Der Clubhouse-Clan: Ein bisschen geht noch

09. Februar 2021

clubhouse_blog.png

Foto: Weronika Korban
Foto: Weronika Korban

Streitigkeiten arabischer Clans, nervige Start-Up-Gründer und ein kaputter Schlafrhythmus: Unsere Redakteurin hat eine Woche lang jede Nacht in der Clubhouse-Sekte verbracht. Und langsam braucht sie Detox. Aber ein bisschen geht noch.

Ich habe seit einer Woche jeden Tag meinen Wecker verschlafen. Der Grund? Ich habe jetzt scheinbar einen zweiten Vollzeitjob. Oder zumindest fühlt es sich so an: Tagsüber bin ich als Journalistin tätig, meine Nachtschichten schiebe ich neuerdings auf Clubhouse. Der App, die gerade alle in meinem Umfeld ohne Ende hypen. Die Phase wird sich nicht lange halten. Aber noch habe ich nicht genug. Mein ständiger Begleiter ist jener Gedanke: Bissi geht noch. Da kann man doch noch was rausholen. Das Konzept von Clubhouse ist im Prinzip ganz banal: Es ist eine Drop-In-Audio-App, auf der Menschen in virtuellen Räumen miteinander verschiedenste Themen diskutieren können. Der Haken: Du brauchst ein iPhone – die App gibt es momentan nur für iOS. Und eine Einladung – von einer Person, die bereits auf der App aktiv ist. Da meine Freunde genau solche Hype- und Konsum-Opfer sind wie ich, war das aber keine Hürde. Ein paar Klicks und schon wurde ich teil dieser pseudoexklusiven Sekte.

Der gute alte Loveroom 69

Die App ist ja eigentlich zum Networken gedacht – Man findet allerhand Talks zu politischem Tagesgeschehen, Marketing, oder Start-Up-Gründer-Chats, in denen dir Hamburger Typen namens Nils versichern, sie würden mit DER innovativen Idee für biologisch abbaubare Tischtennis-Tische kurz vor dem Durchbruch stehen. Immerhin haben sie ja alle Entrepreneur in ihrer Bio stehen. Die sind aber super fad. Aber mir ist halt auch fad, weil Lockdown. Und so lande ich eines nachts in Farid Bangs „Loveroom 69“ – Eine Art Speeddating, Deutschrapper Farid spielt den Kuppler. Die Frauen sehen alle zwanzig mal geiler aus als ich, keine Chance. Raus hier. Ich überlege, es gut sein zu lassen und wie in den guten alten Zeiten anno 2020 BC (before Clubhouse – Danke, ich cringe selbst über meine Erfindung.) ein Buch zu lesen. 

Die nächtlichen Clan-Talks

Auf meinem Nachtkästchen liegt „Die Macht der Clans“. Inhalt: Die kriminellen Machenschaften arabischer Großfamilien wie Abou-Chaker, Miri und Rammo. Geschrieben von: Claas Meyer-Heuer. Das Buch  ist faszinierend und auf so vielen Ebenen unangenehm. Noch ein letzter Blick aufs Handy: Mir poppt just in der Sekunde ein Room auf, in dem besagter Arafat Abou-Chaker, der halbe Miri-Clan und Claas Meyer-Heuer von Spiegel-TV ihre Diskrepanzen öffentlich austragen. Vor über dreitausend Menschen. Das muss Schicksal sein. Wozu soll ich darüber lesen, wenn ich mir das auch live und unzensiert ins Ohr geben kann? Und so vergehen vier Stunden, in denen ich gemeinsam mit tausenden anderen diesem voyeuristischen Spektakel beiwohne. Wo sonst bekommst du mit, dass sich Arafats Anwältin und Fler gegenseitig überschreien? Wo sonst hörst du, wie sich jüngere Clan-Mitglieder beschweren, dass sie aufgrund ihres Nachnamens keinen Studienplatz bekommen? Es fühlt sich an, als würdest du einem Streit auf der Straße zusehen – aber aus sicherer Entfernung. Wieder ist es fast fünf Uhr morgens. Aber egal. Das war es wert. 

