Eine Firma braucht keine Heimat

25. Oktober 2016

In Syrien waren sie angesehene Menschen. In Österreich fangen die Unternehmer Munzer Altawil und Nabil Andoura von vorne an – und müssen dabei mit Schreckensmeldungen aus der Heimat und Statusverlust leben.

von Amar Rajković und Michele Pauty (Fotos)

Die Homepage „chamwings.com“ wirkt schauderhaft, wenn die Hintergründe ans Licht treten. Munzer Altawil sitzt in einem afghanischen Lokal in Wien Neubau und trinkt einen Tee. Er ist Mitte 50, hat ein gepflegtes Auftreten, seine Worte klingen besonnen und gut gewählt. Und das, obwohl wir während des Interviews auf die Sprachkenntnisse einer Dolmetscherin zurückgreifen. Die Emotionen sind eindeutig und ansteckend, noch bevor das Arabische ins Deutsche übersetzt wird. „Das Gefühl, wenn du deine Stadt verlässt, ist, als ob dir jemand einen Teil deines Körpers entfernen würde“, so Altawil, der bis zu den Anfängen des Bürgerkriegs in Syrien ein erfolgreicher Unternehmer und angesehener Mann war.

Foto: Michele Pauty
Foto: Michele Pauty

In Syrien tobt seit über fünf Jahren ein Bürgerkrieg. Regierungstruppen, unzählige andere politische Gruppierungen, der „Daesh“ (IS) und die Al-Nusra-Front kämpfen erbittert um die Vorherrschaft im Land, das vor Kriegsanfang rund 22 Millionen Menschen zählte. Über 250.000 Menschen sind gestorben, fast die Hälfte aller Syrer ist  laut UNHCR auf der Flucht. Der größte Teil davon innerhalb Syriens. Rund vier Millionen Flüchtlinge haben es ins Ausland geschafft. Zwei davon haben wir getroffen. Munzer Altawil und Nabil Andoura.

China, Südkorea und dann Krieg

Andouras Englisch ist akzentfrei. Er ist zwar gesundheitlich angeschlagen, sein inneres Feuer flammt jedoch schnell auf, wenn er von seiner Seifenproduktionsfirma spricht. Zuallererst gibt es eine Geschichtsstunde: „Die Seife wurde schon 2400 vor Christus hergestellt und ist damit die älteste Seife der Welt“, so Andoura. Der Mann mit ergrautem Bart setzt sich auf und holt aus. Die nächsten Minuten unseres Gesprächs sind mit Fachwissen über die Seifenherstellung gespickt. Andoura beschreibt lebendig den chemischen Prozess, bei dem man aus Fett und Lauge Seife gewinnt. Und die Bedeutung von Oliven: „Als ich klein war, spazierte ich durch die Olivenhaine meines Vaters und suchte Schatten im heißen syrischen Sommer.“ Die heilende Wirkung der Olivenfrucht ist die Basis für Andouras Seifenimperium (neben Lorbeeröl), das kurz vor dem Krieg rund 75 Arbeiter beschäftigte und in Länder wie Südkorea, China oder auch Deutschland exportierte. Das Unternehmen machte Gewinne. Bis der Krieg alles zerstörte. Und Nabil Andoura als Flüchtling nach Österreich kam.

Die Geschichte von Munzer Altawil ähnelt der von Nabil Andoura. Einst ein angesehener Geschäftsmann in Syrien, muss der ehemalige Besitzer von mehreren Firmen in Österreich bei null anfangen. Auch die private Fluggesellschaft „Chamwings“ gehörte dem umtriebigen Unternehmer. Sie flog Malmö, Bagdad und Istanbul an und wurde selbst vom Staatspräsidenten Assad geduldet, aus eigenen Interessen natürlich: „Assad schnitt am Ticketverkauf mit, rund 100€ umgerechnet gingen sofort an Assad“, erinnert sich Altawil, der sofort nach Kriegsbeginn enteignet wurde. Das betraf nicht nur die private Fluggesellschaft, sondern auch Altawils Firma, die sowohl internationale Messen in Syrien organisiert hatte, als auch für Import und Verarbeitung von Granit zuständig war.

Foto: Michele Pauty
Foto: Michele Pauty

„Hier ist mein Name null wert.“

Der syrische Unternehmer ist seit 3 ½ Jahren in Österreich. Wie viele andere  Flüchtlinge führte ihn der Weg über die Türkei nach Wien. Der Kontakt nach Syrien ist noch immer intakt, über die sozialen Medien wird Altawil immer wieder Zeuge, wie sein Heimatland in Schutt und Asche gelegt wird. Zurückgebliebene Verwandte halten ihn am Laufenden. Hoffnung, eines Tages zurückzukehren und erfolgreich Geschäfte zu machen, hat er keine mehr. Altawil hält kurz inne, seine Stimme wird erstmals zittrig. „Wenn ich dort meinen Namen sagte, wusste fast jeder, wer ich bin. Hier ist mein Name null wert“, denkt er wehmütig zurück.

