Muslim Sultanov vs. Ananaskopf

11. Juni 2012

Früher noch eine Attraktion am Heumarkt, hat sich die Wiener Wrestling-Szene in die Hinterhöfe verzogen. Dort halten der „Balkan-Butcher“, ein falscher Tschetschene, und ein Freak namens „Ananaskopf" die Soap-Opera für echte Männer am Leben. Ring frei!

 

Es war vor ungefähr sechzehn Jahren in Wien, in der kleinen Wohnung der Familie Panic. Seit sechs Jahren lebt die aus Slowenien stammende Familie in Österreich. Der jüngste, Mirko, spielt oft alleine im Wohnzimmer. Wie auch an diesem Nachmittag. Zufällig bekommt er dabei eine Videokassette in die Finger. Noch weiß er nicht, dass sie sein Leben verändern wird. In einem unbeachteten Moment schiebt er sie in den Videorekorder und sieht zum ersten Mal was er sein restliches Leben lang machen will.

 

2012, in einem Keller in Wien Leopoldstadt: Die verzogene Eisentüre gibt ein leises Quietschten von sich, auch die Treppe in das dunkle Gewölbe hat schon einiges hinter sich und knurrt bei jedem Schritt vor sich hin. Es kostet ein wenig Überwindung, in die Dunkelheit hinab zu steigen. In einem schwachen Lichtkegel hebt sich eine bullige Gestalt von den roten Ziegeln der Mauer ab: Mirko.

Er ist erwachsen geworden; 22 Jahre alt, 104 kg schwer, 185 cm groß. Stiernacken. Eiserner Händedruck. Mirko ist jetzt Wrestler. Kampfname: „The Balkan Butcher.“ Was er als Kind in Fernsehen bewunderte, macht er jetzt selbst: Locks, Slams, Drops, Kicks. Alles Fachbegriffe aus dem Wrestling-Jargon für die halsbrecherischen Kampftechniken, mit denen sich die Wrestler einschenken.

 

Der Kracher

Seit 8 Jahren trainiert Mirko schon in der WSA (Wrestling School Austria). Zwischen Liegestütz, Sit-ups und Fallübungen erzählt er, warum Wrestling seine Leidenschaft ist. „Mich hat schon immer die Athletik daran interessiert. Für mich ist es mehr Sport als Show.“ Natürlich würde es auch um Ausdruck und um Körpersprache gehen, aber in erster Linie sei es ein harter Kampfsport, in dem man ohne Training ganz schnell untergehe.

Und das Training kann sich sehen lassen. Mit ausgestreckten Armen wirft sich der „Butcher“ in Richtung Boden und bringt den 2. Bezirk zum Wackeln; zwischen ihm und dem Steinboden nur eine dünne Trainingsmatte. Falltraining nennt sich das - das Um und Auf des Wrestlingsports. Die Herausforderung dabei: so spektakulär wie möglich zu stürzen, ohne sich dabei zu verletzen. „Krachen muss es“, schnauft Mirko, „damit die Show auch nicht zu kurz kommt.“

Dem Vorwurf, dass die Kämpfe nur inszeniert seien, kann der „Balkan Butcher“ nichts abgewinnen. „Keiner von denen, die den Sport belächeln, hat sich je zu mir in den Ring getraut. Das spricht wohl für sich.“ Aber wie viel ist beim Wrestling-Sport wirklich inszeniert? Ein Geheimnis, das keiner der Wrestler lüften darf. Es gilt seit den Anfängen des Sports als Ehrenkodex, die Tricks nicht zu verraten.

 

Der weiße Teufel

Mirkos Trainingspartner in der WSA (Wrestling School Austria) ist heute der 23-jährige Gerhard. Auch er hat seinen Gimmick schon gefunden: „Albo Diabolo“ - der weiße Teufel. Im Gegensatz zu Mirko ist er ein etwas schmächtiger Kerl. Die blonden Haare hängen tief ins Gesicht. Dunkle und düstere Tattoos zieren seine blasse Haut. Unter den Augen hat er zwei Blitze tätowiert, am rechten Oberarm sein Vorbild, den Wrestler „Mick Foley“. Die Maske und der schwarze Umhang sind sein Markenzeichen und geben ihm eine geheimnisvolle Aura. Gerhard beschreibt sich selbst als etwas schüchtern und zurückgezogen, er habe es nicht immer leicht gehabt im Leben, Krankheit und Depressionen haben ihn gezeichnet. Doch im Wrestling hat er neuen Mut gefunden. Man sieht es dem weißen Teufel nicht an, aber auch er hat schon so manchen Gegner zu Boden gebracht. Seine Mutter nickt. Sie begleitet ihn so oft wie möglich zu seinen Trainings und Kämpfen. Sie ist selbst ein großer Wrestling-Fan.

