„Ich bin kein Täter... und auch kein Opfer!“

05. Dezember 2019

Anti-Gewalt-Kurse an Wiener Mittelschulen - Nein, heißt nein!"

von Aleksandra Tulej und Amar Rajkovic, Fotos: Soza Jan


"Mädels klärt man am besten mit Rolex, Bratan!“, verkündet der zwölfjährige Marko breit grinsend, während seine Klassenkollegen links und rechts von ihm eifrig zunicken. „Außer, sie gibt dir Korb“, wirft sein Sitznachbar Marsel ein.
„Und was machst du, wenn dir ein Mädchen einen Korb gibt?“, fragt Coach Rick den Schüler. „Ja, dann geh ich halt weg. Pech gehabt“, zuckt Marko mit den Schultern. 

„Ja! Genau richtig! Nein heißt nein“, applaudiert ihm Rick. 
Die Message ist angekommen. 

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Kein Mann ohne Rolex, keine Frau ohne Schminke - oder doch? 


Das Gewaltpräventionsprojekt „Ich bin kein Opfer – und auch kein Täter“, das biber zusammen mit dem Österreichischen Integrationsfonds an Wiener Mittelschulen durchführt, richtet sich an Mädchen und Burschen im Teeanger-Alter. Bis Ende des Schuljahres werden sechs Workshops stattfinden. Rick Reuther vom Verein „Poika“ und Renate Wenda vom Verein „Drehungen“ sprechen mit Jugendlichen in dreistündigen Workshops über Themen wie Selbstvertrauen, Belästigung, Flirten, Rollenbilder, Genderkonstrukte , Körpersprache, Grenzen, und bringen auch einige Selbstverteidigungstechniken bei. Die Klasse wird geteilt, Mädchen und Buben getrennt.

„Ihr lernt heute Selbstverteidigungstechniken, die nur wir Frauen kennen“, erklärt Trainerin Renate Wenda der Mädchengruppe der 2b. „Yes! Ur cool“, Melissa klatscht mit ihrer Sitznachbarin Esra ein. „Aber sagt mir zuerst spontan, womit ihr das Wort „Frau“ assoziiert?“, fragt Renate. „Haare!“, „Make-up!“, „Pink!“, „Schön!“, schreien die Mädchen. „Und was fällt euch zu dem Wort „Mann“ ein?“ - „Rolex! Friseur! Jogginghose! Arbeit! Fußball“, sind sich alle einig. „Kann denn ein Mädchen auch Fußball spielen?“, fragt Renate Wenda. „Ja, schon“, stimmen dem alle zu. Die Mädchen der Klasse haben es satt, von den Burschen immer in eine Schublade gesteckt zu werden. 

Selbstverteidigung
Bei den Workshops lernen die Mädchen, selbstbewusst aufzutreten.

 

nein heißt nein

Nackenschelle mit Zustimmung 

„Aber so Mann mit langen Haaren ist schwul. Das geht nicht“, ist sich Mertsicher. Der Jugendarbeiter Rick erklärt den Jungs, warum „schwul“ keine Beleidigung sein darf. Es folgt eine Übung, bei der die Jungs ihren Sitznachbarn fragen sollen, ob sie ihn an einer Körperstelle, wie z. B. dem Arm berühren dürfen. „Bruder, darf ich dir Nackenschelle geben?“, fragt Marko seinen Sitznachbar. „Klar, immer Bruder. Aber nur leicht, ok?“, „Ok, Bruder.“ 

„Und genau das ist Zustimmung,“ klärt Rick die Beiden auf. Man solle davor immer fragen, bevor man eine andere Person anfasst. Ein anderer Schüler fragt seinen Nachbarn, ob er seine gegelten Haare berühren darf. Er bekommt sofort ein entschiedenes „Nein“ als Antwort. Rick springt auf, schnappt sich die Kreide und schreibt an die Tafel: „Nein heißt nein!“. 

