,,Sie wollten, dass ich meine Identität verleugne‘‘. – Kurdin in Istanbul festgenommen

07. Mai 2017

Istanbul. Dunja* ist noch nicht einmal bei der Passkontrolle angelangt, als es passiert. Eigentlich wollte sie gemeinsam mit ihrem Bruder und ihrer Mutter ihre Verwandten besuchen, wie sie es davor schon so oft getan hatten. Doch dieses Mal ist alles anders. Dieses Mal wird ihr aufgrund ihrer kurdischen Abstammung die Einreise verwehrt und sie wird festgenommen.

Festgenommen

Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder ist Dunja auf dem Weg zur Passkontrolle, als ein Polizist sie aufhält. Er bittet alle drei, mit zur Polizeiwache des Flughafens zu kommen. Im Überwachungsraum ist es dunkel, Kameras sind auf sie gerichtet. Davor mussten sie ihre Handys und Tablets abgeben. Auch Dunjas Buch wird ihr weggenommen. Ihnen werden allerlei Fragen gestellt. ,,Was denken Sie über die PKK? Was denken Sie über den IS?‘‘ Als sie klarstellen, dass sie keinerlei Verbindung mit einer Terrororganisation haben, sondern bloß ihre Verwandten besuchen wollen, dürfen ihre Mutter und ihr Bruder weiter einreisen. Dunja muss jedoch über Nacht bleiben. Der Grund: Angeblich soll in ihrem System stehen, dass über Dunja ein Einreiseverbot verhängt wurde. Doch die junge Frau weiß, dass das eine Ausrede ist. In Wien war sie davor extra im türkischen Konsulat gewesen. Da war sie noch keine potentielle Gefahr für die Türkei gewesen. Dunjas Mutter, die sich über die Festnahme ihrer Tochter beschwert, wird versprochen, dass Dunja in ein extra ,,Gästezimmer‘‘ gebracht wird, wo sie schlafen und sich ausruhen kann. Eine Lüge, wie die junge Frau später erzählen wird.

Der ,,Kaffeeplausch‘‘

Nachdem ihre Verwandten entlassen wurden, rufen die Sicherheitsmitarbeiter die türkische Anti-Terror-Einheit. Da Dunja österreichische Staatsbürgerin ist, gehen diese sanfter mit ihr um. Sie meinen, bloß ein ,,Gespräch‘‘ mit einer Tasse Kaffee mit ihr führen zu wollen. Für diesen Kaffeeplausch wird sie in einen anderen Verhörungsraum gebracht. Hier ,,plaudern‘‘ drei Männer mit ihr. Sie stellen persönliche Fragen, wollen wissen wo sie wohnt und ob sie verheiratet ist. Sie verhören sie über potenzielle Verbindungen zu  kurdischen Vereinen in Wien, in der Türkei, sogar in Syrien. Sie fragen sie, was sie ist:,,Türkin oder Kurdin?‘‘ Als sie ihr Handy wegnahmen, schickten sie einige ihrer Bilder an sich selbst. Eines davon ist ein Foto von einem Flyer. Darauf ist eine Einladung zu der Newroozfeier vor der TU zu sehen. Newrooz ist ein Neujahrsfest, das im iranischen Kulturraum gefeiert wird, auch von Kurden. Es ist ursprünglich ein Fest, dass auf den Zoroastrismus, einer alten persischen Religion, zurückzuführen ist. Auch das Alevitentum, Dunjas Glaube, enthält Elemente davon. Da diese Glaubensträger ebenfalls wie Kurden in der Türkei unterdrückt werden, ist der Zoroastrismus dort nicht gerne gesehen. Dass die junge Frau dann ausgerechnet das Buch ,,Also sprach Zarathustra‘‘ von Friedrich Nietzsche im Handgepäck hat, bereitet ihr dementsprechend Sorgen. Doch die Polizisten scheinen den Propheten der Religion nicht zu kennen, zumindest stellen sie ihr keine Fragen dazu. Sie muss jedoch einzelne Passagen vorlesen und übersetzen.

Das ,,Gästezimmer‘‘

Nach dem Verhör wird sie in das ,,Gästezimmer‘‘ gebracht, das die Polizisten ihrer Mutter versprochen hatten. Es ist ein greller, grauer Raum mit einer einzigen Lichtquelle. Es gibt einen Couchsessel und einen Fernseher, in dem lediglich politische Sendungen gesendet werden. Nachdem sie öfters danach verlangt hat, bekommt sie, nach 12 Stunden, zum ersten Mal etwas zu essen: Ein kaltes McDonalds-Menü. Schließlich wird die Tür hinter ihr abgesperrt. Dunja kann nicht mehr raus. Sie bekommt eine Panikattacke und versucht sich irgendwie selbst zu beruhigen. Sie kann die ganze Nacht nicht schlafen.

Wieder frei

Am nächsten Morgen darf Dunja raus. Sie wird zum Check-In begleitet, muss im Flugzeug ganz alleine ganz hinten sitzen. Von den Flugbegleitern der Turkish Airlines wird ihr gesagt, dass das österreichische Bodenpersonal sie abholen wird. Und sich danach die Polizei um sie kümmern würde. Zum ersten Mal seit diesem Ereignis muss die junge Frau weinen. Sie hat Angst um ihre Zukunft, Angst vor Vorstrafen und Probleme in Österreich. Doch als sie in Wien ankommt erkennt sie, dass das Flughafenpersonal ihr nur Angst machen wollte. Ein Securitymitarbeiter des Flughafen Wien holt sie ab und begleitet sie nach draußen. Erst hier bekommt Dunja ihr Handy und ihren Pass zurück und kann ihre Familie erreichen. Ihre Mutter und ihr Bruder sind inzwischen nach Wien zurückgekehrt.

Jetzt erst recht

Heute, nach drei Wochen, hat sie keine Angst mehr. Anfangs hatte sie zuhause immer wieder Panikattacken und war etwas traumatisiert. ,,Sie haben erreicht, was sie wollten. Sie wollten mir Angst machen.  Sie wollten, dass ich meine Identität verleugne, dass ich sage, dass ich keine Kurdin bin.‘‘ Während sie sich früher aus politischen Sachen rausgehalten hat, interessiert sie sich jetzt viel mehr dafür. Denn sie fürchtet sich nicht mehr. ,,Jetzt erst recht‘‘, stellt Dunja klar.

 

*Name von der Redaktion geändert

Blogkategorie: 

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
Zum Abschied gibt es kein Trompeten­...
Foto: Marko Mestrović
Ob Hijabi-Style, koschere Perücken oder...
Foto: Marko Mestrović
Nicht über die Communitys zu sprechen,...

Anmelden & Mitreden

5 + 8 =
Bitte löse die Rechnung