Geht auf’s Haus!

13. September 2023

Sie kochen, kosten und kreieren: Amina (@yallahkitchen) und Arash (@djmosaken) vereinen die Kulturen und zeigen mit ihren Videos auf Social Media, wie divers Wiener Food-Content abseits der immer gleichen Bobo-Influencer aus Neubau sein kann. Wir haben uns mit den beiden auf eine Food-Tour durch Wiener Märkte begeben.

Von Mathias Psilinakis, Fotos: Zoe Opratko und Atila Vadoc

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(C) Zoe Opratko

„Schön, dass es hier so ein Stück arabische Welt mitten in Wien gibt, oder?, schwärmt Amina, während wir in der Mittagshitze den Wiener Brunnenmarkt entlang schlendern. Selbstbewusst führt uns die Wienerin mit irakisch-iranischen Wurzeln durch den Markt, vorbei an Fleischspießen, dröhnenden Boxen mit syrischer Musik und Gewürzkisten. Wir schlängeln uns vorbei an Großfamilien mit Kinderwagen, alten Damen mit Plastikbeutel voller Gemüse und schreienden Kleinkindern auf Rollern.

Würzige Wurzeln

Seit 2020 postet Amina Al-Rawi unter dem Handle Yallah Kitchen orientalische Rezepte auf Instagram und TikTok. Ihr Ziel: ihren Followern die kulinarische und kulturelle Vielfalt aufzuzeigen, die außerhalb der österreichischen Küche existiert. Türkische Desserts, syrische Snacks, irakische Vorspeisen und persische Reisgerichte – Aminas Feed zeigt auf, was die orientalische Küche alles zu bieten hat. Das Ergebnis ihrer Arbeit kann sich sehen lassen: 95k Follower auf Instagram.

Die Liebe zur Kulinarik begleitet Amina schon seit ihrer Kindheit. „Das war etwas, was mich mit meiner Mama verbunden hat, erklärt sie, während wir irakische Rindsspieße verkosten. Besonders bedeutend ist für sie die persische Küche, den Bezug zu ihren iranischen Wurzeln habe sie vor allem über die Küche gesucht. Aufgewachsen ist die 26-Jährige aber nicht nur mit orientalischem Essen. „Bei uns gab es auch österreichische Küche. Schnitzel, Knödel, Gulasch, all das wurde auch aufgetischt.“ Während wir spazieren, schwärmt Amina vom Gulasch ihrer Mutter, auf das sie schon seit Wochen Heißhunger hat. „Aber unbedingt mit Preiselbeeren!

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Amina Al-Rawi postet Food-Content auf Social Media - und das mit Erfolg. (C) Zoe Opratko

Streetfood vom Feinsten

Restaurant-Tests sind ein weiterer fixer Bestandteil von Aminas Content. Regelmäßig zeigt sie ihren Followern Lokale in Wien, die bisher unter dem Radar der Öffentlichkeit geblieben sind. Unser erster Stopp heute: Ashraf und sein syrischer Imbiss. Schon aus der Ferne grüßt uns Ashraf mit einem breiten Lächeln. Amina hat einen ihrer Besuche bei Ashraf auf Social Media gepostet, das Video ist viral gegangen. Sogar Bürgermeister Michael Ludwig war seitdem schon bei Ashraf zu Besuch, wie uns der Iraker stolz mitteilt.

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Bei Ashraf gibt es am Brunnenmarkt gute Falafel mit einer extra Portion Gastfreundschaft. ©Zoe Opratko

Wir bestellen Fettah und Falafel, immer wieder schwirrt Ashraf jedoch an uns vorbei und serviert Tee, Limonade, Torshi und Hummus – alles aufs Haus. „Die arabische Gastfreundschaft eben, lacht Amina, „deswegen empfehle ich diesen Spot auch gerne. Die machen das von Herzen, das merkt man.

Anfragen für Restaurant-Testungen bekommt Amina mehr als genug. Während wir essen, erzählt Amina, dass sie selektiv sein muss und nicht nur der Geschmack vom Essen für sie entscheidend ist: „Wenn eine Geschichte dahintersteckt, wenn Tradition und Kultur miteinbegriffen sind, dann hat das für mich einen ganz anderen Stellenwert.“ Der österreichischen Food-Content-Szene fehlt es ihrer Meinung nach an Diversität: „Es kommt immer wieder dasselbe.

Geht auf's Haus!

