U-Bahn Stories - aus dem Leben einer Wiener Studentin

30. November 2015

„Wien ist anders“ haben mir meine Eltern schon als kleines Mädchen mit unüberhörbar sarkastischem Unterton eifrigst eingeflößt. Und ja, der Leitspruch der österreichischen Landeshauptstadt kommt sicher nicht von ungefähr. Natürlich ist Wien anders, im Gegensatz zu den Kuhkaffs aus denen die meisten Zugereisten stammen. Wo man täglich noch vom krächzenden Weckruf der Hähne aus dem Schlaf gerissen wird und der Dr. Richard Bus in Intervallen fährt, in denen man sich schon leicht ein neues Leben hätte organisieren können.

Dagegen sind die Intervalle der U-Bahnen von maximal 6 Minuten tagsüber doch ein reiner Segen, sollte man meinen. Allerdings habe ich noch nie in meinem Leben zuvor so viele  Menschen (freiwillig) und fast schon todesmutig in die von lästigen Warntönen gekennzeichneten schließenden Türen der U-Bahn stürzen sehen. Dabei kann man stürzen wörtlich nehmen, denn viele der Sprinter können sich am Ende ihrer halsbrecherischen Aktion oft nur mit aller Mühe auf den Beinen halten.

Nervenkitzel pur

Kein Wunder, handelt es sich nicht selten um übergewichtige, alte, gebrechliche Menschen oder Studentinnen auf ihren High Heels, die mal wieder meinen, in der Uni auf Topmodel machen zu müssen. Mittlerweile ist es für mich schon ein richtiger Nervenkitzel geworden, oder um nicht zu untertreiben, schon besser als jeder Alpen-Ötzi-Krimi, manchmal sogar der spannendste Teil meines unglaublich aufregenden Studentenalltags in unheimlich spannenden Publizistik-Vorlesungen, zu denen ich mich so wahnsinnig gerne hinquäle, nur um mich etwas produktiver und wertvoller zwischen all den mitstudentischen Strebern zu fühlen und schlussendlich eh wieder nur von Altfragen und Zusammenfassungen auf Facebook zu lernen – äh sorry, bin abgeschweift.

„Herst Hawara, bist augrennt!“

Auf jeden Fall besteht diese bis ins Unendliche reichende Aufregung und elektrisierende Spannung darin, ob die Sprinter es noch rechtzeitig schaffen, ihren Hipster-Rucksack oder die MK- Handtasche in die U-Bahn hineinzuzerren, bevor sie die bösen, gewaltigen Stahltüren auf ewig voneinander trennen. Zugegeben, bisher durfte ich noch nicht Augenzeuge dieses Horrorszenarios werden, doch ich weiß, irgendwann wird’s geschehen – unaufhaltsam und grauenvoll. Noch schlimmer ist es, wenn es über 30 Grad Außentemperatur hat, die U-Bahn unklimatisiert und ohnehin schon bumvoll ist, und diese gestressten Leute noch immer meinen, ihre tollen Stunts einlegen zu müssen, nur um nicht drei lange Minuten auf die nächste U-Bahn warten zu müssen. Dabei gehört es zum Berufsrisiko Verletzungen von sich und anderen sowie Beschimpfungen wie: „Herst Hawara, bist augrennt!“ oder: „Du unnediges Oaschloch du!“ in Kauf zu nehmen.

Alle reden immer davon, dass sich "die Ausländer" doch bitte an unser Land anzupassen haben, aber ich finde, das haben sie schon längst getan. Denn jeder wird einmal zum Sprinter, das ist nun mal Teil der konservativen österreichischen Kultur. Und wenn du dich mal selbst dabei erwischst, wie dein Körper plötzlich zu ungeahnten Höchstleistungen im Stande ist, nur um die nächste U-Bahn zu erwischen, ja dann bist du endgültig in Wien angekommen, egal ob du mit oder ohne Migrationshintergrund bist.

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Kommentare

 

Leben am Limit. :D

 

Hahah urlustig!

 

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