Ich beim Callcenter: Alltagsgeschichten, Vorurteile, Lügen

17. März 2009
Mein Name ist Huber! Nein ich heisse noch immer Tomaj, aber im Call-Center "mutierte" ich a la Wallraff zum "woschechten Österreicher". Ich redete mit so vielen Menschen, dass ich mir am Ende ein Bild von unserer gesamten Gesellschaft machen konnte.
 
Ich komme aus OÖ, das habe ich schon mal erwähnt, dort ist es noch ein wenig "uriger" als in Wien, und so auch die "Eingeborenen". Der Dialekt,.. naja wir würden sagen "bauanbuam-slang".
 
Callcenter
Unser erster Tag, wir kommen rein, jeder stellt sich mal vor, und dann wird gearbeitet. Wir müssen Leute anrufen, und sie zu allem Möglichen befragen. Der eine ist ein wenig gelassen, der andere dreht ein bisschen auf, jeder so wie er ist. Die Leute, die im Call-Center arbeiten kommen von überall: ein alter Ex-Knacki, ein Haudegen seinerzeit - so wie er mir gerne erzählt, eine ca. 1,80 große hübsche Studentin (mein Pausenflirt) - die mal Geld braucht für Designerklamotten, ein Bücherwurm auf Kontaktsuche - heute sogar mit gebügeltem Hemd, eine "Roseanne"- ähnliche Klatsch und Tratsch-Expertin mit soviel Goldschmuck, dass sogar „Mister T“ Augen machen würde, und auch ein paar Kollega´s, die ich vom Kicken kannte .
 
Unsere Leiterin, eine etwas betagte Frau Mitte 40 - sieht sich am "Höhepunkt" ihrer Karriere - erklärt uns die Basics des Telefonierens. Sie nimmt ihre Arbeit sehr ernst, manchmal komm ich mir vor, als ob wir Geheimdienstdaten ausarbeiten um ein Regime zu stürzen, und nicht um Kaffeemaschinen und Zigarettenmarken zu erfragen.
 
Wir sollen viele Leute anrufen, möglichst wenig Fragen beantworten und sehr viel Fragen stellen. Ich werde von ihr noch mal extra zur Seite gerufen und mir wird gesagt, dass mein Name die Leute am Telefon „abschrecken“ würde und es besser wäre, wenn ich mich als Huber vorstellen würde. Ich bin dagegen, aber da ich dort ein wenig Kohle machen wollte, sah ich darüber hinweg.
 
Wenn man anruft ist dass ein komisches Gefühl. Wie Menschen nun halt sind, gibt es sehr viele verschiedene Reaktionen auf einen Anruf. Ich habe sehr, sehr viele Anrufe gemacht und es kam immer wieder was neues.
 
Ein paar Auszüge
Ich ruf einen Mann in Wien an (damals war ich noch in Linz), er klingt "eigentlich" alt. Ich rede mit ihm über Kaffeemaschinen (glaubt mir, langweiliger geht nimmer), dann wird´s "a wengal" spannender…wir reden über Fußball und er erzählt mir, dass er ein großer Austria-Fan ist, dann regt er sich aber plötzlich auf: "samma z´vü auslända!". Das witzige dabei war, dass er mich ja am anderen Ende der Leitung als Herrn Huber kannte, und mir so zu sagen sein Leid aussprach, von Huber zu Austria-Fan – mir war´s recht!
 
 
Ein anderer will mich sofort bei seiner Firma einstellen. Zuerst rede ich mit ihm über Zigarettenmarken und irgendwann, „erkennt“ er mein Talent und fragt mich, ob ich nicht für ihn arbeiten will. Ich gebe ihm am Callcenter-Telefon meine persönliche Nummer. Nach ein paar Tagen meldet er sich bei mir. Ich war ein wenig verdutzt, denn ich hatte mich ja als Herr Huber vorgestellt und es war mir peinlich zu sagen, dass es keinen Huber gibt. Ich hab´s gelassen.
 
 
Eine andere, geht während ich mit ihr Rede mal „gach“ kochen und lässt den Hörer einfach daneben liegen. Sie erzählt mir von ihrer Tochter und ihrem neuen Freund und dass sie selber seit ca. zwei Jahren Single ist. Ich höre halb hin, immerhin besser, als ständig durchzuklingeln. Irgendwann - es war zwischen Scheidung und Ex-Mann - wollte ich nicht mehr und hab einfach aufgelegt. Die soll endlich ihren Brei essen.
 
