EM-Journal ´08 Tag 5

12. Juni 2008
Die Gier nach Vorherrschaft oder die Schönheit dieser Vorrunden-Gruppe A. von Martin Blumenau
 
Hab ich eigentlich erwähnt, dass die Gruppe A meine Lieblingsgruppe ist? Wohl nicht, weil sie ja ganz am Beginn des Turniers stand, und das damals noch nicht so klar war. Aber selbst der wenig berauschenden Performance der Tschechen und der ein wenig betretenen ersten Vorstellung der Türken hab ich ja was abgewinnen können.

Jetzt haben sie es alle viere umgesetzt und heute abend zwei Spiele abgeliefert, die einer Euro mehr als würdig waren.
Zuerst der packende Fight zwischen den diesmal geforderten und somit unter Druck geratenen Portugiesen und den neuen Tschechen, auf die man so lange gewartet hat, den Tschechen, die sich abseits von Scheiberl-Spielkunst auch endlich dem modernen Kick zuwenden.

Und dann die famose Wasserschlacht von Basel, bei der zwei unablässig nach vorne spielende (ja, und tatsächlich auch unter diese Bedingungen immer noch spielende) Mannschaften einander nichts schenkten, immer im Rahmen des Anstands blieben und uns ein packendes Finale schenkten.

 
 
Eins mit keinem Happy End für die Gastgeber.
  Und das ist schon ein wenig sehr traurig.
Weil sie die besseren und rundum fußballerisch auch sympathischeren der beiden Hosts sind; weil man doch ein paar Erwartungen in sie setzen durfte - und weil sie diese Erwartungen zwar sogar recht gut erfüllt haben, und trotzdem rausfallen.
Einmal das bessere Team (und zwar wirklich und nicht nur eingebildet wie das im isolierten Österreich für sich in Anspruch genommen wird) und einmal zumindest gleichwertig, also 4 Punkte des Herzens - aber 0 Punkte von einer schnöden Welt.

So traurig das ist, so schön ist es für die anderen, die genausoviel zum Gelingen des Hauptabends beigetragen hatten: denn wäre es zwischen der Türkei und der Schweiz remis ausgegangen, dann hätte das beiden sehr wenig genützt. So hat der Sieger dieses ersten Finalspiels der Euro (Copyright Köbi Kuhn) wenigsten noch eine Chance. Und zwar gegen die Tschechen, am Sonntag dann, in einem weiteren direkten Finalspiel.

Aber der Reihe nach.

 
 
Portugal - Tschechien, 3:1.
 
Weil sie es diesmal drauf angelegt hatten wirklich Fußball zu spielen, brachte das tschechische Team den portugiesischen Favoriten ordentlich ins Straucheln.
Dazu bedurfte es keiner Systemänderung - nur einer Befreiung der Spielanlage. Das "HochaufKoller - unddannschaumahalt!", das lähmt und behindert diese Spieler, die doch wesentlich mehr können. Und das sogar mit einem Defacto-Irgendwie-Schon-Exkicker wie Milan Baros in der Sturm-Zentrale.
Plötzlich hatte auch Plasil viele gute Ideen (wie schon Sionko im ersten Spiel), plötzlich war das Spiel nach vorne nicht nur schematisch, sondern auch lustvoll.
Und, ja, man hatte sich auch vorgenommen ein wenig härter ranzugehen an die als weinerlich verschrieenen Stars aus Portugal (mittlerweile auch eine Schimäre)

Die ließen sich davon nicht die Schneid abkaufen, kamen aber wesentlich langsamer ins Spiel, fanden nicht so viele Räume vor wie gegen die Türkei und mühten sich lange ab. Beste Maßeinheit war wieder einmal Cristiano Ronaldo, der wieder sehr lang brauchte um ins Spiel zu finden (detto diesmal Simao). Ab etwa der 55. Minute klappte das dann, wurde genug Druck aufgebaut um dann wieder in Fürhung zu gehen.

