Kluge Drogen

22. Juni 2015

Prüfungsangst, Leistungsdruck, große Konkurrenz – Studenten haben es schwer. Deswegen greifen viele zu „Smart Drugs“ wie Ritalin oder Modafinil. Die leistungsfördernden Substanzen sind verboten und trotzdem weit verbreitet. Unser Redakteur Strenggeheim machte den Selbsttest.

Ich bin Student auf der TU. Wir Nerds sind ja nicht leicht abzuschrecken, aber die Vorlesung, in der ich gerade sitze, schießt den Vogel ab. Unter „Algebra und Diskrete Mathematik“ wird sie im Vorlesungsverzeichnis geführt. Zu allem Überfluss erfahre ich gerade, dass der Dozent die Worte „Prüfung“ und „in 14 Tagen“ in den Mund genommen hat. Die Alarmglocken schrillen! Ist ja auch mein letzter Antritt und ich sehe mich schon als gescheiterter Mathematiker in einer runtergekommenen Burger-Bude enden. Nö, das ist keine schöne Vorstellung.

Doping fürs Hirn

Ich gebe nicht auf. Die Zeit kann ich nicht steuern, aber mein Hirn. Mit „Smart Drugs“, dem neusten Schrei unter österreichischen Lernjunkies. Doping fürs Hirn! Ritalin oder Modafinil sind in ihre ursprünglichen Verwendung Hilfsmittel für hyperaktive Menschen. Der Wirkstoff beruhigt und schärft die Konzentration. Kein Wunder, dass ein paar amerikanische Studenten damit experimentierten und ihren Lernerfolg damit tatsächlich steigerten. Die illegalen Pillen ließen schlechte Studenten zu Top-Akademikern aufsteigen. Die Droge verbreitete sich rasant, auch auf Österreichs Universitäten.

Nur damit das allen klar ist: Kaufst du die Pillen ohne Rezept, handelst du illegal. Verkaufst du sie an Dritte weiter, kannst du gleich mit Kokain oder Heroin dealen - es sind Betäubungsmittel und der Missbrauch derer ist mit hohen Haftstrafen verbunden. Die rechtliche Lage ist klar. Meine Lernmisere auch. Ich beschließe: Zweck heiligt die Mittel. Und ich möchte nicht in einer angeranzten Frittenbude enden. Deswegen hau ich mir das Zeug rein und führe dazu ein Tagebuch.

Der Deal

Zunächst muss ich an die Pillen ran. Meine Unikollegen scheinen sich auszukennen. Entweder haben sie davon gehört, wollen es selbst probieren oder tun es bereits. Ich erfahre, dass der Preis bei 10-15€ pro Tablette liegt. Ich erfahre auch, dass der Umschlagsplatz Nummer 1 das Juridicum in Wien ist, die TU Wien liegt knapp dahinter. Osteuropäische Dealer, so munkelt man, haben diese Marktnische für sich entdeckt und sind von Kokain und Crack zu Ritalin oder Modafinil übergegangen. Die Deals gehen auf Uni-Toiletten oder Bibliotheken über die Bühne. Besonders Studenten von lernintensiven Studiengängen wie Medizin, Jus oder sind potenzielle Smart-Drugs-Junkies.

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Foto: Marko Mestrovic

Mir ist das zu heiß. Ich möchte ja nicht als Drogendealer auf meiner Uni erwischt werden. Deswegen wähle ich den Weg übers Internet. Innerhalb von 30 Minuten werde ich fündig. Indische Internetapotheken, die umgerechnet 1,20€ für eineTablette Modafinil verlangen. Da der österreichische Zoll auf den illegalen Versand von Betäubungsmitteln aus Indien aufmerksam geworden ist, verschickt der Anbieter die Tabletten erstmal in ein neutrales Land – in meinem Fall nach Südkorea – Dort wird das Zaubermittelchen neuverpackt, bevor es nach Österreich versendet wird. Ich bestelle 30 Tabletten und bekomme als Neukunde zehn weitere gratis dazu. Des is a Kundenservice!

Tag 1: Nichts passiert

Zehn Tage später, also vier Tage vor der Prüfung, bekomme ich Post aus Südkorea. Ich teste sofort eine halbe Tablette. Dann warte ich wie ein kleines Kind auf die Wirkung, aber nichts passiert. Kein Lernwunder, kein Gehirnwachstumsschub - die diskrete Mathematik verhält sich weiterhin sehr distanziert in meinem Kopf. Der Einser für die kommende Prüfung rückt in weiter Ferne. Einzige Veränderung: Ich kann nicht einschlafen und bleibe bis zwei Uhr früh wach.

