"Zelten war nicht üblich unter Türken"

30. Mai 2016

Die Komische Oper Berlin (KOB) hat sich mit dem Operndolmuş in Bewegung gesetzt und wird am 1. Juni in Wien auftreten. KOB-Schauspieler Mustafa Akça erzählt im biber-Interview über seine Erfahrungen als Türke in der Kulturbranche, die Türkei-Reisen in seiner Kindheit und warum er am liebsten durch Österreich gefahren ist.

Du warst der erste Türke in der Komischen Oper Berlin (KOB). Wie war deine Erfahrung als Türke in der Kulturbranche, die zum größten Teil aus weißen Deutschen bestand?
Zuerst fühlte ich mich geschmeichelt, von einer Institution der Hochkultur ausgewählt zu werden. Dann nach einiger Zeit habe ich es ein wenig nüchterner gesehen und mich gefragt, warum es eigentlich so lange gebraucht hatte, bis die KOB auf eine, sich seit Langem verändernde Zusammensetzung der Stadtbevölkerung reagierte. Man fühlt sich mit seiner Arbeit schon öfter etwas einsam,  ein bisschen wie ein Einzelkämpfer. Dazu kommt das Gefühl, ein allumfassendes Sprachrohr nicht nur für die eigene Community sein zu müssen,  sondern auch Ansprechpartner für alle Fragen und Probleme, die aus dem  „Morgenland“ kommen. Das ist natürlich eine Überforderung. Gleichzeitig habe ich viel gelernt und glaube, auch bei der KOB ist einiges in Bewegung geraten.

Deine Eltern stammen aus der Türkei. Du bist in Berlin-Kreuzberg geboren. Was bedeutet es für dich, Berliner Türke zu sein?
Mir gefällt es, im lokalen Sinne NUR Berliner und noch besser „KreuzBerliner“ zu sein. Diese Verwurzelung im Lokalen gibt mir ein positives Gefühl und ist mir sehr wichtig. Gleichzeitig habe ich Einblick in verschiedene Welten, die alle hier zu Hause sind und die auch alle zu mir gehören. Ich genieße es, Sonntag morgens unfertig aus der Wohnung zu schlappen und mir beim Bäcker nebenan eine Schrippe uff Berlinerisch zu holen. Egal, wo man auf der Welt ist, der Dialekt ist bodenständig, man fühlt sich sicher und geht mutiger in den Tag.

In eurem aktuellen Projekt fahrt ihr die Gastarbeiterroute von Berlin nach Istanbul ab. Worum geht es da konkret und was ist der Zweck?
Es geht konkret darum, dass wir Musiktheater mit den Geschichten derer verbinden möchten, die wir mit unserem Hochkultur-Angebot bislang kaum erreicht haben. Dabei haben wir für unsere Opernreise „Auf den Spuren der Gastarbeiterroute“ Musik zu universellen Themen gefunden, die sich in allen migrantischen Gesellschaften wiederfinden, wie: Fernweh, Aufbruch, Ankunft in der neuen Realität, Heimweh, zu Hause im Dazwischen. Wir haben mit Herzblut daran gearbeitet, etwas von dieser Geschichte zu erzählen und mit Musik auszudrücken. Hier geht es um universelle Gefühle, die in all den besuchten Ländern verstanden werden. Denn Aus- und Einwanderungsschicksale,  aus welchen Gründen auch immer, gibt es nicht erst seit heute, sondern sind seit jeher Bestandteil menschlichen Zusammenlebens.

Operndolmus
Ausschnitt aus dem Musiktheater

Ihr fahrt mit dem Operndolmuş. Warum der Bezug auf das Sammeltaxi in der Türkei?
Wer schon einmal mit einem Dolmuş in der Türkei gefahren ist, kennt die Atmosphäre: Es ist eng, man ist mittendrin, buntes Leben um einen herum, man ist „on the road“, auf dem Weg von hier nach da. Wir wollen mit unserem typisch türkischen Transportmittel  etwas davon auf unser Publikum übertragen, mittendrin sein im Straßengetümmel, in Kontakt kommen, sich begegnen ohne Barrieren und Etikette. Außerdem spricht die türkische Schreibweise eben die Leute an, um die es hier gehen soll.