Denn das mit dem Toreschießen ist für die altuellen Portugiesen irgendwie kein Problem. Und dass sie in der Nachspielzei jetzt in jedem Spiel einen Konter versenken, das ist auch bedenklich, weil so untypisch.

 
 
Trotzdem ging es
  (wie dann auch im zweiten Spiel) die gesamte Zeit über um nur eines: die Vorherrschaft über das Match zu bekommen. Alle Beteiligten waren spürbar gierig darauf es nicht nur zu kontrollieren oder gar zu verwalten, sondern den eigenen Stempel draufzudrücken.

Deshalb ist die Gruppe A meine Lieblingsgruppe - weil das in den anderen Gruppen nicht bei jedem Team zu spüren war.
Diese Gier nach der Überlegenheit macht es dann erst möglich, dass so etwas wie Magie aufkommt, eine Magie, die den heutigen Abend durchzog wie die Schwarte den Speck.

So waren es diesmal diejenigen, die im ersten Gruppenspiel eher in der zweiten Reihe standen, wie Deco oder Ronaldo, die diese Gefühligkeit verströmten.
Und so waren es neben den schon im ersten Tschechen-Spiel bravourösen Sionko und Jankulowski (dessen Standards ein Hammer sind) diesmal auch Plasil, Ujfalusi oder eben Baros, die diese Gier ausstrahlten.

Dass sich die Coaches bei ihren Umstellungen geschickt anstellten, mit feinen Nuancierungen immer richtig reagierten und so das Spiel in immer neue, interessante Bahnen lenkten, das setzt dem ganzen nur noch die Krone auf.

Man konnte also schon am späten Nachmittag sehr zufrieden sein.

 
 
Schweiz - Türkei, 1:2.
 

Dass es, auf nur ganz leicht abgeschwächtem Niveau, am Hauptabend so weitergehen würde, damit war nicht unbedingt zu rechnen. Vielleicht nahm aber der absurde Wolkenbruch in der 1. Halbzeit dem sonst womöglich verbittert geführtem Spiel die Schärfe - beide Teams absolvierten die Rutschpartie mit einer extrem sportlichen Einstellung, versuchten nicht zu markieren oder die Umstände auszunützen.

Auch hier schenkten sich der Gastgeber und der Gast nichts, was den andauernden Kampf um die Vorherrschaft auf dem Platz anging: die wollten alle so sehr, da war unglaubliches Engagement drinnen. War gegen Ende der 1. Halbzeit eine leise Schweizer Vorherrschaft spürbar, legte Terims Team nach einer gelungenen Umstellung in der Halbzeit (er nahm mit sicherem Griff die beiden Schwachpunkte aus der Mannschaft raus) nach der Pause nach und zu. Diesmal übrigens in einem klaren 4-4-2 anstatt des ein wenig unglücklichen 4-3-3 im ersten Match.

Dieses pure Wollen war an zwei Beispielen besonders schön festzumachen.
Zum einen Johan Vonlanthen, der wieder für Barnetta reinkam, und dann Aktionen setzte, mit denen er alles niederreißen wollte - zuviel, ja, aber mit einer Verve, die klarmachte, dass hier einer symbolsieren wollte, dass er verstanden hat, dass es um alles geht. Um das einzige große Heim-Turnier seiner Karriere nämlich (etwas, was andere Teams noch immer nicht gerafft haben...).
Zum anderen Arda Turan von Galata, der neu aufgebotene linke Mittelfeldspieler der Türken. Der lief auch, immer wenn es sich anbot, durch auf seiner Seite und suchte die Anspielstationen und die Chancen.
Dass ihm mit just so einem Lauf dann das Tor gelang, ja das ist das berühmte Quentchen Glück, das vorher Derdiyok und Vonlanthen bei ihrer 3gegen1-Szene in der 84. Minute fehlte.


mehr auf http://fm4.orf.at/blumenau/222918/main


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