Tag 2: Meine Gene sind stur

Am nächsten Morgen nehme ich die volle Dosis von 200mg und gehe in die Bibliothek. Ich öffne meinen Laptop, höre Musik und warte auf den Konzentrationskick. Bis zum Abend passiert nichts, außer das ich übereifrig meine Lieder auf dem Laptop sortiere. Ich bin zu 100 Prozent überzeugt, dass dieser Hokuspokus nicht wirkt. Vor dem Einschlafen – danke Baldriantropfen –  male ich mir noch im Kopf aus, bei welcher Fastfood-Kette ich als Fritten-Mann am liebsten einsteigen würde.

Tag 3: Wos hostn für a Problem?

Nächster Tag, gleiche Dosis: 200mg Modafinil, ein Glas Wasser und ab auf die Uni. Ich fühle mich schwindelig und habe Nierenschmerzen. Auf dem Weg zur Universität merke ich, dass ich nicht gleichzeitig mehrere Dinge erledigen kann. SMS schreiben im Gehen wird zur Herausforderung. Ich muss ständig hochkonzentriert entweder aufs Handy oder auf die Straße schauen. Ist das die Wirkung von Modafinil, von der alle reden? In der Vorlesung sitze ich in der ersten Reihe. Ich starre den Dozenten an und höre konzentriert zu was er zu sagen hat.

Vorlesung vorbei, ab in die Bibliothek. Bücher aufschlagen und lesen. Ich spüre endlich die positive Wirkung dieser Tablette, ich will jeden Buchstaben lesen, analysieren und am liebsten aufessen. Ich lerne bis 22 Uhr nachts durch, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Ich esse und trinke nichts. Das erste Mal in meinem Leben verlasse ich als Letzter die Uni-Bibliothek. Hochkonzentriert und hellwach fahre ich mit der U-Bahn heim und starre den Mann gegenüber von mir an, der mich dann auch fragt: "Heast! Wos host‘n für a Problem?".

Gute Frage, was ist mein Problem? Zuhause angekommen, rufe ich einen Freund an, der bereits mit „Smart Drugs“ experimentiert hat. „Nach mehreren Monaten kommt es zu einer starken Abhängigkeit“, verriet er mir. "Meine Lernerfolge, meine Noten, mein ganzes Leben hatte ich diesen Pillen zu verdanken". Er zog die Reißleine und setzte die Ritalin-Kur ab. Doch so leicht kommt man nicht „runter“. Für die Lernerfolge zahlte er einen hohen Preis. Er musste mehrere Monate aussetzen. "Fuck", denke ich mir, "Ich will eine Prüfung schaffen, aber kein Junkie werden!“

Tag 4: Prüfung

Der Tag der Entscheidung ist gekommen. Ich werde keine Pille nehmen. Und das, obwohl ich müde und unkonzentriert bin. Eine Prüfung auf Drogen schreiben, das ist mir nicht geheuer, spätestens nach den Horror-Berichten des Studienkollegen. Die Prüfung hat angefangen. Auf den Prüfungsbogen starrend denke ich mir nur "Verf***** Scheiße!" Ich sammle meine letzten Kräfte und schreibe drauf los. Doch meine Gedanken schweifen ab. Hätte ich doch eine Pille einwerfen sollen?

Ich erinnere mich noch, dass ich unter Einwirkung der Pillen kaum Durst oder Hunger spürte, dass ich mich wie ein Zombie benahm und in der Öffentlichkeit entweder Gefahr lief, überfahren oder zusammengeschlagen zu werden. Ich wurde innerhalb kürzester Zeit zum Junkie, der sich nur noch auf eine Sache konzentrieren konnte.

Wieso soll ich meine Gesundheit so krass auf's Spiel setzen um später ein tollen Mercedes zu fahren? Ich will ja keinen Mercedes mit Behinderteneinrichtung kaufen!

Außerdem würde ich mir ein Leben lang mir selbst vorwerfen, das ich ein Loser bin, der ohne diese Wunderpillen das Ganze nicht geschafft hätte.

"Bitte legen sie jetzt ihre Stifte weg und geben sie ihre Prüfung ab!", höre ich anschließend vom Dozenten.

Mist, vielleicht wird es doch die Frittenbude.

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