Schön Schiach

30. April 2013

Unfähige Sänger, Bob-fahrer aus Jamaika und Models mit schiefem Gebiss – der Erfolg der anderen Art ist manchmal schwer nachvollziehbar. Wie jener der Modelagentur „Ugly Models“, die vor knapp vierzig Jahren in London gegründet wurde.

Del blickt mit seinen grünen Augen in die Kamera. Es scheint, als flirte er mit dem Fotografen. Er will so gut wie nie zuvor aussehen. Klick, klick, klick. Das weibliche Model neben Del lächelt – schließlich schießen sie gerade die neue Calvin-Klein-Kampagne, die ihre Modelkarriere ordentlich in Schwung bringen wird. Del wechselt Posen, fühlt sich vor der Linse wohl. Der Fotograf sagt ihm, er soll mehr von seinen Zähnen zeigen. Del setzt sein breitestes Grinsen auf.

Er ist klein, blass, hat tiefe Augenringe und große, schiefe Zähne. Auf seinem asymmetrischen, schmalen Gesicht bekommt man eine Nase zu sehen, die nach rechts deutet und gebrochen aussieht. Die Haare stehen in alle Richtungen. Seine Arme sind nicht muskulös, sein Torso gleicht nicht jenem eines griechischen Gottes, er hat kein Sixpack. Und trotzdem ist er Topmodel. Leute wie Del arbeiten für Calvin Klein, die italienische Vogue, sie spielen in James-Bond-Filmen. Supermodels? Ja, aber ein bisschen anders als das, was man im Normalfall unter diesem Begriff verstehen würde. Sie nennen sich selbst „Ugly Models“ und sind stolz darauf, anders auszusehen. Del gehört zu den erfolgreichsten.

 

 

 

 

 

„Kann ich meine Kleidung anlassen?“

Auch der größte Mann der Welt (246.5 cm) und der Mann mit den meisten Piercings (241 Stück) sind an Bord der Londoner Agentur. „Wir haben eine Marktlücke entdeckt“, sagt Marc, der Agenturbesitzer. „Wir realisierten, dass viele Menschen gelangweilt waren, ständig normale Models zu sehen.“ Der Markt gierte nach etwas Neuem, Innovativem, Frischem – so entstand die Agentur. Ein einziges Inserat in einer Zeitung reichte aus („Wenn du einen interessanten Look hast, melde dich bei uns!“), dann wurde die Geschäftsidee zum Selbstläufer. Alle 18 Monate wird ein Casting ausgeschrieben. Dann kommen Hunderte in die Agentur, um Ugly Model zu werden. Die Agenten sind ständig am Scouten –
ob in der U-Bahn oder im Club – potenzielle Uglys sind überall.

 

Ugly? Be a model!

Ein Zufall brachte Del zur Agentur. Als er gefragt wurde, ob er Model werden will, hat er gelacht. „Kann ich meine Kleidung anlassen?“, fragte er. Er wusste nicht, welche Art Job das Angebot betraf. Die Zusage folgte nach einer kurzen Überlegung. Del glaubte nicht, dass es ihm etwas bringen würde, doch versuchen wollte er es. Schließlich konnte es ihm nicht schaden. Es hat sich ausgezahlt. „Für uns sind alle Models gleich“, sagt Marc. „Charaktere sind interessanter, weil sie einzigartig sind.“ Doch nicht jeder kann Ugly Model werden. Möchtegern- Models haben keine Chance, aufgenommen zu werden. „Unsere Regel Nummer 1 ist, dass man sich in seiner eigenen Haut wohl fühlt“, sagt Marc. „Ein sehr großer Mensch muss glücklich sein, dass er so groß ist. Und ein Liliputaner genauso.“ Marc will nicht, dass seine Models den Trends der Fashion-Branche folgen, er unterstützt Individualität und Anderssein.  „Ich bin gut aussehend, aber kein Pretty Face“, sagt Del. Ugly ist für ihn kein Begriff für hässlich. Es bedeutet für ihn „speziell“, „besonders“. Er gründete vor drei Jahren eine Agentur in Berlin und nannte sie „Misfit Models“. Auf der Homepage steht: „Misfit Models gibt Dir die Chance, mit Deinem Charakter, Deinen sämtlichen Ecken und Kanten – egal ob Du Arabisch, Jüdisch, Mitteleuropäisch, schwarz, weiß, oder Marsianisch bist – Du selbst zu bleiben und als Foto und Filmmodel zu arbeiten, ohne Dich gängigen Mode- oder Schönheitsdiktaten anpassen zu müssen.“ Misfit und Ugly stehen für besonders, talentiert, anders. Die Nachfrage in der Branche wird immer größer. 

Model? Du?

Es ist oft überraschend für Kunden und andere Models, wenn Del bei Castings erscheint. Viele denken, er sei ein Bote, der ein Päckchen vorbeibringt. Aber sein Portfolio ist eine Sensation. Weder Models noch Kunden können es glauben, dass er für Calvin Klein, Diesel oder Renault gearbeitet hat. „Viele Menschen, die nicht einmal davon geträumt haben, in Fernsehwerbungen zu spielen, oder in Magazinen zu erscheinen, werden zuversichtlicher“, sagt Marc. „Sie lernen es, ihr Aussehen zu akzeptieren, sie fühlen sich wohl, so wie sie sind und sind dankbar dafür.“ Nicht nur die Persönlichkeit eines Ugly Models bekommt Auftrieb, auch die Bankkonten werden sehr oft kräftigst unterstützt. „Calvin Klein hat meine Karriere ordentlich in Schwung gebracht“, sagt Del. „Die Auftraggeber zahlen teilweise richtig gutes Geld, besonders für Fernsehwerbungen.“ Er arbeitet seit zwanzig Jahren und war in vielen Ländern unterwegs, auch in Österreich. Wien mag er nicht, es ist ihm zu old fashioned. Jedes Model und jeder Job sind anders, daher ist es schwer zu sagen, welche Kunden am besten bezahlen. Manchmal lassen die bekanntesten Konzerne am wenigsten springen. „Es kam vor, dass ich für einen Dreh tausend Pfund in der Stunde verdient habe“, sagt Antonio. Er ist ein Mann, an dem alles rund zu sein scheint – Kopf, Bauch, Nase, Augen, die dann rot herausglupschen. Als Kind hatte er herausgefunden, dass er seine Augen aufungewöhnliche Art und Weise rauspressen kann. 

 

Mit dieser skurrilen Fähigkeit macht er sein Geld. „Der beste Teil meines Jobs ist es, bezahlt zu werden“, sagt Del. „Der schlechteste dagegen, auf das Geld und auf die nächsten Jobs warten zu müssen.“ Manche Models sind gefragt, weil sie schöne Körper haben. Del arbeitet viel, weil er anders aussieht, seine Zähne schlecht sind und seine Nase schief ist. Genauso wie andere Models würde er nichts an seinem Aussehen verändern. Es ist sein Kapital.

 

 

Von Artur Zolkiewicz, Fotos von uglymodels.org

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