GESUNDHEITsSPECIAL: Deutschland sucht den Superarzt

06. Mai 2011

Emergency! Deutschland wirbt unsere Doktoren ab. biber hat drei Auswanderer-Ärzte besucht, die in der unterfränkischen Pampa die deutschen Nachbarn verarzten.

Von Amar Rajković und Lucia Bartl (Fotos)

Dr. Ashkan Noorian staunt nicht schlecht. Der Wiener mit persischen Wurzeln hat am Wochenende eine Radtour unternommen und jetzt weiß ganz Bad Neustadt davon. Im Städtchen in Unterfranken bleibt niemand anonym, schon gar nicht ein Arzt. Seit drei Jahren lebt Noorian hier. „Im Supermarkt grüßt mich fast jeder“, erzählt der Großstädter erstaunt. Der Jungmediziner ist einer von den 1800 Ärzten, die ihre praktische Ausbildung bei unserem großen Nachbarn machen. In Deutschland herrscht akuter Ärztemangel, vor allem in der Pampa. Deutsche Jungmediziner bevorzugen die Ballungsräume.

 

 

Turnus als Problemfall
Dr. Sebastian Kerber, Chefarzt der Herz- und Gefäßklinik GmbH in Bad Neustadt a. d. Saale freut sich über den Nachschub aus dem Alpenland. „Die Kollegen erfahren über Mundpropaganda, dass es bei uns ausgezeichnete Ausbildungsmöglichkeiten im Krankenhaus gibt.“ Tatsächlich erledigen österreichische Ärzte in Deutschland anspruchsvolle Aufgaben. Das hat den Wiener Nino Schukro zum Umzug von Wien in die deutsche Pampa bewogen. „Die bessere Ausbildung war für mich der einzige Grund, nach Deutschland auszuwandern.“ Der 28-Jährige Wiener mit syrisch/libanesischen Eltern ist zwar erst seit zwei Monaten in der kardiologischen Klinik in Bad Neustadt, genießt aber jetzt schon die beruflichen Vorzüge seines neuen Arbeitgebers. „Ich wollte nicht in Österreich ewig auf einen Turnusplatz warten und eintönige Aufgaben wie Blutabnehmen und Fusionen geben verrichten.“

Martin Stickler, Pressesprecher der Ärztekammer, meint zu den Auswanderer-Ärzten: „Viele österreichische Jungmediziner arbeiten deswegen in Deutschland, weil sie nicht auf einen Turnusplatz warten wollen.“ Auch die gemeinsame Sprache und die geografische Nähe würden das Auswandern erleichtern.

Schukro sieht auch andere Gründe: „Um ins Wiener AKH zu kommen, musst du entweder verdammt gut sein oder deine Beziehungen spielen lassen“, klagt er über Freunderlwirtschaft daheim. Das sei im deutschen Ländle anders: „Hier suchen sie händeringend nach Fachkräften und freuen sich über jedwedenZuwachs.“ Herkunft oder sozialer Status spielten keine Rolle.

Alltag eines Landarztes
Geschenkt wird den Ärzten aber auch in der neuen Heimat nichts: Die durchschnittliche Arbeitswoche beträgt 60–80h/Woche. Dr. Horacek, gebürtiger Kärntner, hat seinen Turnus in Klagenfurt absolviert und macht in Bad Neustadt die Facharztausbildung zum Kardiologen. „Unter der Woche kommst du nur zum Schlafen, mehr geht sich bei einem 11–12-Stunden-Tag einfach nicht aus.“ Das Geld stimmt, versichern die Neo-Deutschen, ohne Details zu verraten. Nur mit dem Ausgeben wird es aufgrund mangelnder Freizeit eben schwer. „In den ersten Monaten habe ich nur gearbeitet und zu Hause vor dem Schlafengehen eine DVD angeschaut“, meint Noorian über den monotonen Alltag eines Landarztes in Ausbildung.

Mitleid dürfen sich die Jungärzte von Chefarzt Kerber aber nicht erwarten. „In Skandinavien kann ich als Arzt sicher sein, dass ich um pünktlich 16 Uhr das Krankenhaus verlassen kann. Der Leidtragende ist dann der Patient.“ Ganz der deutschen Arbeitsmoral verschrieben, sieht es als selbstverständlich an, wenn ein Arzt Überstunden macht. Nicht nur, um den Patienten zu helfen, sondern auch, um sich selbst weiterzubilden. „Medizin ist ein lebendiges Fach, bei dem man nie auslernt. Diese Zeit muss sich ein Arzt nehmen, um seine Kenntnisse zu vertiefen und sich weiterzubilden.“

Die Jungärzte würden in seiner Klinik Aufgaben erledigen, die nicht selbstverständlich für Ärzte in ihrem Alter seien. Noorian stimmt seinem Chef zu und ergänzt: „Die in Österreich verrichtete Arbeit von Turnusärzten wird hier von den Krankenschwestern oder Maschinen übernommen.“ Der Perser haderte anfangs mit der deutschen Sprache, unvergesslich sein erstes Faux-pas. „Ich stand im Supermarkt und wollte meinen Einkauf einpacken, da fragte ich natürlich nach einem Sackerl.“ Ob er sich seit dieser Situation noch einmal unfreiwillig als Ösi geoutet hat, wollen wir wissen. „Nee!“, meint er im typischen Deutsch.

