Ein bosnischer Baum in der österreichischen Wüste

09. Juli 2019

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Gastarbeiter
Für Fußballschuhe nach Wien: Niko Mijatovic ist bis heute geblieben. (c) Lisa Kiesenhofer
Nach dem 2. Weltkrieg bauten Arbeiter aus Ex-Jugoslawien Wien wieder auf. Viele davon sind geblieben. So wie Niko Mijatović. Über seine ersten Tage am Südbahnhof, übernachten im Park und warum ihm die bosnische Nase bei der Integration geholfen hat.

Stell dir vor, du bist allein in einer riesigen, fremden Stadt und sprichst die Sprache nicht. Du weißt nicht, wo du bist, hast kein Ziel, kennst niemanden und kannst niemanden anrufen, weil Handys noch nicht erfunden sind. Dieses Szenario beschreibt die Situation vieler Gastarbeiter in den 60er und 70er Jahren in Wien. Niko Mijatović war einer davon. „Vor 48 Jahren bin ich hier angekommen, um meinen Vater für einige Tage zu besuchen und Fußballschuhe zu kaufen“, erzählt der 67-Jährige Pensionist mit markanter Stimme und zeigt auf den Vordereingang des Hauptbahnhofs. „Heute bin ich immer noch in Wien.“

„Die meisten Gastarbeiter kamen damals in überfüllten Zügen nach Wien“, erzählt der gebürtige Bosnier. „18 Stunden Fahrtzeit, die meisten mussten stehen.“ Er selbst hatte Glück: Ein Freund brachte ihn von seiner Heimatstadt Brčko mit dem Auto nach Wien. Die Warterei am damaligen Südbahnhof blieb dem damals 19-Jährigen aber trotzdem nicht erspart. „Man sitzt und wartet so lange, bis man von einem Landsmann angesprochen wird. Uns Bosnier erkennt man ja an der großen Nase“, grinst Mijatović, während er mit dem Zeigefinger über seinen breiten Nasenrücken streicht. Am Bahnhof wurden auch Jobs und Wohnungen vermittelt. Allein Nikos Vater habe 200 bis 300 ex-jugoslawische Arbeiter nach Wien geholt und hier an Firmen vermittelt. „Provision hat er dafür aber keine gekriegt“, lacht der Pensionist.

Gekommen um zu bleiben

Seit Jahrhunderten kommen Menschen nach Wien, um sich ein besseres Leben aufzubauen. In den 60er Jahren war jedoch Österreich die treibende Kraft hinter der Migrationsbewegung. Der zweite Weltkrieg forderte viele Verluste. Es mangelte Österreich an arbeitsfähigen, jungen Männern, die das Land wieder aufbauen sollten. Also sah man sich in den umliegenden Ländern nach billigen und willigen Arbeitskräften um.

1966 wurde mit dem ehemaligen Jugoslawien ein Vertrag abgeschlossen: die Arbeiter bekommen für ein paar Jahre eine Arbeitserlaubnis, helfen beim Wiederaufbau, bekommen dafür gutes Geld, und gehen danach wieder zurück in ihre Heimat. Deutsch zu lernen verlangte man nicht – es sollte ja kein dauerhafter Aufenthalt werden. Doch der Plan ging nicht auf. Eine große Community aus Ex-Jugoslawien siedelte sich in Wien an, heiratete, bekam Kinder, irgendwann die Staatsbürgerschaft und ist heute eine große Bevölkerungsgruppe in der Hauptstadt.

