War der Verzicht der letzten Jahre umsonst?

24. Januar 2022

Redakteurin Hannah Jutz will nicht wahrhaben, dass wir uns jetzt alle mit einer Ansteckung abfinden müssen

Jetzt ist es also so weit. Nach zwei Jahren, in denen Corona mich verschont hat, muss ich mich nun mit dem Gedanken abfinden, mich doch noch zu infizieren. Laut der WHO sollen in den nächsten Wochen über 50 Prozent der europäischen Bevölkerung an Omikron erkranken. Auf Twitter wird empfohlen, Medikamente und das eigene Lieblingsessen einzukaufen – für den Ernstfall.

Bei dem Gedanken, selbst zu erkranken, wird mir eng um die Brust. Auf der einen Seite habe ich Angst, weil auch junge Menschen Monate nach einer Erkrankung über Atemnot, „Brainfog“, Müdigkeit oder fehlenden Geschmack klagen. Andererseits bin ich frustriert, dass diese Pandemie nun wahrscheinlich mit einer Durchseuchung enden wird und die letzten zwei Jahre Isolation und Einsamkeit umsonst gewesen sein sollen. Ich weiß schon, dass es natürlich nicht umsonst war: Mit den Lockdowns haben wir das Gesundheitssystem entlastet und Risikogruppen geschützt.

Es fühlt sich trotzdem ein bisschen so an, als wäre der persönliche Verzicht in den letzten zwei Jahre umsonst gewesen, wenn ich mich nun doch infizieren werde. Dabei fand ich die Vorstellung, Corona zu bekommen vor zwei Jahren gar nicht so schlimm. Zwei Wochen Auszeit und danach wäre es erledigt, habe ich gedacht. Als dann die ersten Meldungen über Long-Covid und schwere Verläufe die Runde machten, schlug meine anfängliche Gelassenheit in Sorge um. Plötzlich hatte ich große Angst davor, jemanden in meinem Umfeld anzustecken oder gar selbst ärztliche Behandlung zu benötigen.

Der Sommer kam, die Lage beruhigte sich und ich fuhr sogar auf Urlaub. Wenige Tage später folgte die Ernüchterung: Eine Mitreisende wurde positiv auf Covid getestet. Nach dem Urlaub war ich zu meiner Familie gefahren und mich überfiel die Panik: Was, wenn ich jemanden angesteckt hatte? Wegen meiner Schuldgefühle habe ich damals sogar geweint. Wie sich herausstellte, war meine Angst aber unbegründet: Der PCR-Test war negativ.

Nach einem langen Winter kam dann ein Lichtblick am Ende des Tunnels: die Impfung. Als eine der Ersten in meinem Alter wurde ich im Mai 2021 geimpft, da ich mit meinem „Asthma-Bronchiale“ zur Risikogruppe zählte. Nach der zweiten Impfung meinte damals eine Freundin zu mir: „Wow, jetzt hast du die Pandemie durchgespielt.“ Wenn ich heute daran denke, muss ich laut lachen.

Inzwischen bin ich geboostert und alle ein bis zwei Tage darf mir jemand von „Alles Gurgelt“ dabei zusehen, wie ich mit vollem Mund versuche, hektisch meine Jacke anzuziehen, weil ich schon wieder spät dran mit Einwerfen bin. Was ich selbst kaum glaube: Bisher waren die Tests immer negativ. Und das, obwohl ich meine fair-shares an „Jetzt muss ich doch positiv sein“-Momenten hatte. Aber selbst nach gemeinsamen Autofahrten mit später positiv Getesteten bin ich immer noch negativ.

Scherzhaft sage ich immer, dass Corona mich gar nicht haben will. Trotzdem ordne ich jeden kleinen Stich in der Brustgegend als Symptom ein und schwitze vor dem Öffnen jeder Befund-Mail. Schuldgefühle hätte ich heute keine mehr, falls ich mich anstecke. Trotzdem würde es sich ein bisschen so anfühlen, als hätte ich gegen Corona, gegen diese Pandemie, verloren. 

Dieser Kommentar erschien ursprünglich bei unseren Kolleg*innen von der Chefredaktion. Wenn ihr jungen und unabhängigen Journalismus unterstützen wollt, freuen sie sich über eure Unterstützung auf Steady.
 

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