Ich rufe bei einer alten, der Stimme nach gebrechlich-scheinenden Frau an. Wo das war? Ich weiss nicht mehr, man schaut irgendwann nicht mehr auf den Monitor und entwickelt eine Eigendynamik. Ich rede mit ihr, sie scheint sehr nett zu sein, so eine Art Großmütterchen für alle. Irgendwann wird´s persönlicher und sie erzählt mir über ihren Kummer - vielleicht habe ich auch diese Seelsorger Stimme, wie der Domian in Deutschland.
Auf jeden Fall redet sie, dass sie alle Menschen gern hat, nur Türken nicht. Ich ganz verdutzt wache aus meinem Telefonschlaf auf und frage sie nach dem „Warum“. Sie sagt mir, dass sie nicht grüßen können und wahrscheinlich irgendwas „aushecken“ gegen sie. Die „verschleierten“,  wohnen nämlich bei ihr im Stockwerk und sie fürchtet sich noch bei Nacht hinauszugehen.
 
 
Die schlimmste Situation hatte ich aber bei einem Gespräch, dass mich dann erst später aufgewühlt hat. Mann hat solche Situationen nicht oft, an dem man sich Fragen stellt, wie: Warum bin ich überhaupt in Österreich gelandet, ich hätte jetzt in Kanada sein können? Warum passiert so ein schass überhaupt, dass hatte gar nichts mit der Sache zu tun?
 
Ich rede mit einem Mann, er ist wahrscheinlich 45. Ich sage wie immer Grüßgott, mein Name ist Huber...
Kaum hatte ich zwei Sätze gesagt ging es los. Er wurde sehr laut, und fing an mich zu beschimpfen: „Wos wüst?“ „Du bist a Yugo, oda a Türk, du bist koa Huaber!“
 
Ich bin ein souveräner Mensch, und schwer aus der Fassung zu bringen, ich kann argumentieren und versuche neutral zu bleiben, aber in diesem Moment war ich so was von baff, dass ich nicht mehr richtig antworten konnte, ich sagte nur mehr: "na, vui, vui (voll) i hoaß Huaber!".
Als ich dann bei uns Zuhause war, habe ich dann darüber nachgedacht und die Sache war dann zwar schnell wieder in Ordnung, aber es war eine richtige verbale Attacke, die ich mal verdauen musste.

Kommentare

 

Die paar Beispiele sind noch mal ausdrücklich geschrieben, die Beispiele, die ich für lesenswert sehe – gerade in unserer Community. Selbstverständlich soll das keine „Anti-Svabo-Story/Blog“ sein. Das sind ausgesuchte Alltagsgeschichten meiner Zeit im Callcenter, alle aus der österreichischen Gesellschaft.

 

zitat:,,

... nur Türken nicht. .... Die „verschleierten“, wohnen nämlich bei ihr im Stockwerk und sie fürchtet sich noch bei Nacht hinauszugehen.

Genial!

Der Blog liest sich gut. Gefällt mir.
Und echt Krank was so abgeht! Wenn mich so ein Callcenter anruft, hab ich meistens keine Zeit oder keine Lust.

Danke! Herr Huber!

Ps: das mit Huber ist ne Frechheit!

 

danke teoman, freut mich, kann ich nur zurückgeben.

 

hallo hier spricht huber...tomaj huber :-))

 

:) genau so ist es im callcenter... ich kenn da noch super geschichten... z.B.: wie ich mit dem Marketingmanager der FPÖ telefoniert habe und was der mir alles erzählt hat:) aber wenn er gewusst hätte, dass am anderen ende eine türkin sitzt:))) war höchst amüsant

oder eben leute die sich ständig über ausländer aufregen... nur sehen sie nicht, dass am anderen ende ne "ausländerin" sitzt... wie gesagt HÖCHST AMÜSANT aber auch TRAURIG...

 

haha super blog tomaj. hab auch die callcenter-erfahrung hinter mir. ich war nicht frau huber, sondern frau engel.

ich versuche später das gespräch auszukrahmen und es online zu stellen. habs noch irgendwo . :))

 

danke,.. ja da können wir viel anhängen, das haben viele von uns gemacht.

