Seien sie stark gnädige Frau!

16. Februar 2009

Nicht oft berichten österreichschen Mainstream-Medien über Bulgarien. Wenn sie es tun, dann ist es sehr selten über etwas Erfreuliches.

 Bulgarien war im letzten Jahr zwei mal in den österreichischen Nachrichten: Einmal, als Eurofondgelder für Infrastrukturverbesserungen ohne jedliches Resultat spurlos verschwunden sind. In dem Bericht der europäischen Komission stand, dass mehr als 50 Kilometer von Autobahnen, die als gebaut galten, eigentlich gar nicht existieren. Leider konnte die Regierung diese 50 Kilometer nicht verstecken: Die Infrastrukturfinanzierung wurde zuerst angehalten und dann völlig gestrichen. Das bedeutete Millionen von Euro Verlust für den Staat. Danach hörte man monatelang die Erklärungen verschiedener Regierungsmitglieder, dass „die europäische Kommission nicht so streng mit Bulgarien vorgehen soll“ - was nichts weniger heißt als: „Ja, wir haben das Geld gestohlen, aber so sind wir halt. Versteht uns“. Um das Thema abzuschließen: Ein Freund erzählte mir vor einigen Monaten von seiner Cousine, die sich ein Haus am Meer in Griechenland gekauft hat. Sie hat einen großen Karriesprung gemacht und ist für die Eurofondverteilung in ihre Heimatstadt zuständig.

Aber in dem Text geht es nicht um Korruption. Das zweite mal - als Bulgarien in den österreichischen Medien erwähnt wurde - war, als die erste öffentliche Schwulenparade in Sofia von rechtsradikalen Gruppen angegriffen wurde. Nichts neues für Osteuropa. Solche Vorfälle gab es schon in Polen, Russland und in einigen Ländern Ex-Jugoslawiens. Die erste Schwulenparade in Sofia hatte nichts mit dem Lifeball in Wien und der St. Cristopher Day in Deutschland zu tun. Vielleicht aus Angst vor den medialen Gegenkampagnen vor der Paraden versammelten sich nur ungefähr 20 ganz normal angezogene Leute vor dem Kulturpalast in Sofia. Nur durch den Eingriff der Polizei konnten ihre Leben gerettet werden. Die rechtradikalen Gruppen bewarfen sie mit Steinen und kleinen Bomben.

Ungefähr ein Monat nach der Parade war Sofia immer noch mit Plakaten mit dem Aufschrift „Sei intolerant, sei normal!“ beklebt. Immer wieder sprachen Leute aus meinem Bekanntenkreis über die Schwulenparade. Die meisten waren gegen sie. „Ich habe nichts gegen Schwule“, meinten die meisten. „Sie müssen einfach nur zu Hause schwul sein“. Angeführt wurde die Hetze gegen die Schwulenparade von einem gewissen Boian Rassate. Seinen künstlerischen Namen hat er von einem mittelalterlichen bulgarischen König, der das christlich gewordenene Land wieder zum Heidentum bekehren wollte. Er war 2001 für die Herausgabe von Hitlers Buch "Mein Kampf" auf dem bulgarischen Büchermarkt zuständig.

Und das alles in einem Land, das neben Dänemark das einzige europäische Land ist, das seine Juden im zweiten Weltkrieg verschonte; und das nach dem Ende des Komunismus in Europa für ein gelungenes ethnisches Modell auf der Balkanhalbinsel steht - oder es mindestens seit Jahren in den Medien proklamiert.

Eines steht fest: In Bulgarien hasst jeder die Roma. Sie werden als Sozialschmarotzer ohne Bildung und Zukunft für das Land gesehen. An Integration denkt keiner; ethnische Konflikte prägen den Alltag in den Romaviertel der Städte. Jetzt steht auch folgendes fest: Keiner mag Homosexuelle. Outings sind von der Gesellschaft unerwünscht.

Wie kann man dann das Phänomen Azis erklären? Azis ist der größte bulgarische Popstar. Der Einzige, der mit seiner Musik Stadien füllen kann. Nicht nur wegen seiner Musik, sondern viel mehr auf Grund seines Images. Azis ist ein Rom. Er ist zur Hälfte Mann und zur Hälfte Frau. Ein blondierter Bart, blaue Kontaktlinsen, Silikonbrüste und provokante Kleidung sind sein Markenzeichen. Azis heiratete öffentlich im Nationalstadion einen Mann. Er hat eine tägliche Late-Night Talkshow, deren Quoten der Hit sind. Auch der Bürgermeister von Sofia und Anführer der neuen populistischen Rechten, Boiko Borisov, gehört zu seinen Freunden und ist angsehener Gast seiner Sendung. Azis ist der neue Liebling der Nation.

Ich frage mich, ob einer der Rechtsradikalen, der die Schwulenparade angegriffen hat, auch ein Azis Fan ist. Bestimmt. Denn seine Konzerte werden auch von Menschenmassen umjubelt. Genau jene Masse von Menschen, die auch gegen die Schwulenparade war.

An die Mütter von Rechtsradikalen, die zu einem Aziskonzert gehen, kann ich nur eins sagen: Seien sie stark, gnädige Frau!

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