„Da ist vieles falsch gelaufen“. Ja, und zwar beim Innenminister.

24. August 2022

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Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

Wo sollen wir anfangen? Damit, dass das österreichische Innenministerium 260.000 € für eine „Antimigrationskampagne“, die in Vergangenheit schon nichts gebracht hat, ausgibt? Damit, dass der österreichische Innenminister die Entscheidung eines Höchstgerichts „so oder so sehen kann“? Damit, dass er seinen Auftritt damit beendet, dass „wahrscheinlich vieles falsch gelaufen ist“ im Leben eines Suizidopfers?

Der gestrige ZiB-Auftritt von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) war ein Trauerspiel, das mit gefühlt jeder Minute schlimmer wurde. Und wir haben in den letzten Jahren in diesem Land schon vieles gesehen. Wir haben das Ibiza-Gate, sämtliche Schredder-Affären, Laptop-Spaziergänge und Karl-Heinz-Grasser durchgemacht. Aber das gestrige ZiB-Spektakel war schon wieder next level. Oder? Oder sollten wir es schon so gewohnt sein, dass es uns nicht wundern sollte, wenn der Innenminister den Terminus „Rechtstaat“ interpretieren kann, wie es gerade passt?

„No way, no chance“

„No way, no chance.“ – das ist der Slogan der neuen Antimigrationskampagne, die Innenminister Gerhard Karner gestern vorgestellt hat. Diese soll Menschen aus Ländern wie Indien, Tunesien oder Marokko davor warnen, erst gar nicht nach Österreich zu kommen, da sie hier praktisch keine Chance auf Asyl hätten. Man wolle so das österreichische Asylsystem vor der Überlastung schützen und „Schlepperbanden keine Deutungshochheit überlassen“. Das Ding ist: Aus diesen Ländern hat es im Vorjahr nur 48 Menschen gegeben, die Asyl oder subsidären Schutz in Österreich erhalten haben. Die Relation ist hier irgendwie so gar nicht gegeben. Außerdem hätten wir ja jetzt die Ukrainer:innen hier, die das Asylsystem belasten. Karners Conclusio lässt sich mit "Ukrainer belasten unser System, deshalb müssen wir jetzt die sieben Inder abschieben" interpretieren. Wo ist hier die Logik? Außerdem: Unter Fachleuten ist die Effektivität solcher Kampagnen stark umstritten. 2016 hatte es in Österreich  unter der damaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner eine ähnliche Kampagne gegeben, die Zahl der Asylanträge ist danach gestiegen. Das Ironische: Unter Sebastian Kurz war Österreich das Land mit den meisten positiv bewerteten Asylanträgen pro Kopf. Weltweit, so Soziologe Gerald Knaus. Krasser Wiederspruch zu der Kampagnenidee also. Weiters: Es gibt keinerlei empirische Evidenz für den Erfolg solcher Infokampagnen“, so die Migrationsexpertin Judith Kohlenberger. Kostenpunkt der Kampagne sind übrigens 260.000 €. Für jenes Geld könne man „zahlreiche afghanische Frauen und Mädchen“ in Österreich aufnehmen und ihnen Bildungszugang gewährleisten, so Kohlenberger gestern in der ZiB.

Was ist aus den Lösungen für legale Migration geworden?

Karner verteidigte die Kampagne in der gestrigen von Armin Wolf moderierten ZiB und machte auch öfter darauf aufmerksam, wie viele Menschen in den letzten Jahren im Mittelmeer ertrunken, in LKW-s erstickt oder „Schlepperbanden“ zum Opfer gefallen sind. Karner betont mehrmals, dass es die Aufgabe des Rechtstaates ist, das zu unterbinden. Der Haken: Die ÖVP ist mit einer kurzen Unterbrechung seit zwanzig Jahren in Österreich für die Asylpolitik zuständig. Stichwort Schließung der Balkanroute und Moria. Dass Karner sich jetzt plötzlich Sorgen um die Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, macht, ist ihm schwer abzukaufen. Kurz darauf hat er eine Botschaft an die Asylsuchenden, in der das „Du“ in jedem Satz nochmal betont. „Tut mir leid, wenn du nach Österreich kommst, hast du keine Chance auf Asyl. Du musst in deine Heimat zurückkehren.“ Damit es auch der „Dümmste“ verstanden hat. Diese Rhetorik ist eine, die für einen Innenminister, der sich doch so um Menschenleben sorgt, eigentlich untragbar, oder? Auch menschenverachtende Aussagen wie von Laura Sachslehner, die Asylanträge seien so eine große Belastung, wurden in der Vergangenheit schon massiv kritisiert. Illegale Migration ist ständig ein Schlagwort - was ist aber aus Lösungen für legale Migration geworden? „Schlepperbanden“ könnte man auch damit bekämpfen, statt mit diesen lächerlich teuren Plakaten, die aussehen wie eine FPÖ-Wahlkampagne aus dem Jahr 2006. 