„Als sich mein Vater Anfang der 60er dazu entschied, nach Wien zu gehen, gab es viel Streit in meiner Familie. Meine Mutter wollte ihn nicht gehen lassen, doch seine Entscheidung, mehr Geld zu verdienen um uns etwas bieten zu können, stand fest“, erklärt der Pensionist während sein Blick auf den Boden schweift. „Meine Mutter hat immer gesagt: Von der Familie getrennt zu sein ist so, als ob man in der Sahara einen Baum pflanzen möchte.“

Leben im Park

Die Jugo-Arbeiter, wie Mijatović sie nennt, wurden hauptsächlich dazu benötigt, Straßen auszubessern und Keller zu renovieren, in denen die Arbeiter dann wohnen konnten. Es war nicht einfach, einen Meldezettel zu bekommen. Oft habe man auch zu 6. in einem Zimmer geschlafen. „Ich habe nicht gleich eine Wohnung gefunden, also musste ich einige Nächte im Schubertpark schlafen“, erzählt der ehemalige Gastarbeiter von seiner Anfangszeit in Wien. „Noch heute ist der Park im 18. Bezirk ein besonderer Ort für mich.“ Aber in den Parks wurde nicht nur geschlafen, sie waren auch Plätze, wo die Arbeiter aus Ex- Jugoslawien gemeinsam das Wochenende verbrachten. Hier wurde zusammen gesungen, musiziert und über die Heimat gesprochen. Auch der Schwarzenbergplatz oder die Kirche am Hof waren damals beliebte Treffpunkte.

Auf die Frage, welcher Platz in Wien heute sein liebster ist, antwortet Mijatović „der Fußballplatz“, und lächelt. Schon als junger Mann war er sehr fußballbegeistert. „Die Menschen meiner Heimatstadt Brčko lieben Sport“, ergänzt der 67-Jährige. Er ist sich sicher, es gibt keinen Fußballplatz oder –Käfig in Wien, wo er noch nicht gespielt oder zumindest zugesehen hat. Auch hier trifft man ab und zu noch bekannte Gesichter. „Erst letztens habe ich einen Kollegen aus Bosnien am Fußballplatz in Simmering getroffen, den ich bestimmt schon seit 30 Jahren nicht mehr gesehen habe“, erzählt der sportliche Pensionist. „Solche Begegnungen sind immer wieder schön.“

Gemeinsam für eine friedliche Zukunft

Viele Bekannte aus alten Zeiten hat Mijatović heute nicht mehr in Wien. „Die meisten haben sich mittlerweile auf ganz Europa verteilt, manche sind zurück in die Heimat und einige sind gestorben.“ Ob er noch manchmal seine alte Heimat besuche? „Ja, wir fahren jedes Jahr zu den Feiertagen hinunter um die Familie zu besuchen. Zuhause fühle ich mich allerdings in Bosnien schon lange nicht mehr“, beschreibt er den Bezug zu seinem Geburtsland. „Als in den 1990ern der Krieg ausgebrochen ist, wolle ich einen endgültigen Schlussstrich ziehen. Ich habe dann auch die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen.“

„Die politische und wirtschaftliche Lage in Bosnien, macht es den jungen Menschen schwer, sich eine Zukunft aufzubauen“, kritisiert Mijatović die Situation am Balkan. „In Österreich hat man als junger Mensch genug Möglichkeiten, sich ein Leben aufzubauen. Auch wenn man einmal hinfällt, gibt dir Wien immer wieder eine zweite Chance – die sollten junge Menschen auch nutzen!“ Dabei spielt er auf die vielen Möglichkeiten auf Ausbildungen und Deutschkurse an. „Man darf nicht faul auf dem Popo sitzen, wer feiern kann, kann auch lernen sage ich immer“, meint Mijatović mit erhobenem Zeigefinger und fügt hinzu „Als ich 20 war, habe ich nach meiner Schicht in der Papiefabrik jede Nacht von 12 bis 1 Uhr Deutsch gelernt – nach drei Monaten konnte ich mich zumindest verständigen!“. Als Optimist, wie sich der ehemalige Gastarbeiter selbst bezeichnet, rät er allen jungen Menschen, sich aktiv am politischen Leben zu beteiligen: „Man muss selber das Hirnkastl einschalten und darf den Politikern nicht alles glauben. Nur gemeinsam kann man die Zukunft zu einer besseren und friedlichen verändern!“

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