Ishak und seine Pilger

14. Oktober 2013

Jedes Jahr pilgern über drei Millionen Muslime nach Mekka, darunter 1.500 Österreicher. Bevor die Reise losgeht, organisiert Ishak Ahmetović den festlichen Abschied für zukünftige „Hadžije“ in einer Moschee in Wien Meidling – inklusive Burek, Kuchen und Visum für Saudi-Arabien.

 

Von Muhamed Beganović und Christoph Liebentritt (Fotos)

 

ES IST STICKIG UND DIE MOSCHEE in Wien Meidling platzt aus allen Nähten. Schweißperlen rinnen den Besuchern von der Stirn herunter. „Schaltet die Klimaanlage an!“, hört man von hinten eine Stimme, die ihre liebe Not mit den tropischen Bedingungen hat. Ishak Ahmetovic ist für das Zusammenkommen verantwortlich. Er trägt einen Bart, eine weiße Gebetskappe und schreitet ununterbrochen mit einem Lächeln durch die Gebetsräume. Er hat einen Stapel Reisepässe in der Hand, die er ihren Besitzern zurückgeben muss. Das Reiseziel: Mekka, Saudi-Arabien. Der Grund: Hadsch, die Pilgerfahrt, die jeder Moslem einmal im Leben unternehmen muss. Das geschäftige Treiben und Plaudern lässt uns nur vermuten, wie viele Menschen zur Verabschiedung der Pilger in die „Gazi Husrev Beg“-Moschee in der Arndtstraße gekommen sind. Zwischen 500-600 Angehörige, Freunde, Gläubige und Familienmitglieder müssten sich in den engen Räumen und Gängen tummeln. Aus den Boxen ertönt eine männliche Stimme, die Suren aus dem Koran rezitiert. Es wird still.

 

DIE MARKTLÜCKE FÜLLEN

23 Männer und Frauen aus Wien werden dieses Jahr, mit Ishak als Reiseleiter, die Pilgerfahrt nach Mekka antreten. Sie werden zum ersten Mal die Kaaba in der Heiligen Moschee in Mekka sieben Mal umkreisen und als Höhepunkt den Berg Arafat aufsuchen. Die Pilger feiern das wichtigste islamische Fest, Kurban Bayram, auch als Opferfest bekannt. Ishak ist für das Wohl der Pilger auf der Reise verantwortlich. Der 40-jährige Bosnier veranstaltet seit 20 Jahren Pilgerreisen. Seit 2012 kooperiert er mit dem Mobarak KEG Reisebüro im 17. Wiener Bezirk. Damals, 1993, hatte er gerade sein Studium in Saudi-Arabien abgeschlossen, als ihm Bekannte dazu rieten, Pilgerreisen nach Mekka zu veranstalten.

Ishak organisiert Pilgerreisen nach Mekka.

 

Während seines Aufenthaltes habe er so einiges über die Geschichte der Orte, die Bedeutung der Pilgerfahrt und die Landessprache Arabisch gelernt. „Menschen, die wussten, dass ich in Saudi-Arabien studiert habe, kamen auf mich zu und meinten, ich solle bosnischsprachige Reisen nach Mekka organisieren“, so der Imam. Zu dieser Zeit boten nur türkische oder arabische Veranstalter Pilgerfahrten an, sodass bosnische Gläubige während der Pilgerfahrt sprachlich im Nachteil waren. Er füllte damit eine lang übersehene Marktlücke. Der Selfmade-Reiseführer ließ sich beim saudischen Konsulat registrieren und zertizieren. Seit 2012 ist er auch der offizielle Pilgerreiseleiter des „Islamischen Zentrums Wien“.

Zu Ishaks Tätigkeiten gehören nicht nur die Führungen vor Ort. Bürokratische Dinge wie Visum-Anträge für alle Reisenden, Dokumente kopieren, abgeben, nachreichen, ins Konsulat fahren, nachtelefonieren, E-Mails beantworten und für die aufgeregten Pilger immer ein offenes Ohr haben – über Langeweile kann Ishak nicht klagen. So steht ihm auch die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben, als er sich das Mikrofon schnappt und zur Menschenmenge spricht. Er redet über die Pflicht des Hadsch und zählt dann die Namen der 23 Pilger auf. „Der halbe Vorstand dieser Moschee fliegt mit“, bemerkt er mit einem Grinsen.