Als sie ihren Sohn, den weißen Teufel, so ansieht, beginnt sie von den legendären Wrestling-Shows am Wiener Heumarkt zu schwärmen. Die Augen beginnen zu leuchten: „Wenn es mein Körper zugelassen hätte, wäre ich selber gerne in den Ring gestiegen.“

 

Die Trainer

Die WSA ist eine von zwei Schulen in Wien. Trainiert wird unter der Leitung von Herrn Hradil alias „Humungus“, selbst ein Urgestein im Wrestling-Business „Es ist eine kleine Szene“, so der Cheftrainer. „Die Zeiten vom Heumarkt-Catchen sind definitiv vorbei.“ Doch noch immer gibt es Fans, die den Kampf „Gut“ gegen „Böse“, um den es bei Wrestling immer geht, live miterleben wollen.

So klein die Szene auch ist, so groß ist die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Schulen. Mit dem Vorwurf der Unprofessionalität sieht sich die WSA oft konfrontiert. Vor allem der Profi-Wrestler Michael Kovac, der die „Powerplexx Wrestling School“ betreibt, kritisiert die WSA ganz offen. Sie würden sogenanntes „Backyard Wrestling“ betreiben. Darunter versteht man das nichtprofessionelle Nachahmen der Wrestlingkämpfe ungeübter Fans, das wiederum oft zu Verletzungen führt.

„Humungus“ sieht das naturgemäß anders. „Mir ist egal, wie die anderen das sehen. Wir betreiben professionelles Wrestling“, meint er dazu. Immerhin übertrage der Wiener Regionalsender Okto-TV die Kämpfe.

 

Der Obermacker

Den Konkurrenten der „Powerplexx Wrestling School“ lässt das Argument kalt. „Mich interessiert nicht, ob die im Fernsehen sind. Richtiges Wrestling kann man nur bei mir lernen“, meint Michael Kovacs. In den Katakomben des Wiener Budo Centers trainieren seine Jungs. Es ist ein regnerischer Nachmittag im Süden von Wien. Der Geruch von Schweiß, Gummimatten und Energiedrinks vermischt sich mit einer kleinen Prise Angst und steigt die Kellerstiegen der menschenleeren Sporthalle empor. Immer wieder schiebt sich ein ohrenbetäubendes Donnern durch die leeren Gänge und bringt die Neonröhren zum Flackern. In dem quadratischen Raum, der nicht viel größer ist als der Ring selbst, nimmt sich Kovac alias „Obermacker“ gerade den Neuling „Tommy“ zur Brust. Kuschelkurs? Fehlanzeige. In einer kurzen Pause, in der „Tommy“ versucht, wieder zu Luft zu kommen, erzählt Kovac, dass Wrestling ein Extremsport ist und, dass es auch hier Profis und Amateure gebe. Kovac gehöre zu den Profis. Immerhin habe er schon in den USA und ganz Europa gewrestelt.

 

Gestatten: Ananaskopf

Florian Prinz, 22, betritt den Ring. Kantiges Gesicht, die Dreadlocks hängen über die breiten Schultern. Wenn er sie zu einem Zopf bindet, geschieht eine unheimliche Verwandlung. Er mutiert zum irren „Ananaskopf“. Dann bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. Der „Ananaskopf“ kommt gerade aus der Schweiz von einem Kampf zurück und zeigt sich begeistert vom internationalen Publikum. In Ungarn, Deutschland und in ganz Österreich war er schon bei Wrestling-Shows.

Obwohl auch unter den Schülern von Kovac und der WSA die Konkurrenz spürbar ist, ähneln sich die Geschichten. Wie Mirko, war auch schon der „Ananaskopf“ immer ein Wrestling Fan, wurde von der Oma mit Videos versorgt bis der Videorekorder glühte und zerschmetterte den einen oder anderen Lattenrost, wenn er mit seinem Bruder versuchte, die Stunts der Profis nachzumachen.

Vor zwei Jahren hat er sich dazu entschieden, es einmal professionell zu versuchen. „Den Anstoß dazu hat meine Freundin gegeben, ich hätte mir das selbst nie zugetraut.“ Michael Kovac nahm ihn unter seine Schützlinge. „Jetzt“, erzählt er stolz, „habe ich schon eine Fanbase“. Seine Freundin ist immer dabei. Wenn es zu schlimm wird, muss sie wegschauen, so wie letztes Jahr in Ungarn, als dem „Ananaskopf“ das Blut übers Gesicht lief.