Das Kochen und Testen von Essen ist aber weiterhin nur ein Hobby für Amina, die trotz ihrer Reichweite vorerst kein Geld mit ihren Videos verdienen möchte. Wie sie einen Vollzeitjob als Consultant mit ihrem Food-Content vereinbart? „Es braucht ein sehr gutes Zeitmanagement. Leider hat mein Tag auch nur 24 Stunden.“ Viel Freizeit bleibt Amina neben ihrem Job und Social Media also nicht – ihre Videos schneidet sie jeden Morgen in der U-Bahn.

Wir ziehen weiter, denn wir sind noch lange nicht am Ende unserer heutigen Verkostung. „Der kennt meinen Vater, da müssen wir kurz stehenbleiben, unterbricht Amina unser Gespräch und führt uns zu einem weiteren Lokal. Ihr Vater, Omar Al-Rawi, hat sich als Politiker einen Namen in der arabischen Community Wiens gemacht. Und so bekommen wir innerhalb weniger Sekunden Fladenbrot mit Zatar in die Hand gedrückt. „Er meinte, das geht aufs Haus, weil ich Araberin bin, übersetzt Amina und führt uns zum nächsten Stand.

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©Zoe Opratko

Wie denn ihre Eltern zu ihrem Erfolg auf Social Media stünden, frage ich, während Amina in einer hölzernen Kiste voller Gewürzpäckchen gräbt. „Sie sind meine größten Supporter. Meine Mama will jedes einzelne Video zugeschickt bekommen. Und mein Vater begleitet mich oft, wenn ich ein neues Lokal austeste. Er ist schon fast beleidigt, wenn ich mal meine Schwester oder eine Freundin statt ihm mitnehme, lacht sie. Dass ihre Geschwister begeistert sind, wundert Amina nicht: „Sie kriegen ja auch das ganze Essen, das ich koche.“ Sie verrät mir: „Eigentlich esse ich ja gar nicht so gerne. Oft vergesse ich vor lauter Kochen, dass ich auch essen sollte.

Schlemmen mit Sinn

Man würde denken, bei Aminas Content geht es schlichtweg um gute Gerichte. Falsch gedacht. Während wir weiter flanieren, erklärt mir Amina, dass sie mit ihren Videos einen Raum für Diskurs, Austausch und Toleranz schaffen möchte. Wir halten bei einem Supermarkt an und kaufen eiskalte Malzgetränke aus dem Irak, die wir mit unseren schweißgebadeten Händen kaum öffnen können. „Ich thematisiere sehr oft meinen Hintergrund, meine Religion, meine Kultur, ich gehe offen damit um, erklärt mir Amina. Sie sieht in ihrer Arbeit einen Bildungsauftrag: „Ich fühle mich in der arabischen und persischen Kultur gleich wohl wie in der österreichischen – das möchte ich nach außen zeigen. Es ist kein Gegeneinander, ich kann das Eine und das Andere sein. Und das ist auch gut so.

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In ihren Gastro-Tests ist Amina in ganz Wien unterwegs - auch am Brunnenmarkt. (C) Zoe Opratko

Vom Mischpult an den Esstisch

Szenenwechsel. Am Wiener Vorgartenmarkt treffen wir Arash Rabbani, auch bekannt unter seinem Künstlernamen DJ Mosaken, mit dem er sich als Wiener Szene-Urgestein ein regelrechtes Content-Imperium aufgebaut hat. Es gibt wenig, was der gebürtige Iraner nicht macht: Als DJ hat er sich schon vor Jahren einen Namen in der Wiener Musikszene gemacht und ist außerdem als Eventplaner, Geschäftsführer und eben auch Food-Content-Creator aktiv – mittlerweile mit 85k Followern auf TikTok.

Schon als DJ postete Arash immer wieder Food-Content auf der Plattform, seinen Durchbruch erlebte der 41-Jährige aber erst während der Corona-Pandemie. „Ich konnte ja nicht auflegen. Ich bin ein Mensch, der sehr kreativ ist, ich brauche immer irgendwas zu tun. Da habe ich also begonnen, professionellere Food-Videos zu machen.“ Besonders erfolgreich sind hierbei seine Restaurant-Tests: Von Döner bis Pasta hat sich Arash schon in dutzenden Lokalen den Magen vollgeschlagen. Gute Restaurants in Wien zu finden, sei nicht schwierig, wie mir Arash erklärt. „Wien war schon immer eine multikulturelle Stadt und wird auch immer multikultureller. Man kann hier definitiv sehr gut essen.

Einen typischen Restaurantbesuch gibt es für den Foodblogger nicht. „Oft passiert's ganz spontan.“ Die Reaktionen der Restaurantbesitzer sind zum Glück immer positiv: „Wir sind in einer Zeit, in der Social Media unglaublich wichtig ist, da freut sich natürlich jeder, wenn du ein Video machst und deren Essen wertschätzt.“ Doch auch Anfragen für Reviews sind mittlerweile ein fester Teil seines Arbeitsalltags geworden – mittlerweile muss er sogar selektiv sein.