Schon wieder Migrant
Noorian spricht von einer zweiten Integration, die er in seinem Leben durchlaufen musste. „Als meine Eltern nach Wien kamen, war ich gerade mal sechs Jahre alt. Knappe 20 Jahre später, musste ich mich hier noch einmal integrieren.“ Von ähnlichen Erfahrungen weiß auch Schukro zu berichten. In der deutschen Provinz wurde er kaum auf sein orientalisches Aussehen angesprochen, viel mehr fiel den Leuten, seine „niedliche“ österreichische Aussprache auf. Auch der Kärntner hat so manchen Schwank auf Lager. „Die Deutschen kennen das Wort ,Beistrich’ nicht. Die Krankenschwestern haben es anfangs immer ausgeschrieben, was mich sehr amüsiert hat.“

Vom Wolf getrennt
Was sie in der neuen Heimat am meisten vermissen? „Das Wiener Leitungswasser“, rufen Noorian und Schukro fast gleichzeitig. „Außerdem ist es unglaublich merkwürdig, wenn du die ZIB auf 3Sat anschaust und dich vom Armin Wolf verabschieden musst. Spätestens da haben wir realisiert, dass wir nicht mehr in Österreich wohnen.“ Horacek vermisst seine Freundin und die österreichische Ski-Euphorie. Die Deutschen würden sich zu wenig dafür interessieren. Dafür interessieren sie sich umso mehr für ihre Ösi-Ärzte, vor allem in Bad Neustadt.

Österreichische Ärzte im Ausland, Stand Ende 2009 (Quelle: Ärztekammer)
Deutschland – 1800 Ärzte
Großbritannien – 285 Ärzte
Dänemark – 30 Ärzte + 53 in Ausbildung
Schweden – 24 Ärzte

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Kommentare

 

Das ist eine wirklich nette Reportage! Aber, was mir in der Geschichte fehlt, ist die Tatsache, dass Österreich einen Fachärztemangel hat! Das ist ja das wirklich Erschreckende! Es leiden also nicht nur junge Ärzte, die "halt" auswandern müssen, wenn sie eine Spezialisierung wollen. Es leiden wir alle in Österreich lebenden Menschen darunter, weil wir nicht genug Ärzte haben. Umso paradoxer ist es, dass Österreich die Leute erst ausbildet, anders gesagt: viel Geld in sie investiert!!!, und dann die fertigen Ärzte einfach ziehen lässt, damit sie woanders ihre Spezialisierung machen und womöglich dort bleiben.
Das finde ich den wahren Skandal - und nicht z.B. die vielen deutschen Medizin-Studenten in Österreich....

 

Danke Iga für dein Feedback. Habs erst jetzt gelesen. Das Problem mit den zu wenigen Fachärzten hängt damit zusammen, dass in Österreich neben Slowenien noch immer die Pflicht zum Turnusarzt besteht. Das ist in Deutschland anders, da kannst du gleich nach dem Abschluss mit dem Facharzt beginnen. Schade, ich dachte, das ist eh ersichtlich aus der Geschichte.

 

1) sind ist man nach dem studium NICHT "fertiger" arzt, sondern erst nach abgeschlossenem 3jährigem Turnus (=Ausbildung zum Allgemeinmediziner) oder nach einer Facharztausbildung (je nach Richtung 4-6 Jahre Dauer). Daher werden keine "fertigen" Ärzte weggeschickt, sondern die Leute einfach nicht fertig ausgebildet; aber keine Sorge: Die Studienplätze wurden in den letzten 10 Jahren auf ein Drittel reduziert im Vergleich zu den 90er-Jahren, also zu dem Ärztemangel im Spital (beschweren sich ja genug leute, dass es immer zu langsam geht im Spital) kommt dann in Zukunft dann auch der Effekt, dass es nicht mehr zu viele Interessenten gibt für die FA-Plätze. Theoretisch.

2) gibt es in Österreich KEINEN ZWANG zum Turnus, man könnte gleich mit der Facharztausbildung anfangen; auf einem anderen blatt steht aber, dass es zu wenig Facharztausbildungsplätze gibt und daher viele allein deswegen den Turnus anfangen (tlw. kann man sich die Zeit für FA anrechnen lassen), fertige Allgemeinmediziner lieber im Krankenhaus für die Facharztausbildung genommen werden, weil sie dann schon voll haftbar sind und daher besser einsetzbar sind oder man eben in ein anderes Land geht, um dort FA zu machen.

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