Die Leiden des jungen Todor: Die Qual der Wahl

01. September 2010

"Über den hohen Stimmenanteil der FPÖ wunderte ich mich nicht besonders . Von denen hatte ich nichts Süßes zum Essen bekommen – aber Diabetiker sind ja auch wahlberechtigt ."

Von Todor Ovtcharov.

Ende September 2006 kam ich mit zwei Koffern und einer auf ein Taschentuch geschriebenen Telefonnummer am
Wiener Westbahnhof an. Der Nationalratswahlkampf war in vollem Gange. Ich machte mich auf den Weg zu Bekannten
meiner Familie, wo ich schlafen sollte und stieg in die U-Bahn.

Süßes Wien
Am Eingang der U6 wartete ein SPÖ-Agitator auf mich. Er gab mir einen Gusenbauer-Flyer und eine riesige Packung roter Gummibärchen. Mein Aufenthalt in Österreich fängt ja eigentlich gar nicht so schlecht an, dachte ich mir – die Leute in Wien sind
so freundlich, begrüßen mich gleich mit etwas zum Naschen. Als ich aus der UBahn hinausgehen wollte, war da schon
wieder ein freundlicher junger Mann, diesmal von der Volkspartei mit einem „Schüssel – unser Kanzler“-Zettel und
ein paar Schokowaffeln für mich. Ich wusste schon, dass Liebe durch den Magen geht, aber lässt sich der politische
Wille auch durch Essen kontrollieren?
Anfang der 90er-Jahre, als die Demokratie in Bulgarien, meinem geliebten Heimatland, noch neugeboren war, benutzten die politischen Parteien die gleiche Taktik in den Romavierteln der Großstädte, um sich Stimmen zu erkaufen. Nur verteilten sie damals Orangen, denn die war damals etwas ganz Exotisches und Seltenes. So wurden ein paar Romabezirke mit ihrem außerordentlich guten Orangenschnaps ganz berühmt. Also nichts Neues eigentlich.

Diabetiker wählen FPÖ
In Wien ließ ich mich eine Woche mit zahlreichen Süßigkeiten verwöhnen und am Ende kam der Wahltag. Das Ergebnis stand jetzt fest. Über den hohen Stimmenanteil der FPÖ wunderte ich mich nicht besonders. Von denen hatte ich nichts Süßes zum Essen bekommen – aber Diabetiker sind ja auch wahlberechtigt. Ich habe schon erhebliche Erfahrung mit Wahlkämpfen. Als ich 17 war, war ich Teil der Wahlkampagne der bulgarischen Partei „Die neue Zeit“ - und das obwohl ich noch nicht mal
wählen durfte. Ein Paar Freunde und ich agitierten für sie,indem wir den Leuten in den Plattenbausiedlungen Sofias einzureden versuchten, dass die bulgarische Politik dringend neue Gesichter brauche. Am Ende des Tages fuhren schwarze Mercedes vor, aus denen gut gekleidete Männer stiegen - solche Besucher hatte man in dieser Gegend selten. Sie verteilten 20-Leva-Scheine an die nichtahnende Jugend.

Neue Zeit und alte Ärsche
Wir merkten schnell, dass „Die neue Zeit“ nicht aus neuen Gesichtern, sondern hauptsächlich aus alten Ärschen bestand. Unsere Begeisterung für die Partei ließ nach und wir nutzten den Job, um jeden Tag in einem anderen Teil Sofias Bier zu trinken. Am geschicktesten machte es mein Freund Angel. Morgens ging er Flyer für „Die neue Zeit“ verteilen – er stapelte sie in
seiner Wohnung. Abends ging er mit uns Bier trinken, während er eigentlich in den Blocks agitieren sollte. Am Ende brachte er die 50 Kilo Flyer der „Neuen Zeit“ zur Altpapiersammelstelle. Er hat schnell begriffen, wie Politik funktioniert.
Am Ende bleibt nur die alte anarchistische Weisheit: „Würden Wahlen was verändern können, wären sie sicherlich
verboten“.

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