„Wir müssen Flüchtlingen ihre Menschlichkeit zurückgeben“

14. September 2022

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Bwe Thay
Bwe Thay: „Ich möchte eine Stimme für all die Menschen sein, die keine haben“, Foto: Media and Comms Team/Salzburg Global Seminar

Seit der Unabhängigkeit Myanmars 1948 wird das südostasiatische Land von Militärdiktaturen und politischen Unruhen erschüttert. Der Konflikt zwischen verschiedenen Rebellengruppen und die brutale und korrupte Militärdiktatur zwingt bis heute tausende Burmesen zur Flucht. Bwe Thay war einer der vielen, der sein Land verlassen musste. Er lebte jahrelang in einem Flüchtlingslager, bevor er in Australien sein neues zu Hause fand. Ein Plädoyer fürs Zuhören.

„Flüchtlinge sind keine Opfer, sie sind Überlebende“ - ich bin wegen des Konfliktes aus Burma, jetzigem Myanmar, geflohen. Ich musste fünf Jahre lang in einem Flüchtlingslager mit über 80 000 Menschen leben. Nur wenige wurden ausgewählt, um nach Australien umgesiedelt zu werden und ich war einer von ihnen. Bis heute frage ich mich: Warum ich? Es ist nicht einfach mit dieser unbeantworteten Frage zu leben. Deshalb möchte ich eine Stimme für all die Menschen sein, die aus meinem Land fliehen mussten.

Ich weiß noch, als ich in Melbourne ankam, war ich aufgeregt und nervös zugleich. Ich wusste, dass ich endlich Frieden, Freiheit und Sicherheit haben würde, aber auf der anderen Seite fragte ich mich: Werde ich für immer arbeitslos sein? Werden mich die Menschen akzeptieren? Es ist in Ordnung, wenn manche gegenüber dem Unbekannten, wie Flüchtlingen, unsicher und skeptisch sind. Ich hatte auch Angst. Aber man muss Flüchtlingen eine Chance geben, Zeit mit ihnen verbringen und ihnen zuhören. Der Austausch von Kultur, Essen und Musik ist ein Gewinn für jede Gesellschaft. Am Ende haben wir alle mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Es spielt keine Rolle, welche Hautfarbe und Religion wir haben. Wir sollten uns in der Mitte treffen und darüber sprechen, was unsere Ängste und Unsicherheiten sind. Die Welt kann besser werden, wenn wir es wollen. Wir sind alle Menschen, die glücklich und in Frieden leben möchten.  

Nach 19 Jahren habe ich wieder einen Fuß in das Land gesetzt, in dem ich meine Identität verloren habe. Die Welt hat vergessen, wie schön Burma ist (heutiges Myanmar). Es wurde einst der Reishafen Asiens genannt, aber jetzt denkt jeder nur noch an den Konflikt und die vielen Flüchtlinge, wenn sie von Burma hören. Es ist aber so viel mehr: Burma ist ein Land der Gastfreundschaft, der Vielfalt und des Teilens. Meine Hoffnung ist, dass die Menschen uns die Hand reichen, uns sehen, uns helfen. Wir dürfen das burmesische Volk nicht als Opfer betrachten, sondern als das, was es vorher war und was es in Zukunft sein wird.

Wenn man sich die Flüchtlingskrise auf der ganzen Welt anschaut, kann man sehen, wie stark und mutig Flüchtlinge sind. Es ist kein Zustand, den sie sich ausgesucht haben. Auch wenn ihnen alles genommen wurde, bleiben sie hoffnungsvoll. Für mich ist jeder Flüchtling ein inspirierender Mensch. Ich bewundere ihre Stärke, ihren Mut und ihre Willenskraft. Ich habe viele Jahre lang in einem Flüchtlingslager gelebt. Ich weiß, wie schrecklich das ist. Viele Flüchtlinge sind entmenschlicht worden. Es ist unsere Aufgabe, ihnen die Menschlichkeit zurückgeben.

„Ich möchte eine Stimme für all die Menschen sein, die keine haben“

Ich war die meiste Zeit meines Lebens ein Staatenloser. Erst vor kurzem habe ich eine neue Identität bekommen und die australische Staatsbürgerschaft erhalten. Das Einzige was ich sagen kann ist: Wenn wir keine Hoffnung und keinen Ehrgeiz haben, wird alles noch schwieriger. Ich denke, es besteht eine Chance, dass der Frieden nach Burma zurückkehren wird. Es liegt nicht nur in der Verantwortung des burmesischen Volkes. Wir alle sind dafür verantwortlich, dass die Dinge richtig gemacht werden. Nur weil das Land geografisch weit von uns entfernt ist, heißt das nicht, dass wir keine Verantwortung tragen. Wenn wir echten Frieden wollen, ist das Engagement jedes Einzelnen wichtig. Leid und Angst ist etwas, das man nicht mal seinem schlimmsten Feind wünscht. Menschliches Leid ist jedermanns Leid.
Alle, die aus ihrem Land flüchten müssen möchte ich sagen: Verlier die Hoffnung nicht. Sei mutig und willensstark. Das Leben ist schön, wenn wir Frieden zulassen.

*Bwe Thay lebt mit seiner Familie in Australien und ist stellvertretender Vorsitzender der Multikulturellen Kommission von Victoria/Australien. Er setzt sich für Multikulturalismus und die Stärkung der Rechte von Flüchtlingen, MigrantInnen und AsylbewerberInnen ein. Biber hat ihn im Zuge des Salzburg Global Seminars für ein Interview getroffen. *

Infobox: 
Seit der Unabhängigkeit Myanmars von Großbritannien 1948 kommt es regelmäßig zu politischen Unruhen. Eine kurze demokratische Phase beendete das Militär 1962 mit einem Putsch. Verschiedene Rebellengruppen kämpfen seither um ihre Rechte und fühlen sich vom Staat unterdrückt. Heute leben über 55 Millionen Menschen aus 135 offiziell anerkannte Ethnien in Myanmar (Bruma 2021 Human Rights Report). Eine davon ist die muslimische Minderheit „Rohingya“, die in Myanmar nicht als offizielle StaatsbürgerInnen anerkannt werden. Laut UNO sind Rohingya die meist verfolgte Minderheit der Welt. 2021 spitzte sich die Situation nochmals zu: Das Militär putsche sich zurück an die Macht und erklärte die abbehaltenen Wahlen, bei der die Nationale Liga für Demokratie (NLD) die absolute Mehrheit erlangte, für ungültig. Protestbewegungen wurden niedergeschlagen und die Friedensnobelpreisträgerin & Generalsekretärin der NLD Aung von San Suu Kyi verhaftet.
 
Myanmar
Foto: Saw Wunna/unsplash

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