Das Blut klebt an den Händen der EU

10. September 2020

Humanistische Werte als Ablenkungsstrategie?

Vor etwa zwei Jahren lag in meinem Schrank noch eine EU-Kappe. Heute liegt sie auf der Mülldeponie. Mein pro-europäischer Standpunkt hat sich über die Jahre stark verändert. Der Grund? Weil ich viel zu spät die Einsicht erlangt habe, dass die EU wenig mit humanitären Werten und Menschenrechten zu tun hat, als sie gerne tut.

 

Wir könnten das schaffen – wir wollen aber nicht

Moria brennt. Im griechischen Flüchtlingslager ist ein Feuer ausgebrochen. 13 Tausend Menschen haben aktuell keinen Schlafplatz, sind verzweifelt und sind wieder einmal immensen psychischen Stress ausgesetzt. Während sich die Mainstream-Medienlandschaft auf die Ursachen und Gründe für den Brand fokussiert und von beabsichtigter Brandstiftung spekuliert, wird von den wahren Problemen und Übeltätern abgelenkt. Tatsächlich haben es 27 europäische Länder, die alle mit ihrer Mitgliedschaft in der EU hinter den Menschenrechten und Asylrecht stehen sollten, nicht geschafft, 13 Tausend Menschen aufzunehmen. Grund sind keine räumlich-bedingten oder finanziellen Schwierigkeiten. In Deutschland stehen 4,7 Prozent aller Gebäude leer. Das sind fast 2 Millionen Wohnungen, die bewohnbar sind. In Österreich sind es 100 Tausend leere Wohnung. Ganze 750 Millionen Euro sollen an europäische Staaten gehen, damit die Wirtschaft nach der Corona-Pandemie nicht leidet. Das Geld ist da. Die Räume sind da. Die Menschlichkeit, Solidarität und Empathie fehlt.

Kapitalistische und neoliberale Interessen als primäre Wertehaltung

Als ich vor zwei Jahren durch meine immer stärker werdende anti-kapitalistische Wertehaltung einen Blick auf die EU, ihre Gründungsgeschichte und ihre aktuelle Flüchtlings- beziehungsweise Menschenpolitik gelegt habe, habe ich etwas realisiert, was auch andere linke Menschen einsehen müssen: Die europäische Union verfolgt primär nicht das Ziel, Menschenrechte und Asylrechte umzusetzen oder wahrzunehmen, sondern ist an kapitalistischer Profitmaximierung interessiert. Sie ist ein neoliberales Projekt. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten), die die Mehrheit im Europa Parlament bildet, setzt sich aus christlich-demokratischen, bürgerlich-konservativen und nationalkonservativ-rechtspopulistischen Mitgliedsparteien zusammen, die alle erstrangig das Ziel verfolgen, die EU wettbewerbsfähiger und wirtschaftlich dynamischer zu gestalten. Abgesehen von dem existierenden Demokratiedefizit der EU und der fehlenden demokratischen Legitimierung der europäischen Politik und Vertretung (die Wahlbeteiligung lag bis 2014 bei 42 Prozent), kann man als politisch linke Person nicht pro-europäisch sein. Zumindest so lange nicht, bis die eindeutige Hierarchisierung von diesen „Werten“ geändert und umstrukturiert wird. Solange geflüchtete Menschen, darunter Kinder, nicht mehr als irgendeine weitere Zahl in Statistiken auftauchen, sondern als Individuen gesehen werden, denen Schutz und Sicherheit zusteht, kann ich nicht pro-europäisch sein.

70 Jahre Frieden – aber für wen?

Europa feiert sich selbst gerne – vor allem, wenn es um ihre angebliche Friedenspolitik geht. Seit mehr als 70 Jahren soll es Frieden in Europa geben. Man sei kriegsfrei. Das Massaker von Srebrenica, welches erst vor 25 Jahren stattgefunden hat, wird dabei komplett ignoriert. Die generellen inhumanitären Zustände in den Balkanstaaten und weitere bittere Realitäten innerhalb Europas wie die weiter existierende Diskriminierung von LGBTQ+ Personen, die strukturelle Benachteiligung von Frauen oder der systematische Rassismus, scheint schnell vergessen zu sein. Kann in so einer EU überhaupt Frieden herrschen? Wenn ja, für wen? Darf die EU überhaupt von Frieden sprechen, wenn sie aktiv und gewissensfrei wegsieht, während tausende geflüchtete Personen im Mittelmeer ertrinken, durch fehlende medizinische Versorgung in Corona-Zeiten ums Leben kommen oder durch Brände in Flüchtlingslagern keinen Schlafplatz mehr haben?

EU-Kritik ist notwendig

Es braucht jetzt linke EU-Kritik. Dabei darf man als Linke sich nicht davor erschrecken, EU-kritisch zu sein – nur weil es die Rechten auch sind. Linke EU-Kritik hat andere Hintergründe und bezieht sich auf einen anderen Kontext. Wir müssen realisieren, dass diese vorgegaukelte Friedenspolitik nicht der Realität entspricht, in der wir lange gelebt haben und nach wie vor leben. Vielleicht ist es eine Ablenkungsstrategie derer, die die wahren Gründe einer Europäischen Union bedecken wollen. 

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