 

so liebe bibers. hab für euch jetzt so ein callcenter-gespräch zusammengeschnitten. türlich den namen und die kontodaten weg.

http://www.dasbiber.at/content/callcenter-aufgezwungener-gespr%C3%A4chsl...

akzentfrei? heuchlerisch? schön von den callcentertrainer gedrillt?...

leute mit gewissen halten es dort lang nicht aus. hab sehr schnell schädlweh vom job bekommen und konnt es nicht mehr aushalten leute auf die art und weise anzulügen.
nieeee wieder callcenter.

vor allem schmerzhaft war ein gespräch, wo ich einen internetprovider gut verkaufen musste.

es hieß, laut gesprächsleitfaden, dass man um 19,90 unbegrenzt internet surfen kann. dabei handelte es sich um 400 mb pro monat. die leute bekamen hohe rechnungen, weil ihnen auch versprochen wurde, dass sie unbegrenzt surfen können.
ich hatte einen mann an der leitung, der ein krankes kind zuhause hatte und auf unbegrenzes internetsurfen angewiesen war, da er für das kind therapiemöglichkeiten recherchierte. er fragte noch mal nach, ob das wirklich wahr wär mit dem unbegrenzen surfen. ich sagte am ende: nein nehmen sie das produkt nicht. die versprechen mehr, als sie halten.
sie brauchen eine günstigere variante. aber kaufen sie es nicht bei uns.

naja...danach hab ich den job geschmissen und mir etwas gesucht, wo ich leichter schlafen konnte.

 

...man muss nicht alles für Geld machen, echt nicht.

Man darf auch moralische Ansprüche stellen und das ist gut so.

Boah bin voll stolz auf dich. Hast was für dein Karma gemacht. Diese Verkäufer-Mentalität ist echt furchtbar, wie die junge Leute angelernt werden, zu lügen, zu betrügen ohne einem Funken moralischer Ansprüche für die Interessen von irgendwelchen profitgeilen Konzernen und das auf Kosten von anderen. Schrecklich, furchtbar.

 

du sagst es. vor allem hab ich das nachahmen der leute schrecklich gefunden. war ja schon schlimm genug, dass wir so einen gesprächsleitfaden bekommen haben. und dann hab ich mich in situationen vorgefunden, wo ich mitbekam, wie die kollegen von anderen "brilliante" überredungskünste kopierten.

wie in einer arena, wo leute versuchen aneinander zu überbieten. gelockt wurden sie ja durch honorare. je mehr abschlüsse, desto mehr kohle. und so lauschten sie eben, was die kollegen daneben redeten. und im nächsten moment hörte man, wie sie das selbe am telefon sagten.

man kann sagen, dass die erfolgreichsten auch gleichzeitig die skrupellosesten waren. irgendwie absurd diese art von erfolg zu würdigen.

danke, dass du stolz auf mich bist. freut mich :)

 

super blog!!! ich habe auch mal bei einem callcenter gearbeitet, und musste türkische Interviews machen....soooo lustig sage ich euch! Das war echt der einzige Grund warum ich dort gerne gearbeietet habe...:-)

 

es gibt viele derartiger storys. danke. schreib doch aus deiner erfahrung würd mich interessieren was du so erlebt hast.

 

werde ich gerne mal machen! dann können wir vergleiche ziehen :-)

 

na es war so, "griaß erna: huber mein name, haben sie kurz zeit bei einer repräsentativen umfrage tielzunehmen" (dann mussten wir immer sagen 10 min obwohl es 20 min dauerte).

es ist echt ne verarsche für die leute, die angerufen werden, weil auch gesagt wird, dass die telefonnummern per zufallsprinzip ausgewählt werden, dabei hatten wir herold.at im netz benutzt + privat nummern.

 

naja ihr habt den herold benutzt.
wir bekamen verkaufte adressen.

die firmen, also versandhandel, tv-shops, gewinnspiele, wo man kontaktdaten aufgeschrieben hat. alles wo die adresse draufsteht, wird verkauft.

eure daten sind eine menge wert.

ich hab mal den fehler gemacht, dass ich per teleshop eine pfanne bestellen wollte. habs storniert. dennoch wurde ich von meiner alten callcenter-firma angerufen. diesmal als kunde.
so schnell wurden meine daten weiterverkauft. ...

also leute. gewinnspiele, wo ein tolles auto irgendwo rumsteht, wo man teilnahmekarten reinwerfen soll...jeder zettel, den ihr ausfüllt, ist für irgendwen reines kapital.

 

...man kommt aber gar nicht mehr drum rum seine persönlichen Daten weiterzugeben. Spätestens bei den Jobplattformen um einen Job zu suchen, bist schon am Haken.

Also es gibt keine Optionen mehr und auch kein zurück mehr.

Ja und Herold verkauf ein produkt das nennt sich Marketing CD, die man gesetzlich gar nicht nutzen durfte. Wofür verkaufen sie es dann?

 

du könntest locker bei der inländerfreundlichen Telefonzentrale der FPÖ hackln, lieber Herr Huber ;)

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