I LOVE YU

05. Februar 2013

Sie sind jung, in Österreich aufgewachsen und doch schlägt ihr Herz für ein Land, das gar nicht mehr existiert: Jugoslawien. Valentina, Denis und Fedja erzählen von ihren Doppelidentitäten und über ihr Leben als „Balkanmischlinge“.

 

Fedja Hadziefendic, 21

„Nationalismus ist etwas für ungebildete Menschen“

Er zupft gedankenverloren an seinen Haaren, fängt an zu erzählen. „Mein Papa ist Bosnier, meine Mutter Kroatin.“ Fedja Hadziefendic ist im damaligen Jugoslawien geboren. „Wenn ich an meine Heimatstadt denke, sehe ich die Strände Splits“, sagt er lächelnd. 1992 ziehen seine Eltern von Bosnien nach Dalmatien. 1995 flüchten sie nach Österreich, leben in einer kleinen Wohnung, die sein Onkel arrangiert. 2003 war der Student das erste Mal seit Kriegsende in Bosnien und Herzegowina. „Mein Vater erkennt seinen Geburtsort nicht wieder“, erzählt er und hält seinen Blick auf den Boden gerichtet. „Er schafft es höchstens eine Woche, dann muss er weg - zu schmerzvoll der Gedanke daran, wie es früher war und jetzt ist.“ Fedjas Familie väterlicherseits ist in der ganzen Welt verstreut. Kanada, Holland, Australien – sein Vater ist der einzige bosnische Verwandte, den er in Österreich hat. „Deswegen habe ich mehr Bezug zu Kroatien“, erzählt er. Aber er trägt eine Kette mit einer Lilie am Hals, einem sehr wichtigen Symbol für Bosnier. „Wenn mein Papa von seiner Jugend in Jugoslawien redet, kommen mir die Tränen“, gesteht der Student. „Er blüht dann auf einmal auf, ein Funkeln in seinen Augen lässt erahnen, was in ihm vorgeht.“

„Auch Serben mögen mich“

Fedjas Umfeld ist bunt gemischt, welche Nationalität jemand hat, lässt ihn kalt. „Wäre irgendwie unlogisch, wenn ich darauf achte, oder etwa nicht?“, fragt er lachend. Mit Bosniern und Kroaten hat er kein Problem. „Alle denken sie, ich sei einer von ihnen“, grinst er, dabei ist das Zugehörigkeitsgefühl ein Tabuthema für ihn. „Und Serben, ja, die müssen mich auch mögen. Die denken, ich könne gar kein Nationalist sein, wenn ich Mischling bin.“ Fedja beschäftigt sich viel mit dem Thema Balkankrieg. „Zerrissenheit empfinde ich nur dann, wenn ich mir Dokumentationen ansehe und nicht weiß, auf welcher Seite ich bin.“ Krieg sei einfach scheiße, sagt Fedja. Er habe irgendwann aufgehört, nur einer Partei die Schuld geben zu wollen. „Es ist unendlich schade, dass Nationalismus am Balkan noch immer so präsent ist“, meint er. „Seltsam, nicht? Vor 20 Jahren noch waren wir alle ein Volk mit einem Heimatland – Jugoslawien.“

 

Valentina Sekulic, 21

„Als ich geboren wurde, fiel die erste Bombe“

Valentina Sekulic zündet sich eine Zigarette der Marke Marlboro an. Die 21-Jährige wirkt entspannt. „Ich habe früher sehr oft darüber nachgedacht, was ich bin“, sagt die Blondine, während sie Rauch ausbläst. „Bis ich vor ein paar Jahren entdeckt habe, wofür mein Herz eigentlich schon immer schlägt.“ Valentina ist Tochter eines Serben, der zwar orthodox ist, aber wenig von Religion hält. Mit 17 erwartet seine damalige kroatische Freundin und heutige Frau ein Kind von ihm. „Zu meinem Geburtstag am 16. September 1991 fiel die erste Bombe in Mamas Heimatstadt Derventa.“ Danach folgt die typische Flüchtlingsgeschichte. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion in ein fremdes Land. Angst vor verfeindeten Soldaten, Lügen um die Identität, aus dem Umfeld gerissen, bei Verwandten wohnen, aus Trümmern ein neues Leben in Österreich erschaffen.

