Zwei Generationen, zweimal Jugofaschingsbär

29. Januar 2016

Wie jedes andere Kind war auch ich vom Gedanken elektrisiert, in fremde Rollen zu schlüpfen. Man würde denken, dass Fasching also ein Tag war, an dem Weihnachten und Geburtstag zusammenfielen. Falsch gedacht.

Als Migrant im Wien der 90er Jahren hattest du es nicht einfach: Jörg Haider war im Aufschwung und für HC Strache, damals kein Mitglied mehr der rechtsradikalen „Wiking-Jugend“, waren Türken und Jugos beides Tschuschen. Bis hierher war es ja noch einigermaßen bewältigbar, aber Fasching stellte für ausländische Eltern und Kinder gleichermaßen eine Herausforderung dar. Für die Eltern, weil sie oft nicht die Mittel hatten, um dem Kind ein ansehnliches Kostüm zu kaufen, für die Kinder, weil sie sich aus der Not als Koch oder Fußballer verkleiden mussten. Man erkennt, es sind keine aufwendigen Verkleidungen, der kleine „Koch“ braucht nur eine weiße Schürze von der Mama aus der Arbeit sowie einen Kochhut aus Papier und der „Fußballer“, nun, der zog sich halt so an, als ob er zum Spielplatz gehen würde.

Meine Erfahrungen, und die meiner Schwester Hristina, unterscheiden sich kaum von dem Durchschnittsmigranten zu jener Zeit. Die Not war der Stoff, aus der unsere Kostüme gemacht waren. Kaum zu glauben, dass sie heute eine erfolgreiche Modebloggerin ist, denn ihre Erfahrung mit Faschingsmode müsste sie seelisch auf eine Art geprägt haben, die man nur von Vietnamveteranen kennt. Bei mir haben diese „Faschingseinsätze“ übrigens auch Narben hinterlassen, ich werde meinen Kindern echte Astronauten-Anzüge von der NASA besorgen, um ihnen jene Schmach zu ersparen.

Der Faschingsalbtraum beginnt

Es ist 1993, meine Mutter hochschwanger mit meiner Schwester, und ich stehe wieder vor der Wahl, als was ich mich fürs Faschingsfest im Kindergarten verkleiden möchte. Die letzten zwei Jahre war ich schon Cowboy (Cowboy-Hut und Gürtel, aber ohne Pistole), ich wollte endlich die Tante in der Kindertagesstätte beeindrucken, also musste auch neues Material her. Es waren zähe Verhandlungen mit meinem Vater, doch das Haushaltsbudget war nicht verhandelbar, ein Budget für Fasching war dieses Jahr nicht vorgesehen. Ausschreitungen und Krawalle meinerseits wurden mit „eiserner Faust“ beendet. Sie haben ihre Wirkung trotzdem nicht verfehlt, denn alle Parteien mussten zurück an den Verhandlungstisch, um Kompromisse zu beschließen. Die Regierungspartei schlug der Oppositionspartei (mir) vor, den großen Teddybären auszuhöhlen, sodass ich „seine Haut“ überziehe kann. Mein großer Bär, jener Bär, der nach Jackie Chan-Filmen stets stillhielt, um von mir auf die Fresse zu bekommen, sollte sein letztes Opfer bringen, nämlich sich häuten lassen. Ich musste schnell entscheiden – und entschied mich dafür, meinen Sparringspartner endgültig von seiner Last zu befreien.

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Der große Bär musste daran glauben (Foto: Nikola Micevski)

Im Nachhinein bereute ich es, denn ich sah lächerlich aus. Als ob mich das malträtierte Stofftier verspotten würde, verlieh mir sein Überzug den Anblick eines missbrauchten, abgemagerten, rumänischen Tanzbären. Doch es war zu spät, ich hatte ihn geopfert und sein Tod sollte nicht umsonst gewesen sein. Nach diesem unvergesslichen und meinem letzten Faschingsfest im Kindergarten, schlüpfte ich wieder in die Rolle des einsamen Cowboys, der der untergehenden Sonne Richtung Volksschule folgte. Ich fügte mich meinem Schicksal als Westernheld, bis ich irgendwann ein süßlich stinkendes Spiderman-Kostüm bekam. Man sah darin zwar wie ein Clown aus und es stank nach Chinaproduktion, aber es kostete immerhin 350 Schilling!!!

Neue Generation, neues Grauen

1995 hatte meine Schwester ihren ersten Fasching im Kindergarten. Sie war aufgeregt, denn sie durfte in die Rolle eines todesmutigen Matrosen mit Lippenstift-„Narbe“ im Gesicht schlüpfen. Ich betrachtete es mit großem Argwohn, doch diese kindliche Freude in ihrem Gesicht, endlich in die Rolle eines (männlichen) Abenteurers zu schlüpfen - es würde das letzte Mal in ihrem Leben sein, sich über Fasching zu freuen. Denn während ich seit dem Kauf des Spiderman-Kostüms nur noch Spiderman war, war sie ab dem darauffolgenden Jahr dazu verdammt, ein Clown zu sein.

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Am Ende war ihr das Kostüm fast zu klein (Foto: Nikola Micevski)

Bittere Tränen

1999 wurde ich von einem weinerlichen Stöhnen geweckt. Es war wieder Karnevalszeit und meine Schwester musste sich für ihr letztes Kindergartenfest fertigmachen, bevor sie im Sommer in die Volksschule wechselte. „Ich will nicht wieder ein Clown sein!“, rief sie unserem Vater entgegen, worauf dieser sagte: „Du kannst es dir aussuchen ob du Matrose oder Clown sein möchtest.“ Es war ein turbulenter Frühmorgen, sie hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera und machte eine allzu menschliche Entscheidung: Sie entschied sich für den Freitod – um genau zu sein, den Jugofaschingsbären, jenen Bären, der für kaputte Kinderträume gesorgt hat. Ich wollte sie nicht davor warnen, denn es ist eine Art Feuertaufe, durch die auch ich musste. Nur diese Erfahrung konnte aus dieser unschuldigen Seele eine erwachsene Fünfjährige machen. Also erlebte sie ihren dunkelsten Tag an jenem trüben Februarmorgen  1999, sie war der Jugofaschingsbär in der 2. Generation. Keiner konnte es schönreden, sie sah einfach scheiße aus.

Heute haben wir es wesentlich einfacher als damals. Für Strache machen Ausländer eine große Wählergruppe aus, weil sie „super integriert“ sind und das Faschingsproblem schien mir mit der fortschreitenden Integration aus der Welt geschafft, bis ich heute in der früh meinen jüngsten Bruder sah: Er war als Matrose mit „Narbe“ verkleidet.

 

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