Die Leiden des jungen Todors: "König der Löwen"

03. Dezember 2010

"Um meine Miete zahlen zu können, vermiete ich riesige Stofftiere. Meine Löwen, Tiger und Giraffen laufen mit einem Autoakkumulator, auf deren Rücken ein Proletarierkind, im Dschungel von Neonlichtern, Handyangeboten und Fast-Food-Restaurants, seine kurze Runde reitet."

Von Todor Ovtcharov

Manchmal wünsche ich mir, eine Zeitmaschine zu besitzen. Ich würde gerne zwei Personen aus der Vergangenheit in die Gegenwart mitbringen. Der Erste wäre Mozart. Mit ihm würde ich liebend gerne auf einer Drum-and-Bass-Party die Nacht durchtanzen. Aber das ist ein anderes Thema. Der Zweite ist Karl Marx. Mit ihm gönne ich mir einen Spaziergang durch die Lugnercity. Ich würde sehr gerne wissen, was er zur Entwicklung des österreichischen Proletariats zu sagen hätte. Vom Andrang die Weltrevolution zu starten wurde die Arbeiterklasse mit einer Shoppingtherapie abgelenkt. Ich fühle mich als ein wichtiger Teil der Maschinerie, die das Proletariat vom Blutvergießen abhält. Mitten in der Lugnercity in einem Meer von türkischem Kebap, chinesischer Ente, italienischen Schuhen und amerikanischer Musik, habe ich einen sehr wichtigen Job. Ich gebe dieser Multikultibande eine winzige Dosis Familienunterhaltung, die sie zusammenhält und fern von jeglichem revolutionären Gedanken treibt. Ich arbeite als Löwenbändiger.

 

Die Giraffe in der Garage
Bei den Neureichen in Bulgarien sind momentan private Zoos der größte Hit. Mit Hubschraubern wurde neulich ein geheimes Grenzbeamtendorf entdeckt, von dessen Existenz mehr als zehn Jahre lang angeblich nichts bekannt war. Im Dorf fanden Spezialeinheitspolizisten Villen mit leeren Swimmingpools, in denen man Tiger, einen Löwen, eine Giraffe und andere exotische Tierarten fand. Obwohl die Beamten die Tiere lange verhörten, wollten diese nicht verraten, wo sich die Zoowächter befänden.

 

Jedem Volk sein Lieblingstier
Ich bin nicht in der Tierzuchtbranche, um meinen gesteigerten sozialen Status zu zeigen, sondern um überhaupt einen zu haben. Um meine Miete zahlen zu können, vermiete ich riesige Stofftiere. Meine Löwen, Tiger und Giraffen laufen mit einem Autoakkumulator, auf deren Rücken ein Proletarierkind, im Dschungel von Neonlichtern, Handyangeboten und Fast-Food-Restaurants, seine kurze Runde reitet. Die Kundschaft kommt von allen Kontinenten. Inder lassen ihre Kinder am liebsten den Elefanten fahren, Menschen aus dem fernen Osten haben eine Vorliebe für den Panda und Balkanesen bevorzugen den Braunbären. Traditionelle Kultur ist leicht erklärt.

 

Der Löwenbändiger
Die Strategie, die Weltrevolution aufzuhalten, hat funktioniert. Man holt sich Menschen aus aller Herren Länder und lässt sie die Drecksarbeit erledigen. Ich weiß nicht was Integration heißt. Egal wie unterschiedlich die Kulturen dieser Leute sind, agieren ihre Kinder beim Fahren von meinen Tieren gleich. Ich finde den Job cool. Es ist wesentlich leichter, mit Kindern den ganzen Tag umzugehen, als mit Erwachsenen. Ich fühle mich am Ende des Arbeitstages nicht psychisch leer. Ich verdiene wenig Geld, aber ich betrachte meine Arbeit als etwas Wichtigeres, als reines Hackeln fürs tägliche Brot. Als der Hirte von den mechanischen Löwen in der Lugnercity, bin ich direkter Zeuge unzähliger Schicksale und erlebe Globalisierung hautnah. Ich kann mir keinen schöneren Job vorstellen.

 

Übrigens habe ich Karl Marx nie gelesen. Wir hatten zu Hause in Bulgarien eine 24-bändige Ausgabe von Marx’ Werken, die zur Stabilisierung des Weihnachtsbaums verwendet wurde.

 

 

Kommentare

 

...is a wahnsinn!!!

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