ERROR 404: Toleranz

13. August 2019

Jeder in meinem Umkreis redet gerade über Toleranz. Sei es auf dem Teller, im Glas oder in der Ideologie. Toleranz ist gerade in. 


Wir wählen grün, sind pro Homo-Ehe und essen vegan. Außerdem: Unser oberstes Gebot ist stets die Toleranz. Mit dieser kommen wir auch gut aus - es sei denn, wir treffen auf jemanden, dessen Toleranzbegriff anders ausschaut als unserer. Da wird es dann schwierig. Denn: Dann müsste ich ja gegen meine Grundsätze handeln! 

Rainer Forst, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Toleranz-Philosophie sagt, dass tolerant sein nicht bedeutet seine eigene Identität aufzugeben. Jemand spricht sich für den Zuwanderungstopp von Flüchtlingen aus und befürwortet den Rechtsruck in Österreich. Ich muss diese Aussagen keineswegs als gut erachten oder der Person dafür auf die Schulter klopfen. Ebenso wenig soll ich jedoch diese Person als „2. Klasse“ bewerten, weil ihre Weltanschauung mit meiner nicht konform ist.  Das ist Toleranz - die Fähigkeit zu besitzen, Menschen wegen Meinungen, die mir abstrus erscheinen, nicht auszustoßen und damit eine Form des „Othering“ zu betreiben. Und zu verstehen, dass die gesamte Gesellschaft nie unser ideologisches Auffangnetz sein kann. Wenn wir das nicht verinnerlichen, sterben wir vermutlich bereits mit 50 an Bluthochdruck.

Intoleranz ist keineswegs nur ein Merkmal von Rechtsextremisten und Konservativen. Aussagen wie „Ich habe heute einen Identitären beschimpft. Heute ist ein guter Tag.“ machen noch so „tolerante“ Personen zu Trittbrettfahrern der Toleranz. 

Toleranz bedeutet nicht nur eine Weltanschauung zuzulassen, Grün zu wählen oder aktive*r Feminist*in zu sein. Toleranz ist zu erkennen, dass wir einer offenen und freien Gesellschaft nicht vorschreiben können, wie sie über Gleichberechtigung oder die Flüchtlingskrise denkt. Toleranz ist, selbst Andersdenkende als moralisch Gleiche zu sehen. Diskurs auf Augenhöhe statt Urteile über Personen zu fällen, das ist Toleranz. Auch wenn es manchmal so viel leichter ist, sich einfach mit überlegenem Lächeln abzuwenden. Wenn wir das tun, sind wir dann wirklich besser als rechtsradikale Extremisten?

 

 

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