Auch Nabil Andouri weiß, was er alles verloren hat. Im Gegensatz zu Altawil will er zu seinem alten Metier zurückkehren. Erst jüngst flog er nach London, um mit einem großen, internationalen Kosmetikartikelkonzern über den Vertrieb der „Aleppo-Seife“ zu verhandeln. Andouri ist überzeugt, dass die traditionelle Seife ihren Platz in den europäischen Bädern finden wird. „In Wien hat man Zugang zu vielen Märkten. In Syrien war das nicht der Fall. Österreich gehört zur Ersten Welt und die Menschen haben Geld, in kosmetische Artikel zu investieren“, so Andouri. In Syrien war es nicht schwer, eine Firma zu gründen. Ein transparentes Steuersystem gab es nicht, man konnte so viele Abgaben an den Staat zahlen, wie man für richtig hielt. „Hier wirst du in Form von Beratungsgesprächen oder Workshops unterstützt. Wenn die Idee zündet, findest du auch genug Investoren“, schwärmt der stoische Mann über seine neue Heimat.

 

Assad Jr. als Wirtschaftsmotor?

Tatsächlich war Syrien selbst vor dem Krieg kein Eldorado für selbstständige Unternehmer. Alleine aufgrund der internationalen Isolation war es für Wirtschaftstreibende schwer, ihre Produkte abzusetzen. Mit der Machtübernahme des jüngeren Assad im Jahr 2000 wurde es paradoxerweise sogar geringfügig besser, wie Altawil erzählt: „Durch die Wirtschaftsöffnung konnte man Produkte aus dem Ausland verkaufen und kaufen. Das nutzte mir, weil ich dadurch eine eigene Event-Firma eröffnete, die Fachmessen in den Außenbezirken von Damaskus organisierte.“ Altawil atmet durch und konstatiert: „Auch wenn es blöd klingt, aber aus wirtschaftlicher Sicht habe ich ursprünglich von Assad Junior profitiert.“ Bis der allmächtige Präsident, der der alawitischen Minderheit angehört, sich alles wieder zurücknahm. „Sie haben nicht einmal die Mauern und Wände verschont, sie haben alles zerstört.“ Sein ältester Sohn konnte sich als Soldat Zugang zum ehemaligen Firmengelände verschaffen und bestätigte die Zerstörung. Immer wieder spricht Altawil während des Interviews von einem Richter des Obersten Gerichtshofs, der dafür zuständig sein soll. Eine nicht ganz unrealistische Annahme. (Der Richter wurde laut Altawil mittlerweile ermordert)

Foto: Michele Pauty
Foto: Michele Pauty

Altawil legt seine Ledertasche auf den Holztisch und fährt seinen etwas in die Jahre gekommenen Laptop hoch. Er zeigt uns ein Werbevideo von seiner Fachmesse. Im Video zu sehen:  Ausländische Gäste und politische Prominenz, leicht bekleidete Hostessen – ein Anblick, der aufgrund aktueller Ereignisse surreal erscheint. Auch der damalige Bauminister Syriens ist auf dem Video zu sehen, versichert uns der Geschäftsmann. „Damals“, seufzt der Mann. Stille.

Glücklich zu leben

Syriens Währung ist seit Kriegsanfang um 400% abgestürzt. Galina Kolev vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln: „2010 exportierte das Land Waren und Rohstoffe im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro. Inzwischen ist es gerade mal ein Viertel dessen!“ Die Zahlen stammen von 2013, verlässliche Statistiken gibt es kaum, zu groß ist das Chaos in dem einst multiethnischen Land, das aufgrund seiner kulturellen Schätze beliebt bei Touristen war. Das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner sank von 2.808€ im Jahr 2010 auf 1394€ im Jahr 2014, die Lebenserwartung von 74 auf 70 im selben Zeitraum.

Zahlen, die die beiden Unternehmer am liebsten nicht mehr hören möchten. Zu groß ist noch immer der Schmerz über den Untergang des eigenen Landes, das Schrumpfen der Wirtschaft, das Bangen um die Angehörigen. Sie haben beide alles verloren und sind trotzdem glücklich. Glücklich darüber, dass es ihrer Familie gut geht und keiner von ihnen krank ist. Auf die Frage, ob er sich eine Rückkehr nach Syrien vorstellen könne, antwortet Andoura: „Wenn politische Stabilität einkehrt, werden wir in Syrien neu anfangen. Aber wir werden unseren Traum der Aleppo-Seife nicht aufgeben.“ Andoura macht eine kurze Pause. Dann sagt er mit einem aufkommenden Leuchten in den Augen: „Es gibt ein syrisches Sprichwort. Das besagt, eine Firma braucht keine Heimat.“

 

 

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