EM-Journal ´08 Tag 6

13. Juni 2008

Hickersberger ist ein verdammter Lügner. Er hat uns tagelang erklärt, dass er und die Seinen mit der beschämenden Defensiv-Anlage des ersten, aus eigener Schuld vergeigten Matches zufrieden seien, und - noch schlimmer - man es auch in der zweiten Partie gegen Polen so anlegen werde: vorsichtig und ängstlich eben. Und nein, eine offensive Aufstellung mit Harnik und Korkmaz an den Flanken würde es nicht geben.

 
 
Hickersberger ist ein verdammter Lügner. von Martin Blumenau
  Nichts von seinen entsetzlichen Voraussagen hat er eingehalten, der Beutel, im Gegenteil.

Er hat eine offensiv ausgerichtete Mannschaft aufs Feld geschickt und ihr alle Freiheiten nach vorne gegeben. Sie sind gerannt wie die Irren und haben gepasst und gekreuzt wie in den allerbesten Momenten der Deutschland- und Holland-Spiele zusammen, nein, noch besser, noch schlauer, noch genauer, weil es diesmal auch noch die tapferen einszueins-Situationen von Ümit Korkmaz (später auch einige von Harnik, Garics und anderen) gab.
Sie haben durch diese emphatische Verve so viele irrsinnige Chancen kreiiert, dass man wahnsinnig werden musste, als eine nach der anderen hauchzart danebenging oder vom Über-Boruc (manchmal auch mit den Eiern) abgeblockt wurde.

Und als dann auch noch das unösterreichische geschah, das sonst eher als deutsch erachtete - bei dieser Euro bislang von Portugal okkupierte, dass man es nämlich in der Nachspielzeit packt - da war klar, dass Mut belohnt wird.

Und: mit diesem System, diesem Druck, dieser Wildheit hätte Österreich Kroatien überrollt.

 
 
Hickersberger ist ein verdammter Lügner.
  Hat alle abgelenkt mit seinen Vorsichtssprüchen und dann die womöglich offensivste, aber sicher intelligenteste Mannschaft seiner Ägide aufs Feld geschickt.

Es war klug Prödl und Stranzl innen zu belassen - der eine ist der mutigste, der andere konnte sich nach dem verpatzten Anfang im ersten Spiel nur steigern.
Es war richtig, den ballsicheren und spielstarken Garics rechts anstatt des überforderten Standfest zu bringen, es war richtig, den Extremsituationen gewohnten Pogatetz links einzusetzen.

Es war richtig, den mit so viel Lenker-Talent ausgestatteten Leitgeb ins Zentrum zu stellen, wo zuletzt Säumel mit dem hilflosen Aufhauser (der diesmal auch wieder ausschließlich im Mittelkreis herumstand, eine Vorgabe sondergleichen, und auch bei Standards unbrauchbar) alleingelassen wurde.
Aufhauser fiel bei den schönen Hintertor-Einstellungen von ganz oben auf, weil er hirnlos direkt vor der Abwehr klebte, ohne Bindung zum Mittelfeld, und von beiden Mannschaftsteilen wieder einmal nie absichtlich eingebunden wurde, ein Irrsinn wieder, aber eben der einzige. Und: Einen Mann kann man gerade noch mitschleppen, bei drei, vier wie gegen Kroatien geht es in die Hose. Trotzdem: Das muss nicht sein. Immerhin hat ihn Hicke dann wenigstens ausgewechselt, seiner Nibelungentreue zu diesem leider nur bis vor ein paar Jahren guten Mann zum Trotz.

 
 
Die Vierer-Offensive
  war dann das Herzstück der unerwarteten Attacke des Hicke-Teams.
So was ausgefranztes hat man schon lange nicht mehr gesehen. Die gegnerische Defensive wusste nie, was auf sie zukam, weil die Vier da vorne rochierten wie die Wildschweine.
So kam Dribbelkönig Ümit, der Mann mit dem Zug zur Grundlinie (diesbezüglich der neben Olic begabteste Spieler des Turniers) nicht nur über links, sondern dann auch über rechts.
So war Martin Harnik, die rechte Granate, überraschend lange Zeit auch zentral zu finden oder halblinks. So war Ivanschitz als Löchestopfer dieser Formation oft über rechts zu sehen - und der zu Unrecht vor dem Spiel geprügelte Linz war sich nicht zu schade, den Löcherreißer für die anderen zu spielen, immer wieder zwei Gegenspieler mitzunehmen, um Räume aufzumachen.

Ich hab ja bei Bekanntgabe der polnischen Aufstellung gejubelt: Beenhakker unterlief der Fehler im Zentrum die alten Knacker Jop und Bak aufzubieten, die beide zusammen in etwa das Tempo eines hinkenden Büffels gehen können. Seinen Abwehrchef Zewlakow gab er für die linke Seite, sein Sorgenkind, frei. Ein Bauernopfer: Er war auf den schnellen Harnik vorbereitet.

Bloß: Dort war aufgrund der vielen Rochaden eine herkömmliche Verteidigung gegen den Mann sinnlos. Vielleicht war das Hickes Absicht - ich denke aber nicht, weil niemand mit Zewlakow dort rechnete; also half ein hübscher Zufall mit das österreichische Spiel durch die Mitte möglich zu machen.

Beenhakker korrigierte seinen Irrtum in der Halbzeit, nahm Jop raus, stellte Zewlakow in die Mitte, brachte mit Golanski einen neuen für die linke Seite. Danach funktionierte das österreichische Angriffspiel dann nimmer so easy wie in der ersten Halbzeit.

 
 
Durch dieses Zusammentreffen
 

(Hickes überraschende Offensive und Beenhakkers Fehleinschätzung seiner linken Abwehrseite) gab es aber eben eine unpackbare erste Hälfte zu sehen.

Die Kombinationen Ümit-Harnik sind eine Sensation, der Beute-Deutsche vergibt zweimal, dann Leitgeb allein von dem großen Boruc, dann Garics am rechten kurzen Eck, dann noch einmal Leitgeb - fünf Riesen-Chancen, allesamt blendend herauskombiniert, mittels traumhaften Tempo-Fußballs.
Und dann das Gegentor - normalerweise ein Grund um danach gelähmt herumzulaufen und trübe dreinzuschaun.

Hier hat der Lügner Hicke ja leider nicht gelogen: Diese Ausrede gilt ihm ja immer noch, die fürs Kroatien-Spiel, wo man eine Halbzeit lang wie eine verdatterte Herde von Rehkitzen auftrat, ehe man sich dann doch noch aufraffen konnte sich zur Wehr zu setzen.

Nur: damals, am Sonntag, stand der Mannschaft ihre eigene Spielanlage im Weg herum, aus der heraus nichts Produktives entstehen konnte.
Diesmal hatten sie alle Mittel dabei, waren alle Werkzeuge an Bord. Mit dem wilden 4-3-3 der Mannschaft (im Gegensatz zum feigen 5-2-3 des Sonntags) war es möglich sofort zu reagieren und den Plan durchzuziehen, ohne nachher etwas von "Schock" winseln zu müssen.

Dieser "Schock", ein Gegentor nämlich, ist eine Konstante dieses Spiels, das Fußball heißt.
Und es ist eher egal wann der Schock eintritt - je früher desto länger bleibt Zeit zur Gegenwehr.

 

mehr auf http://fm4.orf.at/blumenau/222936/main

 

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