Jährlich grüßt das Ramadan-Murmeltier

01. April 2022

Heute beginnt der Fastenmonat Ramadan. Wie unzählige andere Musliminnen und Muslime freue ich mich schon sehr. Ich verzichte zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang auf Essen und Trinken und lege einen besonderen Wert auf meine Gebete. Ich rezitiere aus dem Koran und breche gemeinsam mit meiner Familie sowie Freundinnen und Freunden mein Fasten.

Natürlich ist Fasten anstrengend, aber das anstrengendste für mich ist nicht die körperliche Herausforderung des Fastens. Es sind die immer wiederkehrenden nervigen bis abfälligen Bemerkungen zu Ramadan. Deswegen lege ich mir meine Antworten schon zurecht:

 

„Nein, nicht mal Wasser.“

 

„Ja, du darfst vor mir Essen und Trinken.“

 

„Danke für dein Mitleid.“

 

„Danke, dass auch du mir mitteilst, dass du das nicht könntest.“

 

„Ja, bitte erzähl mir, wie ungesund Fasten doch nicht sei, während du einen Spritzer nach dem anderen trinkst.“

 

„Ich weiß, Fasten ist nur Hip, wenn es nicht muslimisch ist.“ 

 

Unehrliche Fürsorglichkeit

Das ganze Jahr über sind vielen die Anliegen muslimischer Kinder und Jugendlichen egal. Wenn Ramadan ist, entdecken sie plötzlich ihre Fürsorglichkeit. Sie geben vor, muslimische Kinder und Jugendliche vor ihren muslimischen Eltern zu schützen. Wie arrogant. Als ob muslimische Eltern nicht an das Wohl ihrer Kinder denken könnten und würden. Musliminnen und Muslime fasten seit Jahrhunderten und viele erzählen genauso lang, wer vom Fasten befreit ist: alte Menschen, Kranke, Schwangere und Stillende, Kinder bis zur Pubertät und Reisende.

Besonders gravierend ist es, wenn Lehrpersonen teilweise vor der ganzen Klasse abfällig über das Fasten sprechen. Wenn es um Muslim*innen und Ramadan geht, scheinen sich pädagogische Grundprinzipien wie Empathie, Verständnis, Augenhöhe und Respekt in Luft aufzulösen. Sie können sich wohl nicht vorstellen, dass viele Kinder und Jugendliche fasten möchten und sich darauf freuen. Anscheinend sollen sie ihren Eltern und Geschwistern nicht nacheifern.

Klar kann es zu Problemen mit Jugendlichen und Fasten kommen. Aber ihr Verhalten ist dann nicht typisch jugendlich, sondern typisch muslimisch. Sie sind keine Individuen. Sie repräsentieren nicht sich selbst, sondern DEN Islam und DIE Muslime. Ihre Fälle werden dann für antimuslimische Diskurse instrumentalisiert.

Was ich mir wünschen würde

Eine Lehrerin wie Beatrix Teucher, Beauftragte für interreligiöse Bildung am Helmut-Schmidt-Gymnasium in Hamburg. Sie schrieb in einer Mail an ihre Kolleginnen und Kollegen: "Bitte bringt unseren Schüler:innen Wertschätzung und Verständnis entgegen. Denkt daran, dass ihre Leistungsfähigkeit, insbesondere ihre körperliche Kraft eingeschränkt sein können und verlangt in dieser Zeit keine Höchstleistungen sowie schweißtreibende Aktionen von ihnen. Sie sind uns für diese wohlwollende Haltung immer wieder dankbar!"

Für jene mit Tatendrang, die sich für muslimische Schülerinnen und Schüler einsetzen möchten: Antimuslimischer Rassismus ist für sie eine reale Bedrohung, Fasten nicht.

Ich wünschte, ein herzliches „Ramadan Kareem“ wäre so selbstverständlich wie "Frohe Weihnachten" oder "Frohe Ostern".

 

Zum Autor

Ali Dönmez ist Logopäde, Lehrer für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und Initiator der Petition #LasstKinderGemeinsamLernen zur Abschaffung der sogenannten Deutschförderklassen. Als Logopäde arbeitet er mit vielen muslimischen Kindern, Jugendlichen und Familien zusammen, die ihm regelmäßig aus ihrem Leben erzählen.

Ali Dönmez
Martin Haider

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