Bouldern auf afghanisch

09. Mai 2017

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Boulderbar-Afghanen
Sakhi im Kampf gegen die Schwerkraft

Bouldern boomt - aber sicher nicht in Afghanistan. Trotzdem verschlägt es sieben junge afghanische Flüchtlinge regelmäßig in die „Boulderbar“ im 20. Wiener Gemeindebezirk. „the creative fillip“ macht es möglich und bringt damit eine geballte Ladung Motivation in die Halle.

In der Hannovergasse im 20. Wiener Gemeindebezirk versteckt sich in einem unscheinbaren Innenhof die Boulderbar. Schon seit mehreren Jahren habe ich dort mit unzähligen Problemen zu kämpfen. Aber das stört mich nicht weiter. Die Rede ist hier, wie ihr euch vermutlich schon denken könnt, nicht von kniffligen Matheaufgaben. Es geht um „Boulderprobleme“, die in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden die steilen Kunststoffwände der Boulderbar zieren. Bouldern ist Klettern in Absprunghöhe. Im Falle eines Sturzes landet man auf weichen Matten, weswegen Seil und Klettergurt nicht benötigt werden. Man braucht lediglich ein Paar Kletterschuhe anzuziehen und dann kann die herrliche Schinderei an den Kunststoffgriffen und Tritten schon losgehen.

Wie viel Spaß es machen kann, ein Boulderproblem nach unzähligen Versuchen und viel Tüftelei zu knacken, haben auch die sieben jungen Männer aus Afghanistan namens Lotfullag, Hashmat, Naqib, Kamil, Sakhi, Rahim und Amir am eigenen Leib erfahren dürfen. Nachdem sie aus ihrem Heimatland fliehen mussten, fanden sie in Österreich schon bald zu „the creative fillip“, einem von Elisabeth Marek ins Leben gerufenen Verein. Komplett eigenfinanziert bietet der Verein Kreativworkshops für sozial benachteiligte Menschen an, um die TeilnehmerInnen aus ihrem Alltag herauszuholen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Das gemeinsame wöchentliche Bouldern ist zwar nicht als klassischer Kreativworkshop zu verstehen, doch ist es sehr wohl eine willkommene Abwechslung für die jungen Männer und vermittelt ihnen Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Wenn dann noch der eine oder andere Kontakt zur Bouldercommunity geknüpft werden kann, umso besser.

Boulderbar-Afghanen
Technikass Rahim

Motivation: Check

Schon beim gemeinsamen Aufwärmen merke ich, wie sehr sie sich darauf freuen, endlich an die Wand zu können. Mir schwabbelt hingegen noch gehörig das Frühstücksmüsli im Bauch herum. Deswegen bin ich froh, noch kurz mit Elisabeth quatschen zu können, bevor der Ernst auch für mich losgeht. Seit ca. eineinhalb Jahren würde sie bereits mit den „Jungs“ bouldern gehen und seitdem hätten sie gewaltige Fortschritte gemacht, erzählt mir Elisabeth. Die Boulderbar sponsert ihnen den Eintritt, andernfalls wäre es kaum möglich, regelmäßig zu bouldern. Über Spendengelder konnte ihnen „the creative fillip“ mittlerweile auch eigene Kletterschuhe kaufen, was die Motivation natürlich nochmal befeuerte.

Davon durfte ich mich sogleich überzeugen lassen. Andere (ich zum Beispiel) hätten schon längst aufgegeben und sich auf die Matte fallen lassen, doch nicht so im Falle der sieben jungen Männer. Gekämpft wird bis zum Umfallen, Ausreden werden nicht akzeptiert. Wer nun denkt, sie würden sich mit roher Kraft nach oben arbeiten, der liegt gehörig falsch. Vor allem Rahim besticht durch eine äußerst feine Technik, die ihn die Boulderprobleme nur so nach oben tänzeln lassen. Als ich ihn frage, ob er den Sport bereits in Afghanistan ausprobiert habe, antwortet er: „Ich wusste nicht, was ‚Klettern‘ überhaupt bedeuten soll.“ Tatsächlich sind Kletterhallen in Afghanistan sehr rar gesät. In der Hauptstadt Kabul hat erst im Jahr 2010 die erste Halle für den Sport in der Vertikalen aufgesperrt.

Starke grüne Daumen

Als die Kraft langsam zu schwinden droht, überrascht uns Hashmat mit selbstgebackenem, köstlichem Naan. So lässt sich’s leben, denke ich mir und erfahre von Elisabeth, dass die „Jungs“ neben dem gemeinsamen Bouldern zusätzlich in ein „Urban Gardening“-Projekt von „the creative fillip“ eingebunden sind. Außerdem wurde ihnen eine Ausbildung in einer Berufsschule für Gartenbau und Floristik ermöglicht. Das dürfte sich für das erfolgreiche Begrünen Wiens keinesfalls als Nachteil herausstellen.

Boulderbar-Afghanen
Köstliches, köstliches Naan

Mit frischen Kräften geht es nochmal an die Wand. Die Motivation stimmt nach wie vor und in mir kommt der Verdacht auf, dass man die sympathischen Afghanen einfach nicht auspowern kann. Ich lasse mir noch die eine oder andere Lösung für besonders knifflige Boulderprobleme geben und frage bei der Gelegenheit, ob sie schon die Chance hatten, ihre Fähigkeiten an echtem Fels zu testen. Leider nein, kommt es zurück. Erklärtes Ziel sei es jedoch definitiv. Eigene Schuhe haben sie ja mittlerweile, jetzt muss nur noch das Wetter mitspielen. Bis es soweit ist, werden sie sich noch mit vielen „Problemen“ in der Boulderbar beschäftigen, daran besteht für mich kein Zweifel.

Du willst mehr über die Projekte von „the creative fillip“ erfahren? --> http://creative-fillip.com/

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Balance - das A und O
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Lotfullag aka Powerhouse

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