„Denis und Katya“ in der Kammeroper: Bonnie und Clyde des Social Media Zeitalters

27. September 2023

51717_denis_katya_j8a4550_4.jpg

.
Leo Morello, Mina Zakic, Hasti Molavian, Timothy Connor, Bruno Williams de Santos, Federico Pellaschiar. ©Peter M. Mayr

Hasti Molavian ist seit 2021 Ensemblemitglied des Volkstheaters. Die ausgebildete Opernsängerin bewegt sich gerne im breiten darstellerischen Spektrum von Schauspiel, über Klassische Oper, bis hin zum modernen Musiktheater. Im Theater an der Wien steht sie am 27. September in der österreichischen Erstaufführung von Philip Venables‘ Oper „Denis und Katya“ in der Kammeroper auf der Bühne. Im Interview erzählt die Mezzosopranistin über ihre Arbeit bei diesem Stück, dass auf der wahren Verfolgungsjagd auf zwei 15-Jährige beruht.

.
Hasti Molavian wurde im Iran geboren und ist studierte Mezzosopranistin. ©Nikolaus Ostermann

Erstmals wurde „Denis und Katya“ 2019 in Philadelphia aufgeführt, die deutschsprachige Erstaufführung folgte 2021 in Hannover. Die Oper beruht auf der wahren Geschichte der russischen Schüler Denis Muravyov und Katya Vlasova, die im November 2016 nach einem Streit mit Katyas Mutter in die Provinzstadt Strugy Krasnye fuhren, sich dort in der Jagdhütte von Katyas Stiefvater niederließen und via Livestream auf der Plattform Periscope übertrugen, wie sie mit einer Schrotflinte auf einen Fernseher schossen. Als die Polizei und Spezialeinheiten anrückten, eskalierte schließlich die Situation und die beiden Minderjährigen kamen zu Tode – ob es wirklich Selbstmord war, wie im Nachhinein attestiert wurde? Daran bestehen bis heute Zweifel. Der Fall Denis und Katya - oft bezeichnet als moderne "Bonnie und Clyde"-Geschichte - erlangte auch über Russlands Grenzen hinaus traurige Berühmtheit: Einerseits wegen der zahlreichen Aufnahmen aus den Livestreams, die bis heute im Internet kursieren, und buchstäblich die letzten Stunden der Teenager dokumentieren. Andererseits werfen die Geschehnisse Fragen zum Verhalten seitens der Behörden auf, die einen tragischen Tod der Teenager nicht verhindern konnte.

BIBER: Wie waren deine ersten Berührungspunkte mit der Geschichte von „Denis und Katya“?

Hasti Molavian: Ich hatte bereits 2019 von der Uraufführung in Philadelphia mitbekommen, und der Komponist Philip Venables war mir damals schon ein Begriff. Als ich dann tatsächlich das Angebot bekam, habe ich intensiver über Denis und Katya recherchiert. Man muss bei dem Fall im Hinterkopf behalten, dass Katya scheinbar viele Probleme zuhause mit dem Stiefvater hatte und ihre Mutter der Polizei damals wohl sagte, dass Denis sie Geisel genommen hätte. Liest man über vergangene Fälle, wie zum Beispiel die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater, bei dem Spezialeinheiten Gas einsetzten und über hundert Geiseln starben, ist es gar nicht so abwegig, dass am Ende Denis und Katya auch durch die Spezialkräfte zu Tode kamen. Ich scheue mich nicht davor, diese Vermutung auszusprechen. Mich interessierten zu diesem Fall auch die vielen anonymen Menschen, die mit Kommentaren im Stream die Stimmung anheizten. Das passiert mittlerweile oft – auch im Falle des Attentäters von Halle in Deutschland, der auf Twitch den Anschlag auf die Synagoge streamte.

Nicht umsonst wird mittlerweile in der Berichterstattung über Terroranschläge Acht darauf gegeben, Tätern kein Denkmal zu setzen. Sie sollen keine Namen, kein Gesicht erhalten, um potenzielle Nachahmer zu stoppen. Was ist das Besondere an der Verarbeitung der Geschichte von Denis und Katya?

Die Besonderheit bei dem Stück ist, dass Philip Venables und der Librettist Ted Huffman für die Ausarbeitung des Falls auch nach Russland gereist sind, um mit Menschen zu sprechen, die involviert waren. Sie sprachen mit Denis‘ bestem Freund, einem Kameraden aus derselben Schule, mit der Journalistin, die über den Fall berichtete – insgesamt haben sie sechs verschiedene Figuren interviewt. Denis und Katya selbst kommen als Figuren gar nicht vor. Ein Bariton und ich spielen auf der Bühne alle sechs Figuren, die lediglich über Denis und Katya erzählen. Die Essenz bei der Oper liegt daher eigentlich beim Storytelling, aus den Augen derer, die den Fall von außen miterlebt haben.

.
Hasti Molavian, Timothy Connor. ©Peter M. Mayr

Wie kann man sich die Inszenierung vorstellen? Welche Herausforderung war für dich in der Umsetzung am schwersten?

Die Sichtweisen der Figuren werden in kurzen Szenen und äußerst dicht vorgetragen – formell ist die Oper wie ein enges Korsett. Auch die Recherchephase und Zitate aus dem Internet finden darin noch Platz. Statt eines Dirigenten haben wir Clicktracks, die wir durch ein kleines Earpiece hören. Alle Taktwechsel und Queues werden durch das Klicken vorgegeben, damit der andere Sänger, die Cellisten, Video, Licht und ich wirklich synchron miteinander sind. Das war die Herausforderung für mich.

Welche Überlegungen habt ihr euch im Team über die wahre Geschichte hinter der Oper gemacht?

Wir alle haben natürlich intensiv über Denis und Katya gesprochen. Manche behaupten, dass so etwas überall auf der Welt passieren könnte – ich bin da anderer Meinung. Polizeigewalt gibt es zwar überall, aber es gibt durchaus Unterschiede in der Schwere. In manchen Ländern kann man einfach auf der Straße erschossen werden, in anderen kann man sicher demonstrieren. Ich denke, dass die Geschichte von Denis und Katya eine für Russland, also einen autoritären Staat, ganz passende ist. Wo sonst würden Spezialkräfte gegen zwei Kinder in dieser Härte vorgehen?

Welchen nachhaltigen Eindruck hast du von der Arbeit an „Denis und Katya“ mitnehmen können?

Immer wenn ich zwei Jugendliche in Denis‘ und Katyas Alter miteinander sehe, denke ich an sie. Das ist mir in letzter Zeit schon öfter passiert. Während der Probenzeit habe ich mich aufgrund der Form der Darbietung emotional nicht auf diese Figuren einlassen können, aber jetzt finde ich sie in jedem jungen Liebespaar wieder, dass ich auf der Straße sehe. 

Alle Informationen zu „Denis und Katya“, sowie Tickets gibt es hier. 

Blogkategorie: 

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
Zum Abschied gibt es kein Trompeten­...
Foto: Marko Mestrović
Ob Hijabi-Style, koschere Perücken oder...
Foto: Marko Mestrović
Nicht über die Communitys zu sprechen,...

Anmelden & Mitreden

16 + 2 =
Bitte löse die Rechnung