 

MEHR PILGER IN MEKKA ALS BEWOHNER IN BOSNIEN

In Österreich gibt es insgesamt sieben Wallfahrt-Organisationen. Drei aus der türkischen, zwei aus der arabischen und zwei aus der Ex-Yu-Community. Wie viele Personen die Pilgerfahrt machen dürfen, wird vom Hadsch-Ministerium in Saudi-Arabien geregelt. Ein Prozent der Bevölkerung eines Landes, in der es ein saudi-arabisches Konsulat gibt, dürfen jährlich den Hadsch absolvieren. „Theoretisch dürfen jährlich 80.000 Menschen aus Österreich die Pilgerfahrt machen.“ In der Praxis sind es etwa 1.500 Personen. Zwischen 600-700 aus der türkischen, 400-500 aus der arabischen, 120 aus der mazedonischen und bis zu 150 aus der bosnischen Community“, gibt uns Ishak einen Einblick. Mit ihm als Gruppenleiter iegen jährlich rund 50 Menschen. „Die Zahl ist stets konstant geblieben“, sagt er. Heuer sind es 45 Pilger. 23 aus Wien und 22 aus Oberösterreich, der Steiermark und Niederösterreich.

Bevor die Reise losgeht, versammeln sich die Pilger in einer Moschee in Maidling.

 

Die Pilger schätzen Ishak aufgrund seiner profunden Sprachkenntnisse und des weitreichenden Wissens über die Stätten in Mekka und Medina. Das kann nützlich sein, wenn es darum geht, stundenlange Menschenschlangen zu vermeiden und stattdessen eine Abkürzung durch die dunkle Seitengasse zu nehmen. In Mekka leben etwa zwei Millionen Menschen auf einer Fläche von 1.200 Quadratkilometern, das entspricht ca. der Fläche von New York. Für die paar Wochen anlässlich der Pilgerreise wächst die Bevölkerung um drei bis vier Millionen.

 

VIEL GELD FÜR KOMFORT UND NÄHE

Rasim Selimovic fliegt heuer zum ersten Mal zum Hadsch und nimmt seine Ehefrau mit. Der Bauarbeiter und Alleinverdiener musste mehrere Jahre sparen, um die Reisekosten von 3.750 Euro zu berappen, pro Person wohlgemerkt. Auch er wird die Kaaba im Innenhof der Heiligen Moschee in Mekka sieben Mal gegen den Uhrzeigersinn umrunden, den Arafat-Berg besuchen und knapp ein Dutzend weiterer Rituale verrichten. Über den Verlauf hat der 43-jährige Bosnier viel recherchiert. „Ich habe mir Audio-CDs und Broschüren zum Thema Hadsch besorgt und alle Infos wie ein Schwamm aufgesaugt“, so Rasim. Während des dreiwöchigen Aufenthaltes ist ein Arzt stets anwesend. „Die klimatische Umstellung und extreme Menschendichte überfordern manche der älteren Pilger. Es kommt dadurch zu Erkrankungen oder Verletzungen“, begründet Ishak die Anwesenheit des Arztes.

Rasim erwartet sich „riesige Menschenschlangen, Drängeleien, Stress, aber auch Streit“, auch wenn letzteres während des Hadsch streng verboten ist. Aus seiner engsten Familie haben fast alle den Hadsch schon absolviert. Der saftige Preis und manche Horrorszenarien stören ihn nicht. „Die Nähe zur Kaaba entschädigt für alles“, sagt er lächelnd. Die Redner haben mittlerweile das Mikrofon abgelegt und das Bittgebet, die „ikrar dova“, ausgesprochen. Fleisch, Burek, Kuchen, Süssigkeiten. Ein letztes Mal genießen die Pilger den bosnischen Kaffee, bevor es Richtung Mekka geht und die Männer und Frauen zu „Hadzije“ werden.

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