Ist Staubsaugen als Mann haram?

Als ich am nächsten Tag die Redaktionssitzung verschlafe, macht sich die erste Red Flag meines Doppellebens bemerkbar. Aber egal. Das war doch nur einmal, ich kann jederzeit aufhören. Heute gehe ich früher ins Bett. Fehlanzeige. Während sich untertags auf Clubhouse nur die Start-Up-Talks der Entrepreneur-Nils-Clans häufen, wird es wie so vieles erst spannend, wenn die guten Bürger schon schlafen. Mein Algorithmus ist jedenfalls nachtaktiv. Ich könnte mich ja zu Bitcoins und „Medienmenschen Vernetzung“ informieren, aber irgendeine unerklärliche Kraft treibt mich in Räume mit klingenden Namen wie „Ist Staubsaugen als Mann haram?“ Ge bitte - Ich sollte einfach schlafen gehen. Aber vielleicht verpasse ich ja dann was. Und damit meine ich nicht den Staubsauger-Talk mit fremden 14-Jährigen, bei dem ich vergessen hatte, mein Mikro auf stumm zu schalten. Mein Boomer-Ich ist übrigens schon einige Male mit dem Finger ausgerutscht und mit einem lautstarken " Shit, nein, warte, was ist das schon wieder" in zufällige Räume ein-und wieder ausgetreten. Ich hätte eh nicht bei den Lästereien über den Mathelehrer der 7b irgendwo in NRW mitreden können. Aber egal, ich werde wohl nicht die Einzige sein, der das passiert. Mein wahres Problem ist ein anderes.

Es ist wie eine riesige, nervige WG. Aber man will nicht ausziehen.

Meine Clubhouse-Kontakte erwachen um circa ein Uhr nachts zu ihrer Prime Time. Ich fühle mich wie in einer riesigen WG, in der ständig jemand an meine Tür klopft. Oder, um es in Clubhouse-Jargon zu sagen „In den Room pinged.“ Niemand zwingt mich, aufzumachen. Außer ich mich selbst. Ausziehen will ich auch nicht, ich hab die Menschen ja irgendwie lieb. Millenial-FOMO ist hierbei mein ständiger Begleiter. Und dann geht es richtig los. Diskussionen über Gott und die Welt – wortwörtlich – die katholische Kirche und Kannibalismus und „Leute, ich kann ur nicht schlafen, was macht ihr so “  Normale Gespräche halt. Es ist wie Freunde treffen, nur ohne Freunde zu treffen. Der nächste Gedanke: Wozu machen wir das eigentlich öffentlich? Damit unschuldige fremde Menschen beitreten und sich fragen, was das für ein Haufen Verwirrter ist? Kann mir egal sein. Die Sekten-Exklusivität steigt zu Kopf.  Man könnte die App natürlich auch seriös nutzen, aber was heißt heutzutage schon seriös. Uns ist allen momentan abends halt einfach fad und nichts weiter. Der Hype um die App wird sich denke ich nicht lange halten – für Lockdown-Zeiten ist es aber eine willkommene Abwechslung. Vielleicht finde ich in Farids Loveroom 69 ja die Liebe meines Lebens – einen Enterpreneur-Nils oder ein missverstandenes Clan-Mitglied. Oder ich erlausche exklusive Informationen, die es in die Breaking News der internationalen Berichterstattung schaffen. Alles für den Job. Aber dann höre ich wirklich auf. Wir sehen uns dann in einem Monat auf meiner Hochzeit, oder in der Clubhouse-Aussteiger-Selbsthilfegruppe wieder. Aber ich muss jetzt weiter, irgendwer hat wieder einen neuen Room aufgemacht. Nur kurz. Ein bisschen geht noch. Ihr wisst ja, wo ihr mich findet.

Blogkategorie: 

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
Zum Abschied gibt es kein Trompeten­...
Foto: Marko Mestrović
Ob Hijabi-Style, koschere Perücken oder...
Foto: Marko Mestrović
Nicht über die Communitys zu sprechen,...

Anmelden & Mitreden

1 + 0 =
Bitte löse die Rechnung