Operndolmus
Von Berlin nach Istanbul mit dem Operndolmuş

Welche Erinnerungen haben dich während deiner Kindheit geprägt, als du mit deinen Eltern in die Türkei gefahren bist?
Das war sehr abenteuerlich und mit großer Aufregung verbunden. Vorher wurden viele Geschenke gekauft, teilweise absurde Einkäufe, bei denen es sich um Re-Importe in die Türkei handelte.
Die Eltern haben unter Stress das Auto vollgepackt. Meine Mutter hat für den Proviant gesorgt, die Kinder ruhig gehalten. Zweieinhalb Tage war man in der Hitze unterwegs – ohne Klimaanlage! Mein Vater saß die ganze Fahrt über am Steuer. Bei Müdigkeit schlief er auf einer Decke am Straßenrand. Für Übernachtungen gab´s kein Geld, und Zelten war nicht üblich unter Türken. Die sanitären Verhältnisse an den Raststätten waren sehr unappetitlich. An den Grenzübergängen - die im damaligen Europa noch sehr zahlreich waren! – war man teilweise der Willkür der Beamten ausgesetzt; die Pässe wurden abgenommen, es gab oft lange Wartezeiten, öfter musste Schmiergeld gezahlt werden.

Durch welches Land bist du am liebsten durchgefahren?
Durch Österreich, denn dort gab es für uns immer ein halbes Hähnchen mit Pommes. Außerdem waren die Alpen kilometerlang durchtunnelt, was uns geradezu mit Ehrfurcht erfüllte. 

In der aktuellen Flüchtlingsdebatte äußern auch viele türkische Bürger in Deutschland ihren Unmut über Flüchtlinge. Kann man in diesem Fall von „gelungener Integration“ sprechen, wenn sich Türken auf diese Weise um Deutschland sorgen?
Als Beispiel für gelungene Integration würde ich das nicht unbedingt sehen. Ich denke, dass „eingesessene Fremde“ immer Panik bekommen, wenn „neue Fremde“ dazukommen. Das erlebt man schon in einem Zugabteil. Menschen, die einen gesellschaftlichen Umbruch erlebt haben und immer noch verunsichert sind, reagieren auf Veränderungen wahrscheinlich besonders empfindlich.

Was nervt dich am meisten in der Integrationsdebatte?
Dass es sie immer noch gibt! Migration in Europa ist so alt wie die deutsche Braukunst. Es gibt sie innerhalb der Länder und als Ein- und Auswanderung auf dem Kontinent seit Jahrhunderten.

Unsere Leserinnen und Leser diskutieren gerne darüber, ob Berlin oder Wien die bessere Stadt ist. Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten fallen bei den beiden Hauptstädten auf?
In Wien ist der Kaffee besser, was natürlich mit der Vergesslichkeit der osmanischen Armee zu tun hat, die ihre Kaffeesäcke damals 1683 vor Wien zurückließ. Die Berliner glauben außerdem, dass Wien mehr Charme habe. Ich glaube das auch gerne, war bisher aber nur zweimal kurz in Wien und kann es eigentlich gar nicht beurteilen. Eine Gemeinsamkeit liegt sicher in der historischen und aktuellen Erfahrung mit den Gastarbeitern; ein Grund weshalb wir mit unserem Dolmuş hier sind. Letztendlich hat jede dieser beiden Städte ihr ganz spezielles, tolles Flair, und das sollten wir jeweils genießen!

Mustafa Akça wurde in Berlin-Kreuzberg geboren. Nach einer handwerklichen Ausbildung nahm er Unterricht in Schauspiel und Moderation. Als Entertainer auf dem Clubschiff „AIDA“ war er auf den Weltmeeren unterwegs. Zwischen 2004 und 2011 arbeitete Mustafa Akça als Quartiersmanager in Berlin, wo er interkulturelle und generationenübergreifende Projekte initiierte. Seit 2011 leitet Mustafa Akça das Projekt »Selam Opera!« an der Komischen Oper Berlin.

Info: Die Komische Oper Berlin tritt am 1. Juni, 20:30 Uhr in der VHS Ottakring, Ludo-Hartmann-Platz 7, 1160 Wien auf. Der Eintritt ist frei.

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