"Das Brautrauben ist immer noch ein großes Thema."

26. April 2018

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Daniela Emminger
Autorin Emminger (Foto: Nina Keinrath)

Die österreichische Schriftstellerin Daniela Emminger ist für ihren neuerschienenen Roman „Kafka mit Flügeln“ durchs wilde Kirgistan gereist. Mit Biber teilte sie ihre Eindrücke und Erfahrungen aus ihrem Leben mit Nomaden auf 4.000 Metern.

Biber: In Ihrem Roman geht es um die Freundschaft zwischen der Protagonistin Sybille mit dem Halbkirgisen Samat, und wie sie sich auf seine Spuren in das unbekannte, weite Kirgistan begibt. Warum war dieses Land so interessant für Sie?

Daniela Emminger: Kirgistan hat mich von der Geschichte her total fasziniert, als ehemaliges Land der Sowjetunion. Es gibt zwei Zeitebenen in dem Buch, und einige Handlungsstränge spielen in der kirgisischen SSR. Ich finde es sehr wichtig, dass der Rahmen, in dem meine Geschichte spielt, gut recherchiert  ist. Kirgistan hat eine irre Landschaft, mit 7.000 Meter hohen Bergen, und ich habe es als wahnsinnig archaisch empfunden.

Wie lange haben Sie in Kirgistan gelebt und welche Eindrücke waren besonders prägnant?

Insgesamt sieben Monate. Das ist eine gute Zeit, um nicht nur an der Oberfläche zu kratzen, sondern wirklich etwas von der Gesellschaftspolitik mitzukriegen. Der Brauch des Brautraubens ist immer noch ein großes Thema. Die UN-Frauenorganisation soll nun wieder ein Hilfsprojekt gegen bride kidnapping starten, weil das Problem total verschwiegen ist. Das Patriarchat ist in Kirgistan sehr stark, aber die Männer müssen dort weniger arbeiten, während Frauen von früh bis spät schwere körperliche Arbeit leisten müssen, etwa auf den Feldern. Ich habe auf 4.000 Metern mit Nomaden gelebt - ein karges Dasein. Die Menschen haben ihren Garten mit Tieren, von denen sich auch tatsächlich leben.

Haben Sie sich, als alleinreisende Frau, in Kirgistan jemals unwohl oder ausgeliefert gefühlt? Wie ist die politische Lage in Kirgistan?

Witzigerweise nicht, aber das könnte an meinem Exotenstatus gelegen haben. Als Ausländerin in meinem Alter war ein Brautraub keine potenzielle Gefahr. Da gab es andere Dinge, etwa Schlangen. Wenn du auf dem Land draußen auf 4.000 Metern Höhe von einer Schlange gebissen wirst, dann war es das schon. Vom Außenministerium wurden Reisewarnungen ausgeprochen, da es im Jahr 2015 zu politischen Unruhen mit Demonstrationen und Toten gekommen war. Der Norden Kirgistans ist eher liberal, während der Süden islamisch geprägt ist. Derzeit ist die politsche Lage ein Wahnsinn und weit von einer Demokratie entfernt. Als ich dort war, sind mir die Reisewarnungen jedoch wie eine Angstmache vorgekommen. Kirgistan ist trotz seiner Widersprüche und Korruption ein tolles Land.

War es schwierig, sich an das Leben am kirgisischen Land anzupassen? Welche Unterschiede gibt es im Hinblick auf die Sozialisierung der Menschen?

Ich wollte mich anpassen und möglichst wenig auffallen, aus Respekt und Höflichkeit. Damals habe ich mir die Haare dunkel gefärbt und im Süden zusätzlich ein Kopftuch getragen. Der Dolmetscher hat mich am Song-Kul [Anm.: Ein Gebirgssee im Norden Kirgistans] abgesetzt und nach sechs Wochen wieder abgeholt. Er hat mich auf die Nomadenfamilie gebracht. Alles, was die Menschen dort gemacht haben, habe ich einfach probiert und mitgemacht. Ich habe mir dort viel angeeignet, aber mir ist aufgefallen, dass die Frauen mit gesenktem Kopf hinter den Männern gehen. Mir wurde niemals die Hand gegeben. Männer sind, trotz der Tatsache, dass die Frauen sehr stark ist, in allen Bereichen höher gestellt. Für meine Sozialisierung ist das gewöhnungsbedürftig gewesen.

Kirgistan, Tracht, Daniela Emminger
Daniela Emminger in kirgisischer Tracht (Daniela Emminger)


Welche, für unsere Begriffe, bizarren Traditionen existieren, neben dem Brautraub, noch?

Es gibt einen kirgisischen Ligasport namens Kökbörö, der dort ungefähr so beliebt ist, wie bei uns Fußball. Beim Kökbörö reiten zwei quasi Polo-Mannschaften gegeneinander auf einem Feld an. Vor dem Spiel wird eine Ziege geköpft und die Beine abgeschlagen, und der noch blutende Rumpf als Spielball verwendet. Das ist schon sehr brachial, muss ich zugeben! Dieser Sport taucht ebenfalls in dem Roman auf.

kökböro, Kirgistan
Kökbörö Spieler auf dem Feld (Daniela Emminger)


Deine Romanfigur Samat ist halb Kirgise und halb Österreicher, und sucht als Erwachsener seine ausländischen Wurzeln. Gab es „Samat“ wirklich?

Die Menschen, die ich treffe, inspirieren mich zu meinen Romanfiguren – manchmal verwende ich nur ihre Namen. Samat ist aber eine rein konstruierte, recherchierte Figur. Ich schreibe nicht mehr so autobiographisch, denn „Kafka mit Flügeln“ ist schon mein fünftes Buch. Auch die Protagonistin Sybille bin nicht ich. Ich habe sie nur alters- und geschlechtsmäßig an mich angegleicht, weil sie die Gegenwart in meinem Buch trägt.

                                                                                                                  

 

Zur Person:

Daniela Emminger

geboren 1975 in Oberösterreich, lebt und arbeitet seit 2008 als Schriftstellerin und freie Journalistin in Wien. Davor war sie Werbetexterin in Hamburg und Berlin und Redakteurin in Litauen und Lettland. Bisherige Veröffentlichungen: »Leben für Anfänger« (2004), »Schwund« (2014), »Die Vergebung muss noch warten« (2015), »Gemischter Satz« (2016, Longlist des Österreichischen Buchpreises).

 

 

Zu ihrem neuen Buch:

Daniela Emminger

Kafka mit Flügeln

Roman, ca. 500 Seiten,

Hardcover, Preis: 26 €

ISBN: 978-3-7076-0628-7

Kafka mit Flügeln, Daniela Emminger

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