Afghanistans erste Hubschrauberpilotin über ihr neues Leben in Wien, ihre verstorbene Schwester und Morddrohungen nach der Veröffentlichung ihres Buchs: „Greif‘ nach den Sternen, Schwester.“

biber: Wie sind Sie nach Wien gekommen?

Latifa Nabizadah: Die Situation in Kabul wurde unerträglich weil ich Morddrohungen von den Taliban bekam. Als ich schon Pilotin war, sind sie sogar ein Mal in der Nacht in meinem Haus eingebrochen und haben es verwüstet. Zum Glück war ich an diesem Tag bei meinen Eltern, das war wahrscheinlich meine Rettung. Da kam mir die Einladung einer deutschen Journalistin, mit der ich zusammen mein erstes Buch „Greif‘ nach den Sternen, Schwester“ geschrieben habe, nach Deutschland zu kommen, gerade recht. Von dort aus bin ich direkt weiter nach Wien vermittelt worden, wo ich ein Stipendium als Autorin im Exil erhalten habe.

Wie lautet Ihr derzeitiger Asylstatus?

Ich habe nach sieben Monaten Aufenthalt in Österreich den positiven Bescheid bekommen. Darüber bin ich sehr glücklich. Eine meiner ersten deutschen Worte auf Facebook waren: „Wien, ich liebe dich, du bist meine zweite Mutter.“ Ich kann jetzt nach langer Zeit endlich in Ruhe schlafen.

Warum sind Sie gerade Pilotin geworden?

Die afghanische Gesellschaft akzeptiert keine Frauen, die in Männerberufen arbeiten. Meine Schwester und ich sprachen als Kinder immer darüber, wie Flugzeuge gebaut wurden und wie es wäre, eines zu fliegen. Um das Fliegen zu simulieren, kletterten wir an einem Baum und stellten uns vor als würden wir fliegen. Dabei wurden wir von unserem Vater unterstützt.

Und wie waren die Reaktionen außerhalb Ihres Hauses?

Der Heeresarzt, der unsere Flugtauglichkeit prüfte, sagte, dass der weibliche Körper nicht zum Fliegen geeignet sei. Aber wir gaben nicht auf und bestanden nach mehreren Anläufen 1989 den medizinischen Test. Während der Ausbildung wurden wir von manchen Kollegen mit Steinen beworfen. 1991 haben meine Schwester und ich die Ausbildung abgeschlossen, um damals als erste Hubschrauberpilotinnen in der Geschichte Afghanistans einzugehen. Meine männlichen Kollegen waren zuerst gegen uns. Wir haben mit Besonnenheit alles über uns ergehen lassen. Mit viel Geduld und viel Fassung haben wir alles ausgehalten. Die männlichen Kollegen, die damals noch gegen uns waren, ehren uns übrigens heute.

Vermissen Sie Ihre Heimatstadt Kabul?

Warum sollte ich eine Stadt vermissen, in der ich nicht willkommen bin und in der man mich am liebsten tot sehen möchte?

Wie war Ihr erster Flug?

Meinen ersten Flug hatte ich mit meiner Schwester, die leider nicht mehr bei uns ist. Das war in Mazar-e Sharif. Das war sehr schön für mich. Meine Klassenkammeraden haben mich beim Fliegen beobachtet. Mein erster Flug war gleichzeitig mein schönstes Erlebnis. Nach meinem Flug habe ich viele Blumen überreicht bekommen. Ich wurde als eine Widerstandskämpferin und Nationalheldin gefeiert.

Waren Sie die einzige Frau in diesem Beruf?              

Nein. Wir waren zuerst zu sechst. Unsere Flugtauglichkeit musste geprüft werden. Von sechs Mädchen haben es nur meine Schwester und ich durch den Gesundheitscheck geschafft.

Wie verbringen Sie ihre Freizeit in Wien?

Ich beschäftige mich mit meinem Deutschkurs. Ich möchte so schnell wie möglich mein B2 Zertifikat erlangen. Danach möchte ich eine Ausbildung als Technikerin bei Flughafen Wien, absolvieren. Sonst gehe ich am liebsten mit meiner Tochter auf die Donauinsel. Wir grillen afghanischen Kebab und sitzen bis am Abend dort. 

Was ist Ihr Geheimrezept für Erfolg?

Für mich war es immer wichtig, meine Meinung zu artikulieen. Ich habe nicht darauf acht gegeben, was die anderen über mich gesagt oder gedacht haben. 

Wie lautet Ihre Botschaft an die afghanischen Frauen?

Eine Frau kann alles werden. Eine Frau muss vor niemanden Angst haben!