Der falsche Tschetschene

„Muslim Sultanov, der Tschetschene“, heißt im wirklichen Leben Mario Szensi. Er steht auf die Rolle des Bösen. „Mir macht es einfach mehr Spaß, wenn mich das Publikum ausbuht“, grinst der durchtrainierte junge Mann. Eigentlich ist er gar kein Tschetschene und auch kein Moslem. „Aber das Publikum reagiert aggressiver, wenn es glaubt, dass du Ausländer bist.“ Eine Erfahrung, die auch der „Balkan Butcher“ gemacht hat. „Man wird sofort in ein Eck gestellt, wenn die merken, dass du eigentlich nicht aus Österreich kommst.“ Da können schon mal Rufe kommen wie: „Schleich di ham!“ oder „Lern Deitsch!“ Mario aber stört das nicht, im Gegenteil.

„Ohne Wrestling wäre ich wahrscheinlich im Häf‘n. Früher hab´ ich nur Blödsinn gemacht, heute hab´ ich einen Ausgleich.“ Vor seinen Kämpfen beruhigt er sich mit einem kühlen Bier. „Ob vor 10 oder vor 100 Leuten, man hat immer Lampenfieber.“ Im Moment muss er pausieren. Sein Knie ist kaputt. Alle Bänder sind gerissen und verdammen den Sportler zum Zusehen. Passiert ist das Ganze bei einem Kampf. „Wresteln ist ein Sport, der an die Substanz geht“, meint der Kovac. „Die Leute unterschätzen das.“ Vielleicht ist es doch mehr Sport als Show? Ananaskopf nimmt Anlauf, steigt auf die Seile und kracht auf die Matte. „Um das zu beurteilen, muss man selber in den Ring“, sagt das Fallobst und wirft sich gegen die Seile.

 

 

Von Hulk Hogan bis Otto Wanz

„Wrestling“ bedeutet ursprünglich nichts anderes als Ringen. Aus diesem Sport entwickelte sich auch Wrestling so wie wir es heute kennen. Als Geburtsland des Wrestling-Sports gelten die USA. Anfänge davon gab es schon im 19. Jahrhundert, als auf Jahrmärkten Schaukämpfe veranstaltet wurden. Damals wie heute kämpften verschiedene Charaktere gegeneinander. Gut gegen Böse. Die Wrestler entwickeln dazu einen Charakter, den sogenannten „Gimmick“. Dazu gehören: Name, Auftreten, Musik und spezielle Tricks.

Die Charaktere bewegen sich in einer Storyline, die die Kämpfe in eine Handlung einbetten soll. Böse Zungen behaupten sogar, dass Wrestling eine „Soap Opera für Männer“ und mehr Show als Sport wäre. Doch all die Kritik an dem Sport konnte nicht verhindern, dass Wrestling in den 1980ern unglaubliche Erfolge feierte. Mit den großen Shows, wie der „WrestleMania“, ging auch die professionelle Vermarktung einzelner Charaktere einher. Poster von Hulk Hogan, Jean Michaels oder dem „Undertaker“ zierten weltweit die Kinderzimmer.

 

In den USA ist Wrestling noch heute ein Milliardengeschäft, im Rest der Welt schlief der Sport wieder ein. In Wien erreichte die Szene in den 70er und 80er Jahren am Heumarkt ihren Höhepunkt, mit den Kämpfen des legendären Otto Wanz.

 

 

 

 

Albo Diabolo

Bürgerlicher Name: Gerhard Mayer

Alter: 23

Beruf: Frühpensionist

Finisher: „Raven the Tschuck“

Vorbild: Mick Foley

Schule: WSA (Wrestling School Austria)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mirko -The Balkan Butcher

Bürgerlicher Name: Mirko Panic

Alter: 22

Beruf: Lagerlogistiker

Finisher: Ankle Lock

Vorbild: „The Undertaker“

Schule: WSA (Wrestling School Austria)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ananaskopf

Bürgerlicher Name: Florian Prinz

Alter: 22

Beruf: Rauchfangkehrer

Finisher: Pina Colada Rolle

Vorbild: “Doink the Clown”

Schule: Powerplexx Wrestling School

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Muslim Sultanov“

 

Bürgerlicher Name: Mario

Alter: 25

Beruf: Bürokaufmann

Finisher: Tschetschenien Spike

Vorbild: „The British Bulldog“

Schule: Powerplexx Wrestling School

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

von Marian Smetana und Philip Tomsich (Fotos)

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