Angst vor dem Rückschritt

02. Oktober 2014

Noch nie hat der Frieden in Europa so lange angehalten wie es aktuell der Fall ist. Kriege schienen weit weg zu sein. Plötzlich stehen zahlreiche Konflikte vor der Haustür. Unter den Menschen macht sich eine Unsicherheit breit. Die Angst vor einem Krieg in Europa wächst. Dafür gibt es gute Gründe.

Kein einziger Tag vergeht ohne Berichte über die Gräueltaten der IS. In Westafrika breitet sich das gnadenlose Virus Ebola immer weiter aus und verbreitet den Tod. Die arabische Revolution, die uns große Hoffnungen auf einen modernen und demokratischen Nahen Osten machte, hat sich zu einem blutigen Glaubenskrieg verwandelt. Die Ukraine-Russland-Krise hat den Konflikt, der weit weg von uns zu sein schien, vor unsere Haustür gebracht. Und nun entsteht eine Protestbewegung in Hong Kong, wo der Einfluss des Reichs der Mitte eingedämmt werden soll. Ein Blutbad wie beim Tian’anmen-Massaker von 1989 droht. Wo man nur hinsieht: Kriege und Konflikte sind allgegenwertig.

 

Einstige Hochkulturen wie das alte Ägypten, das antike Griechenland und das Römische Reich, waren weitentwickelt und doch am Ende untergegangen. Steht uns das gleiche Schicksal bevor? Ich bin kein Fan von dunklen Prophezeiungen, aber es gibt Tendenzen, die in diese Richtung gehen. Statt sich weiterzuentwickeln, macht die Welt viele Rückschritte.

 

Demokratie in der Krise

Der religiöse Fundamentalismus in der arabischen Welt hat zugenommen. Auch die Türkei, das einzige mehrheitlich muslimische Land mit demokratischen Strukturen, entwickelt sich zunehmend zur einer religiösen Autokratie. Konzerne und Organisationen richten sich zunehmend nach repressiven Systemen. Einst friedensstiftende und demokratisch orientierte Institutionen wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die FIFA tragen ihre Wettbewerbe in China, Russland und Katar aus, wo auf die Menschenrechte mit Füßen getreten wird. Demokratische Strukturen gelten als Hindernis für das Profitstreben. Aber auch unter der Bevölkerung Österreichs macht sich eine Demokratieverdrossenheit breit. Dazu trägt die Wahrnehmung bei, dass sich die wirtschaftliche Situation der Menschen nicht verbessert und Politiker ausschließlich an ihre eigene Machtinteressen denken. Die Demokratie steckt in der Krise.


Zunehmende Gewalt gegen Frauen

Gewalt und Sexismus gegen Frauen nehmen zu. Die Abtreibung – ein Privatrecht der Frauen – wird in zahlreichen Staaten kriminalisiert. Werden Frauen vergewaltigt, werden sie selbst dafür verantwortlich gemacht. Äußern sie sexuelle Bedürfnisse wie ihre männlichen Artgenossen, werden sie als Schlampen beschimpft. Gehen Feministen auf die Barrikaden, sind sie einem gewaltigen Shitstorm ausgesetzt. Sie werden bedroht, verfolgt, schikaniert und öffentlich verunglimpft. Kurz nach dem Emma Watson ihre vielbeachtete Rede vor der UN zum Thema Frauenrechte gehalten und sich als Feministin bezeichnet hat, wurde sie im Internet angefeindet und mit der Veröffentlichung von Nacktfotos bedroht.


Aggressivität gegenüber Homosexuelle

Die Diskriminierung gegen Homo-, Bi- und Transsexuelle nimmt aggressivere Züge an und wird in immer mehr Ländern größer. Einer Studie der EU-Grundrechts-Agentur (FRA) zu Folge fühlen sich im sehr hochentwickelten Deutschland 46 Prozent der Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. In nahezu sämtlichen Lebensbereichen – etwa in der Schule, am Arbeitsplatz oder beim Arzt – haben Angehörige der LGBT-Community Erfahrungen mit verbalen oder körperlicher Gewalt gemacht. In Russland hat die Putin-Regierung ein Gesetz gegen „Homosexuellen Propaganda“ erlassen. Homosexuellen-Veranstaltungen sind demnach verboten. Jemand macht sich bereits strafbar, wenn er wohlwollend oder neutral über homosexuelle Handlungen spricht. Im US-Bundesstaat Kansas ist es gesetzlich erlaubt Schwule und Lesben aus religiösen Gründen zu diskriminieren.


Mehr Kapitalismus als vor der Krise

Obwohl die meisten Politiker nach der Wirtschaftskrise 2009 appelliert haben, dass der Finanzsektor sozialer und nachhaltiger gestaltet werden muss, ist der Turbo-Kapitalismus unsozialer und wilder als vor der Krise geworden. Die Vermögen der Reichen vervielfachen sich weiter. Die Einkommenssteuer ist so ungerecht strukturiert, dass man mit einer Gehaltserhöhung in eine höhere Steuerklasse aufsteigt und am Ende weniger in der Geldbörse hat als vorher. Die reichsten 5 Prozent der österreichischen Haushalte besitzen fast die Hälfte des gesamten Vermögens. Gleichzeitig bekommt die untere Hälfte der Bevölkerung – quasi die breite Masse – nur vier Prozent vom Kuchen ab.


Marode Bildung

Die Bildung ist ein einziger Scherbenhaufen. Unsere Kinder verlassen die Schule ohne sinnerfassend lesen zu können. Nichts spricht gegen die Förderung von reichen Kindern. Schließlich haben sie dieselben Rechte wie jedes andere Kind auch. Doch auch in einem armen Kind steckt ein Talent drin, das jedoch nicht ausgelebt werden kann, weil die Eltern keine Ressourcen haben, um es zu fördern.

 

Das sind wesentliche Aspekte, die die Spaltung der Gesellschaft fördert. Die Unzufriedenheit unter der Bevölkerung wird breiter. Die Angst vor der Zukunft steigt, sodass sich die Menschen nicht untereinander solidarisieren, sondern sich gegenseitig misstrauen.

Ich glaube nicht, dass es zu einem Krieg in Europa kommen wird. Dafür werden sich soziale Konflikte weiter verschärfen.

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