Renate Wenda erklärt den Schülerinnen nebenan, dass um sie herum immer ein Radius existieren sollte, den niemand ohne ihre Zustimmung betreten darf. Sollte das doch eintreten, zeigt die Trainerin schnell zu lernende Selbstverteidigungstechniken. „Das ist ja ur cool!“, klatscht Fatma in die Hände, und fügt mit ernster Miene hinzu: „Das kann man schon gut gebrauchen, wenn man im Dunklen alleine auf der Straße geht.“ Zustimmendes Nicken im Raum. Die Mädchen fangen an, eine nach der anderen, über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung zu sprechen. Das Erschreckende ist, dass so gut wie jede von den 13-Jährigen Schülerinnen dieser Klasse schon mit Gewalt konfrontiert wurde. Geschichten über belästigende Taxifahrer, Übergriffe seitens älterer und gleichaltriger Männer und Mobbing im Internet werden in die Runde geworfen. Renate macht den jungen Frauen klar, dass sie die Schuld niemals bei sich suchen dürfen – und gibt ihnen Tipps, wie man sich in Notsituationen benimmt. Laut nach Hilfe schreien – das ist der wichtigste Punkt. In den meisten Fällen ist der Täter überrascht und tritt die Flucht an. „Durch Übungen, Informationen und Tipps und Tricks erkennen sie, dass sie körperlich und verbal gut in der Lage sind, sich zu schützen.“, so Renate Wenda. „Wenn ich weiß, was ich tun kann, kann ich in grenzüberschreitenden Situationen selbstbewusst auftreten“. 

Nein heißt nein
„Nein heißt nein!“, die Kernbotschaft ist eindeutig!

"Mobber sind Mörder"

Unter den Jungs wird das Thema sexuelle Belästigung ebenfalls heiß debattiert: „Wie würdest du dich denn fühlen, wenn jemand auf der Straße beim Vorbeigehen deinen Arsch kommentiert?“, fragt Rick die anwesenden Burschen. Er erklärt, dass Kommentare über das Aussehen anderer in den meisten Fällen nicht in Ordnung sind – ebenso Witze auf Kosten anderer. Das Thema Mobbing scheint in der Klasse ein sehr präsentes zu sein. Die Jugendlichen debattieren darüber, was es ausmacht, wo die Grenzen beim Spaßmachen enden und dass „Witze auf Kosten anderer nicht lustig sind.“ Rick hat jahrelange Erfahrung im sozialen Bereich und ist begeistert von den heutigen Buben: „Super coole, aufgeschlossene Burschen, die sicher alle ihre eigenen Rucksäcke tragen und es nicht immer leicht im Leben haben“, resümiert Rick hochzufrieden. 

Am Schluss sind sich alle einig: Mobbing ist uncool und geht gar nicht. Oder, wie es der 13-jährige Valentino mit ernster Miene ausdrückt: „Denn Mobber sind Mörder“ 

 

 

Kein Täter; kein Opfer
Was ist laut, was leise? Durch Übungen lernen die Mädchen, sich zu schützen.
 

 
 
 
VEREIN DREHUNGEN 

Kurse für Mädchen und Frauen, um Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstverteidigung zu fördern. Prävention gegen verbale, physische und psychische Gewalt an Frauen und Mädchen.
POIKA 

Verein für gendersensible Bubenarbeit in Ergänzung und Zusammenarbeit mit Mädchenarbeit. Poika orientiert sich an emanzipatorischen Modellen, die es den Buben ermöglichen sollen, in reflektierter Umgebung sich mit diversen Themen wie Geschlechtskonstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit, Berufsorientierung, Gewalt, Sexualität, uvm. auseinanderzusetzen. www.poika.at 

ÜBER DAS PROJEKT 

„Ich bin kein Opfer!“ und „Ich bin kein Täter!“ – dieses Gefühl und Selbstverständnis stärkt biber gemeinsam mit dem Österreichischen Integrationsfonds mit einem gezielten „Selbstverteidigungs- und Sensibilisierungs“- Projekt zur Gewaltprävention schon bei Schülerinnen und Schülern. Unter der Leitung von erfahrenen Trainern erlernen die jungen Mädchen neben körperlichen Verteidigungstechniken auch psychologisch taktisches Vorgehen. Gleichzeitig setzt das Projekt auf der Seite der Burschen an – ohne mit dem Finger auf sie zu zeigen. Mit Rollenspielen zum Thema Mobbing, sexueller Orientierung und sexuelle Belästigung soll auf Tabu- Themen eingegangen und das Thema der „Prävention sexualisierter Gewalt“ erlebbar gemacht werden. So wird sensibel ein Bewusstsein dafür geschaffen, was sexuelle Übergriffe und Gewalt sind und wo Grenzen überschritten werden. Im Rahmen dieser Kurse werden den Schülern Verhaltens- und Handlungsstrategien aufgezeigt und Gespräche auf Augenhöhe über 

eigene Erfahrungen geführt. Biber schafft mediale Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema, indem wir breitenwirksam auf den biber-Kanälen darüber berichten: Ob in Videos, Insta-Stories auf Social Media oder in den Newcomer-Editionen. 

DIESES PROJEKT WIRD DURCH DEN ÖSTERREICHISCHEN INTEGRATIONSFONDS FINANZIERT 
 
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