Zwei Religionen mit einer Klatsche

Valentina wurde von ihrer Mutter religiös erzogen und ist katholisch getauft. „Ich bin schon gläubig“ – sie kaut auf ihrer Lippe, „aber ich picke mir sowohl aus dem Katholischen als auch aus dem Orthodoxen die besten Dinge heraus.“ Valentinas Eltern sind tolerant, denken gerne an die Jugoslawienzeit zurück. „Aber so nostalgisch sie sind, so jugoslawienfeindlich ist mein Umfeld“, sagt die Studentin wütend. Wenn die 21-Jährige bei kroatischen Freunden zu Hause ist, spürt sie Spannung in der Luft. „Ich weiß, sie würden über Serben herziehen, tun es aber meinetwegen nicht.“ Einmal ist sie hereingeplatzt, als „das Zigeunerverhalten bei serbischen Hochzeiten“ besprochen wurde. „Ab und zu wünsche ich mir, ich wäre in Jugoslawien aufgewachsen“, gesteht sie mit verlorenem Blick. „Wenn ich höre, dass Serben und Kroaten zusammen Weihnachten gefeiert haben, zuerst am 24. Dezember, dann am 7. Jänner, wird mir warm ums Herz.“

In ihrer Pubertät quält sie die Zugehörigkeitsfrage. „Kroatin oder Serbin – ich wusste einfach nicht, wofür ich mich entscheiden soll“, erinnert sie sich zurück. Ihr Vater hat ihr als Kind oft erzählt, wie unwichtig es in Jugoslawien war, wo du dich zugehörig fühltest und öffnete ihr damit die Augen. „Ich trage Jugoslawien tief in meinem Herzen – das kann mir keiner nehmen.“

 

 

Denis Malic, 22

„Warum habe ich einen türkischen Namen?“

Diese Frage beschäftigt Denis Malic mit zehn Jahren. Als Sohn eines Serben und einer Bosnierin wurde er früh mit Nationalismus konfrontiert. Sein serbischer Großonkel hat ihn damals auf einer Familienfeier gefragt, warum er so heißt, wie er heißt. „Bist du etwa Türke oder was läuft falsch bei dir?“ Als Zehnjähriger ist das nicht leicht zu beantworten. „Da habe ich angefangen, nachzudenken.“ Denis hat das „Jugoslawen-Feeling“ als Jugendlicher für sich entdeckt. „Dieses Gefühl dazuzugehören, eine Nation zu sein, unabhängig davon, welche Religion man hat – klingt das nicht fast utopisch?“, wirft Denis in den Raum. „Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass damals alles besser war“, lenkt er ein. „Aber diese Einheit gibt es seit dem Krieg nicht mehr.“ Seine Familiengeschichte spiegelt den Balkankrieg wieder. Zwei seiner muslimischen Onkel waren in KZLagern. „Auch heute redet man nicht darüber, wenn sich die Familie trifft.“ Er wirkt nachdenklich. „Erst nach mehreren Runden Bier beginnen die Diskussionen, wer gut und wer böse war“, gesteht er. „Während des Krieges hat der Cousin meines Vaters das Haus meiner Großeltern mütterlicherseits ausgeraubt“, erzählt er weiter. „Sogar meine Babykleidung hat er sich gekrallt.“ Denis ist oft an seine Grenzen gestoßen. „Wenn einmal über die verschiedenen Religionen gesprochen wird, bin ich sowieso immer im Unrecht. Befürworte ich den Islam, bin ich der Moslem, lobe ich das Orthodoxe, lasse ich den Serben raushängen – man kann es im Endeffekt niemandem recht machen.“

Bajram oder Bozic*?

So tolerant seine Eltern auch sind, beide haben immer wieder den Versuch gestartet, ihn zu manipulieren. Bajram, Weihnachten – alles wurde gleichermaßen gefeiert und geschätzt. Trotzdem passierte es nicht nur einmal, dass seine Mutter ihm einen Moscheebesuch schmackhaft machen wollte oder den Koran neben sein Bett legte. Sein Vater versuchte ihn zu überzeugen, dass die serbische Nationalmannschaft besser sei als die bosnische. Das am Balkan weit verbreitete Prinzip „Was der Vater ist, bist du auch“ hat Denis gekonnt ignoriert. „Mein Vater macht zwar einen auf Ober-Serben, trotzdem schwärmt er noch heute von der jugoslawischen Fußballliga und der damaligen Musik.“ Der 22-Jährige weiß seine Doppelidentität zu nutzen. „Wenn ich einen Serben kennenlerne, deklariere ich mich immer als Moslem, und umgekehrt genauso“, erzählt er grinsend. „Einfach um zu sehen, wie sie reagieren.“ Viele Freunde hat er sich mit seiner Einstellung nicht gemacht. „Egal wen ich kennenlerne, jeder vom Balkan will wissen, als was ich mich fühle“, erzählt er mit genervter Handbewegung. „Und jedes Mal werde ich schief angesehen, wenn ich sage: als Jugoslawe.“

 

 

Von Alexandra Stanic und Amelie Chapalain (Fotos)

 

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