„Hat sich jemand bei Tina entschuldigt?“

Auch der Fall Tina wird thematisiert. Das Mädchen wurde letztes Jahr nach Georgien abgeschoben, heute hält sie sich wieder mit einem Schülervisum in Österreich auf. Ihre Familie ist aber noch in Georgien. Der Verwaltungsgerichtshof hat kürzlich festgestellt, dass die Abschiebung des damals 12-Jährigen Mädchens und seiner Familie nach Georgien rechtswidrig war. Karner meint aber dazu „Die Behörde hätte nach dem negativen Asylbescheid „so oder so“ entscheiden können“, und hätte eben so entschieden, die Familie abzuschieben. „Das ist falsch, Herr Karner“, beteuert Wolf. Die Abschiebung war rechtswidrig. Das will Karner aber nicht einsehen und verteidigt weiter energisch fuchtelnd seine Position. Welche Position überhaupt? Hatte er nicht vor einigen Minuten noch den Rechtsstaat vereidigt, als es um die Asylpolitik ging? Es werde auch in Zukunft „solche Außerlandesbringungen“ ( Also rechtswidrige Abschiebungen?) geben. Ob er vor hat, sich bei Tina zu entschuldigen, beantwortete der Innenminister nicht.

Zum Abschluss bekommen wir noch eine sehr verstörende Aussage zu hören. Zu Ende des Gesprächs nimmt Karner erstmals Stellung zum Fall Lisa-Maria Kellermayr. Nach dem Suizid der Ärztin wurde der Polizei und den Behörden Versagen vorgeworfen. Er geht darauf ein, dass „vielleicht zu viel kommuniziert wurde“ und auch der „ein oder andere falsche Satz gesagt wurde.“ Er sei aber nicht bereit, einzelne Behörden an den Pranger zu stellen. Nachdem er von den „falschen Sätzen“ spricht, schließt er mit diesem neuen Satz ab „Wenn eine Person "aus eigenem Wunsch aus dem Leben scheidet, seien sich wohl alle einig, "dass hier vieles falsch gelaufen ist, wahrscheinlich auch im Leben der Frau Doktor Kellermayr". Eine derart unreflektierte und unsensible Aussage zu tätigen, ohne dabei an irgendwelche Konsequenzen zu denken, ist auch ziemlich, nunja, bösartig, weltfremd, gefährlich? Oder? Oder passiert jetzt wieder nichts und diese Aussage geht wie zig andere in die Geschichte der peinlichen Politiker-Äußerungen in Österreich ein?

Wie eine FPÖ-Kampagne aus dem Jahr 2006

Karners Aussagen stoßen nicht nur auf sozialen Medien, sondern auch bei dem Koalitonsparnter der ÖVP auf Kritik. Auf Twitter äußert sich die Grünen-Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic „sprachlos“ über den Auftritt. „Die Abschiebung war rechtswidrig. Das anzuerkennen plus Entschuldigung des Innenministers wäre das Mindeste.“ schreibt sie. Allerdings macht der Koaltionsparnter dem Innenminister in Sachen Polemik auch dieser Tage Konkurrenz. So kritisierte die Grünen-Klubobfrau Sigi Maurer vor einigen Tagen in einem Tweet die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner für den angekündigten Plan der SPÖ, die Verordnung der Regierung zur Energielenkung zu kippen. "Sie (Anm.Rendi-Wagner) ist dann verantwortlich, wenn Kinderzimmer kalt bleiben", twittert Maurer. Die Kinder-Schiene hier anzubringen ist genauso polemisch und unpassend, wie sich plötzlich über ertrinkende Menschen Sorgen zu machen, wenn beide am Hebel der Macht sitzen.

Nun stellt sich aber in der Causa Karner die Frage, ob es - eben auch seitens der Koalition - bei einer Aufforderung bleibt, oder ob der gestrige ZiB-Auftritt Spuren hinterlassen wird? Oder haben wir das alle in zwei Tagen wieder vergessen? Eines ist klar: Es ist vieles schiefgelaufen, um es in den Worten des Innenministers auszudrücken. Aber vielleicht sind die, bei denen es schief läuft, ganz andere.

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