27. Diese Mütter und Väter mussten dabei zusehen, wie ihre eigenen Kinder beerdigt werden. Es sind Tage, die sie nie vergessen werden. Auch die Geschwister haben ihren ersten besten Freund verloren. Jede einzelne Person hätte ohne den Glauben an ein Leben nach dem Tod nicht "normal" weiterleben können. Dieser unfassbare Schmerz konnte nur mit Hoffnung auf ein Wiedersehen gelindert werden. Auch wenn das für einige Leute vollkommener Blödsinn ist, geht es darum, dass SIE daran glauben und SIE sich dadurch besser fühlen. Ich verstehe nicht, wieso man diesen Menschen nach all dem Leid verklickern möchte, dass das, was ihnen etwas Lebensmut gibt, nur ein Hirngespinst ist.

Oma muss im Supermarkt die Tasche herzeigen

Besonders traurig hat mich eine Story meiner Oma gemacht. Sie hat mir vor Kurzem erzählt, dass sie den Kassierern im Supermarkt fast jedes Mal den Inhalt ihrer Tasche zeigen muss. Sie trägt ein Kopftuch und anscheinend wird sofort vermutet, dass sich gestohlene Ware in ihrer Tasche befinden muss. Ich habe sie gefragt, ob auch andere Leute in der Schlange dazu aufgefordert wurden, die Taschen zu öffnen. Nein. Nur meine Oma, die wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben nichts verbrochen hat, musste es tun. Sie ist der großzügigste Mensch auf dieser Welt und beschenkt die Nachbarn immer mit Süßigkeiten oder warmen Speisen. Hätte sie das Kopftuch nicht auf, wäre das eher unwahrscheinlich passiert oder zumindest nicht so oft.  

Schlechtere Noten durch das Kopftuch

Die Schwester einer Freundin trägt ebenfalls ein Kopftuch. Davor wäre sie bestimmt nicht als „Stereotyp-Muslima“ erkannt worden. Sie hat nämlich blaue Augen und strohblonde Haare. Als sie beschlossen hat, sich zu verschleiern, war das für viele eine große Überraschung. Warum ? In ihrer Familie trägt fast niemand ein Kopftuch. Zwang ? Offensichtlich nicht. Sie hat sich aus freien Stücken dazu entschieden. Einige Lehrer behandeln sie seitdem deutlich anders. Sie haben nicht verstanden, warum sie sich dazu entschlossen hat, ihre langen blonden Haare unter einem Kopftuch zu „verstecken“ und sie das auch spüren lassen. Kurz darauf sind ihre Noten in einigen Fächern nämlich schlechter geworden. Natürlich genau bei den Lehrern, von denen man bereits weiß, dass sie nicht viel vom Islam halten. Soll sie jetzt das Kopftuch ablegen, um besser behandelt zu werden und ihre Noten nicht zu gefährden? Ich hoffe nicht. „Oh nein, Lehrer sind nicht so!“ - Bullshit. Sie sind Menschen mit Meinungen und die kann keiner komplett unterdrücken.

„Jeden Sonntag in die Kirche gehen ist voll übertrieben.“

Eine Freundin von mir geht jeden Sonntag in die Kirche. In ihrer Familie macht das jeder. Sie geht aber freiwillig hin, weil sie selbst religiös ist. Wenn Leute das hören, sind sie meistens geschockt und fragen, wie man das bitte jeden Sonntag tun kann. Wie schafft man das nach dem Fortgehen? Bleibt sie das ganze Wochenende für die Kirche zu Hause? „Voll übertrieben“, meinen viele. Keine Sorge, wie alle anderen jungen Leute geht sie fort und hat genug Spaß am Wochenende. Jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, macht sie nicht zu einer „Langweilerin“, die jeden Samstagabend in ihrem Bett liegt und mit einem Kreuz um den Hals die Bibel liest. 

Lasst den Leuten ihren Glauben

Viele religiöse Menschen werden belächelt, ausgegrenzt oder auch beleidigt. Zu spüren bekommen es vor allem jene, bei denen man einen stärkeren Glauben auch an der Kleidung erkennen kann. Man merkt indirekt, dass es nicht mehr erwünscht ist, seinen Glauben offen auszuleben. Ich würde es als „Religion Shaming“ bezeichnen. 

Auch wenn man selbst nicht an Gott oder auch an Götter glaubt, sollte man nicht versuchen, den Glauben anderer zu schwächen oder sie aufgrund ihres Glaubens schlechter zu behandeln. Ich würde auch nicht versuchen, einen Atheisten dazu zu bringen an Gott zu glauben. 

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