Zwischen den Kulturen

Unser erster Halt: eine Ramen-Bar. Elegant zieht Arash die Nudeln aus der Suppe, hält sie in die Kameralinse unseres Fotografen und macht große Augen. Man merkt sofort: Er macht das nicht zum ersten Mal. Das Essen ist schon lange eine Affinität des Foodbloggers. Während Arash an seinen Nudeln schlürft, erzählt er, dass für diese Leidenschaft vor allem die Kochkünste seiner Mama entscheidend waren, und schwärmt von persischen Eintöpfen.  „Müsst ihr abchecken!“ Gelernt hat er das Kochen von seiner Mutter aber nicht: „Sie ist zu ungeduldig und ich auch, da gibt es nur Fetzerei.

Doch auch die österreichische Küche liegt ihm nahe: „Das hat für mich auch etwas Heimisches. Eine Grießnockerlsuppe ist für mich genauso ein Stück Zuhause.“ Dass die österreichische und persische Esskultur sehr unterschiedlich sind, hat Arash jedoch früh gemerkt. Er erzählt: „Wenn meine Freunde zu uns nach Hause gekommen sind, haben sie gegessen, was das Zeug hält! Meine Mama hat sicher zehn Speisen aufgetischt. Bei ihnen daheim habe ich einen Apfel oder eine Birne bekommen – nicht mal beides!“ Er weiß diese Essensvielfalt aber zu schätzen, sein Fazit: „Je mehr, desto besser.

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Arash Rabbani: DJ und Feinschmecker. (C) Atila Vadoc

Kontroverse Kulinarik

Wir sind beim Nachtisch angelangt: Eiskaltes Matcha-Mochi ist bei 35 Grad die perfekte Abkühlung. „In meinem Kopf bin ich einfach nur Österreicher, sagt Arash und nimmt einen Biss von der eiskalten Kugel. Als Content-Creator mit Migrationshintergrund ist er aber immer wieder mit Hass konfrontiert. Für Arash völlig unverständlich: „Ich mache Food-Content, das ist doch eigentlich das unpolitischste Thema, was es gibt. Jeder macht das, jeden Tag. Eigentlich verbindet man das gar nicht mit Hass. Es zeigt, wie krass Österreich gespalten ist.

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©Atila Vadoc

Auch Naziparolen musste er schon unter seinen Videos lesen. Der Grund für diese Art von Hass: „Wenn Politiker auf Plakaten Hassparolen schwingen, dann denken sich die Leute auf TikTok, dass sie das auch dürfen. Je anonymer man ist, desto mehr denken Leute, dass es ein rechtsfreier Raum ist.“ Dass besonders seine Videos von ausländischem Essen zu Hass und Kritik führen, wundert Arash nicht. Der Hass kommt aber nicht nur von ausländerfeindlichen Österreicher:innen. Oft geht es auch um Nationalstolz, etwa wenn sich verschiedene Nationalitäten um die Herkunft eines Gerichts streiten. Auch hier sieht Arash die österreichische Fremdenfeindlichkeit als Hauptproblem: „Wenn zum Beispiel ein türkischer Junge in Österreich nie willkommen geheißen wird, dann muss er sich ja der Türkei näher fühlen, um Anschluss zu finden. Jeder möchte irgendwo dazugehören. Deswegen kommt es zu Nationalstolz, eben auch beim Essen.

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Hass im Netz begleitet Arash tagtäglich. Für die Zukunft hat er aber trotzdem große Hoffnungen. (C) Atila Vadoc

Und die Zukunft?

Wir zahlen und schlendern durch den Vorgartenmarkt, vorbei an Gemüsemärkten mit glänzend roten Tomaten und Körben voller Feigen. Viel ist nicht los – kein Wunder bei dieser Hitze. Was er sich von der Zukunft erhoffe, frage ich. „Ich erhoffe mir keine Zahlen, ich will weiterhin Spaß damit haben. Ich bin mir sicher, dass, wenn wir uns in fünf Jahren treffen, etwas Großartiges entstanden sein wird.“ Damit sich diese Vorhersage auch erfüllt, arbeitet Arash hart, und das auch heute – wir verabschieden uns, weil er noch einen Food-Spot austesten will. Heute am Programm: ein österreichischer Burger, mit Brot aus Bier und ganz viel Schweinsbraten obendrauf. „Sicher auch mit weniger Hate-Kommentaren, zwinkert Arash. ●

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